Atomkraft: Warnung vor belgischen AKW
Terrorgefahr, Alter und tausende Haarrisse in den Druckbehältern
Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) hat am Wochenende auf ihrem Jahrestreffen in Mönchengladbach vor dem Weiterbetrieb der belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel gewarnt. Sie stellten wegen Terrorgefahr, Alter und tausenden Haarrissen in den Druckbehältern von Doel 3 und Tihange 2 eine Gefahr für rund drei Millionen Menschen dar, die in der unmittelbaren Umgebung der beiden Kraftwerksblöcke wohnen. In der gesamten Region, die im Falle einer Kernschmelze durch radioaktiven Niederschlag verstrahlt würde, lebten 46 Millionen Menschen.
Eine Kernschmelze wie in Tschernobyl oder Fukushima hätte nach Einschätzung des IPPNW eine großflächige radioaktive Verseuchung zur Folge. Je nach Ablauf des Unfalls, Windrichtung und Wetterbedingungen wären nicht nur Großstädte in Belgien und den Niederlanden betroffen. Auch die Zwangsevakuierung von deutschen Städten könnte ggf. notwendig werden. Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung, die sozialen Auswirkungen auf die Gesellschaft, die unter Umständen etliche Millionen Evakuierte aufnehmen und versorgen müsste, seien kaum absehbar. Zu den Städten im Einzugsgebiet der Reaktoren gehören Lüttich, Antwerpen, Brüssel, Maastricht, Amsterdam, Rotterdam, Aachen, Köln und Düsseldorf.
Unterdessen schreibt RP Online über einen Verdacht, dass in den belgischen Atomkraftwerken fehlerhafte Bauteile verwendet worden sein könnten. Der französische Hersteller Areva habe eingeräumt, in den Jahren 1965 bis 2000 die AKW-Bauherren bezüglich der Qualität seiner Produkte getäuscht zu haben. In Dokumenten aus dieser Zeit habe man Anomalien gefunden. Um welche Bauteile es sich im Einzelnen handelt und inwiefern diese für die Sicherheit der Anlagen maßgeblich sind, sei bisher nicht klar. Der belgische AKW-Betreiber prüfe nun auf Anweisung der dortigen Atomaufsichtsbehörde.
Die "Anomalien" waren Anfang Mai bekannt geworden, nach dem die französische Atomaufsicht die Öffentlichkeit informiert hatte. Die britische Zeitung Telegraph schreibt, dass auf der AKW-Baustelle Flammanville im Westen des Landes am Reaktordruckbehälter "eine sehr ernste Anomalie" festgestellt worden sei. Die Atomaufsicht habe daraufhin einen Bericht vom Hersteller Areva angefordert, in dem dieser schließlich die "Anomalien" aus den vergangenen Jahrzehnten habe zugeben müssen.
Vielleicht sollte in der Diskussion über Atomkraftwerke endlich einmal mehr Berücksichtigung finden, dass derlei faktisch überall in der Wirtschaft vorkommt. Pfusch und Fahrlässigkeit sind üblich und alle Systeme sollten so ausgelegt sein, dass sie dafür eine große Toleranz haben. Wo dies nicht möglich muss ggf. nach Alternativen mit geringeren potenziellen Unfallfolgen gesucht werden.
Fahrlässigkeit war offenbar auch bei der Freisetzung von Radioaktivität am Thorium-Hochtemperaturreaktor THTR in Hamm-Uentrop am 4. Mai 1986 im Spiel. Damals waren in der Nachbarschaft des Pannenreaktors kurz nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl erhöhte Radioaktivitätswerte festgestellt worden. Bisher hieß es, sie sei aus dem THTR versehentlich freigesetzt worden. Nun bestätigt ein ehemaliger Ingenieur in einem Gespräch mit dem Westfälischen Anzeiger den Verdacht, den Umweltschützer schon damals gehegt hatten: Radioaktives Material war vorsätzlich an die Umwelt abgegeben worden, um den Reaktor nicht für zwei oder drei Wochen stillstehen lassen zu müssen.
Viel genutzt hat es letztlich nicht: Der THTR hatte seinerzeit vier Milliarden DM Baukosten verschlungen und musste wegen erheblicher technischer Probleme auf Antrag des Betreibers bereits Ende der 1980er nach nur 423 Volllast-Tagen stillgelegt werden.