Atommüll: Risiko wird sozialisiert

AKW Brokdorf. Bild: Walter Rademacher/CC By-SA-3.0

Bundesregierung gibt den Konzernen eine doppelte Absicherung, diese klagen dennoch weiter gegen den Atomausstieg

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Mit einer nahezu inhaltsleeren Meldung, die von vielen Zeitungen übernommen wurde, informiert die Nachrichtenagentur dpa am Donnerstagnachmittag, dass die Bundesregierung einen Vertrag mit den deutschen AKW-Betreibern abgeschlossen habe, der die Entsorgung des radioaktiven Mülls regeln soll.

Dieser wurde bisher nicht veröffentlicht, aber im Grunde wurde bereits alles im vergangenen Dezember mit einem kleinen, für die Unternehmen recht vorteilhaftem Gesetzespaket geregelt. Allerdings haben diese noch darauf bestanden, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Regierung abzuschließen.

Durch diesen sind auch künftige Regierungen und Parlamente gebunden, und die Grundlagen der Entsorgungen können nicht mehr ohne weiteres per Gesetz geändert werden. Insbesondere geht es den Unternehmen bei dem Vertrag um die Haftungsfrage, das heißt darum, dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu nehmen, die Regelung mit anderen parlamentarischen Mehrheiten zu verschärfen.

Als Gegenleistung für den Vertrag, so hatten die Regierungsfraktionen und offensichtlich auch die Grünen gefordert – die Linkspartei wollte sich von vornherein nicht auf den Deal einlassen –, sollten die Konzerne auf ihre diversen Klagen gegen die Bundesregierung verzichten. Das ist allerdings nicht geschehen oder nur teilweise.

"Fast alle" Klagen würden fallengelassen, heißt es nur. Was das genau heißt, bleibt zunächst offen. Nur die Vattenfall-Klage vor dem nicht öffentlich tagenden Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten in Washington wird namentlich erwähnt. In diesem Verfahren fordert Vattenfall 4,7 Milliarden Euro von der Bundesregierung. Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel von der Linkspartei könnten auch die Klagen gegen die Brennelementesteuer weiter verfolgt werden. Bis zu sechs Milliarden Euro könnten diese den Steuerzahler kosten.

Ablass für 23 Milliarden Euro

Alles in allem hat die große Koalition damit – bei auffällig wenig Opposition seitens der Grünen – den Konzernen ein ansehnliches Paket geschnürt. Mit einer Zahlung in einen Fonds sind sie alle Sorgen bezüglich der Entsorgung ihres radioaktiven Mülls los. Selbst die teils maroden und in einem Fall gar illegalen Zwischenlager an den AKW-Standorten werden zum Ende des Jahrzehnts in die Verantwortung des Bundes übergehen.

Dieser Ablass kostet die Unternehmen lediglich gut 23 Milliarden Euro, die in einen Fonds eingezahlt werden. Aus diesem wird dann die Suche und Einrichtung eines Endlager für hochradioaktiven Abfall, der Ausbau des Lagers "Schacht Konrads" für mittelaktiven Abfall sowie der Betrieb der Lager bis 2099 finanziert werden.

In der Kalkulation wurde zwar so getan, als ob nach 2099 keine Kosten mehr anfallen, doch dem ist natürlich nicht so. Der hoch radioaktive Müll muss mindestens 100.000 Jahre sicher verwahrt werden, bis er ausreichend abgeklungen ist. Also wird ab dem Jahr 2100 die öffentliche Hand einspringen müssen. Die strahlende Ewigkeitskosten werden sozialisiert, die Gewinne privatisiert.

Doch auch bis 2099 wird das eingezahlte Geld kaum reichen. Dafür müsste es dem Fonds nämlich gelingen, es mit durchschnittlich 4,58 Prozent zu verzinsen, was nicht unbedingt realistisch erscheint. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass die Kostensteigerung auf durchschnittlich 3,6 Prozent beschränkt werden kann. Das ist die andere Voraussetzung für die festgesetzte Summe. Baustellen wie die Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 lassen anderes erwarten.

Doch das ist alles schon im Dezember, wie berichtet, per Gesetz geregelt worden und wurde jetzt nur noch einmal per Vertrag bestätigt. Dieser hat allerdings die Wirkung, dass spätere Gesetzesänderungen deutlich erschwert werden. Auch die Grünen haben seinerzeit für das Gesetz gestimmt, vermutlich schon wissend, dass hinterher noch die dem Parlament die bindende vertragliche Fixierung folgen wird.

Derweil haben gestern vor dem schleswig-holsteinischen AKW Brokdorf Aktivisten mit einer Blockade begonnen. Die Umweltschutzaorganisation Robin Wood verweist in einer Pressemitteilung auf die Probleme, die vor einigen Wochen bei der routinemäßigen Revision des dortigen Reaktors sichtbar geworden seien, der seit dem noch nicht wieder ans Netz ging. Daran werde deutlich, dass niemand die Prozesse im Reaktor nachvollziehen können und daher sei es skandalös, ihn erst 2021 stillzulegen.

Zum Jahreswechsel sollten eigentlich vor allem die alten Brennelemente herausgeholt und neue eingesetzt werden. Dabei wurde allerdings festgestellt, dass die alten Elemente mit einer ungewöhnlich starken Oxidschicht überzogen waren. Die Schichtdicke überstieg das zulässig Maß deutlich.

Das ist insofern bedeutsam, als die Brennstabhülle, die den tablettenförmigen vorliegenden Brennstoff zusammenhält, stärker als zulässig und erwartet angegriffen wurde. Das schleswig-holsteinische Umweltministerium will das Wiederanfahren erst zulassen, wenn die Ursache geklärt ist und eine Wiederholung ausgeschlossen werden kann.