Auf dem Weg in katalanische Unabhängigkeit

Eine Massenmobilisierung beherrscht den Wahlkampf und den Nationalfeiertag während Spanien mit Militär droht

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Wie in den Vorjahren wird auch dieser 11. September von einer Massenmobilisierung in Katalonien bestimmt, um die Unabhängigkeit von Spanien zu fordern. Erwartet wird, dass sich am katalanischen Nationalfeiertag (Diada) zwei Millionen Menschen auf den "Weg in die katalanische Republik" machen.

Genau 301 Jahre, nachdem auch Barcelona unter die spanische Krone fiel, sehen sich die Katalanen auf der Zielgeraden zur erneuten Unabhängigkeit. Denn heute hat auch der Wahlkampf für vorgezogene Neuwahlen begonnen. Nachdem Spanien und sein Verfassungsgericht im vergangenen Herbst sogar eine unverbindliche Volksbefragung verboten hat, sollen die Wahlen am 27. September in ein Unabhängigkeits-Plebiszit verwandelt werden.

Die Katalanische Nationalversammlung (ANC) und die Kulturorganisation Ómnium Cultural, die immer wieder riesige Demonstrationen organisiert haben, führen erneut die "Diada" an, damit aus "Katalonien ein neuer Staat in Europa" wird. Im Vorjahr zeichneten 1,8 Millionen Menschen ein riesiges V - das für Votar (Abstimmen) stand - in den Nationalfarben ins Zentrum.

Nun soll um 17 Uhr 14, um an den Verlust der Unabhängigkeit 1714 zu erinnern, die zentrale Avinguda Meridiana auf ihren 7,1 Kilometern komplett mit Unabhängigkeitsbefürwortern gefüllt werden. Die Allee wurde dafür in 135 Abschnitte aufgeteilt, die Zahl aller Sitze im Parlament. Dort will die Unabhängigkeitsliste "Junts pel Sí" (Gemeinsam für das Ja) nun die absolute Mehrheit erringen. Mehr als 450.000 Menschen haben sich für die heutige Choreographie schon zuvor registrieren lassen, gab der neue ANC-Chef Jodi Sánchez am Donnerstag bekannt

Das soll auch für die plebiszitären Wahlen gelten, wo auch Führungsmitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen auf der "Unabhängigkeitsliste" antreten. Auf Platz zwei kandidiert die frühere ANC-Präsidentin Carme Forcadell und auf Platz drei die Ómnium-Präsidentin Muriel Casals. Erst danach folgt der Präsident der katalanischen Regionalregierung Artur Mas. Hinter dem Christdemokraten folgt Oriol Junqueras, der Chef der Republikanischen Linken (ERC) und Mitglieder kleinerer Parteien. Die starke linke ERC wurde erst von Forcadell und Casals auf die Einheitsliste gedrängt, auf der auch der Bayern-Trainer Pep Guardiola symbolisch auf dem letzten Listenplatz antritt.

Verweigert haben sich aber die linksradikalen Unabhängigkeitsanhänger der CUP. Sie wollen nicht mit der konservativen Demokratische Konvergenz (CDC) und Mas antreten, weil sie sie für eine unsoziale Krisenpolitik verantwortlich machen. Doch es dürfte die CUP sein, die der Unabhängigkeitsbewegung neben der Sitz- auch eine Stimmenmehrheit angesichts des Phänomens "Podemos" (Wir können es) verschaffen kann. Bei den Wahlen 2012 zogen erstmals mit 3,5% drei Parlamentarier ins Parlament ein.

Sogar nach der neuen Umfrage des staatlichen Forschungsinstituts CIS, soll die CUP nun auf fast doppelt so viele Stimmen und auf acht Sitze kommen. Sogar in der CIS-Umfrage hätten die Unabhängigkeitsbefürworter eine Mehrheit im Parlament. Dabei zeichnet sich das Institut dafür aus, dass kleine und linke Parteien meist deutlich unterschätzt werden, während die prognostizierten Ergebnisse für die beiden großen spanischen Parteien meist überschätzt werden. Besonders deutlich konnte das bei den Europaparlamentswahlen 2014 gesehen werden, als Podemos völlig unterschätzt wurde. Vom Ergebnis der Koalition, in der Podemos antritt, hängt es ab, ob die Unabhängigkeitsbefürworter eine Mehrheit erhalten. Podemos ist in der Frage gespalten und tritt aber ebenfalls für das Selbstbestimmungsrecht ein.

Verbote und Repression

Anders als Großbritannien, das Schottland sogar verbindlich über die Unabhängigkeit entscheiden ließ, fehlt es in Spanien an einer demokratischen Grundhaltung. Das kann nicht allein am Umgang mit den Katalonien oder dem Baskenland beobachtet werden, sondern das gilt ganz besonders auch für den Umgang mit Flüchtlingen oder angesichts der autoritären Ticks und drastischen Gesetzen, die nach Ansicht vieler Beobachter in einem demokratischen Land nichts zu suchen haben.

Statt sich nach Vorbild der Briten auf ein demokratisches Vorgehen zu einigen, spricht der spanische Ministerpräsident nicht einmal mit dem katalanischen Regierungschef. Verbote und Repression bestimmen das Bild. Nachdem lange damit gedroht wurde, das katalanische Autonomiestatut auszusetzen, wird nun fast unverhohlen mit dem Einsatz des Militärs gedroht, sollte Katalonien einseitig nach Kosovo-Vorbild die Unabhängigkeit erklären, die von der EU vorangetrieben wurde und vom Völkerrecht gedeckt ist.

In einer neuen Eskalationsspirale antwortete der spanische Verteidigungsminister Pedro Morenés am Dienstag auf die Frage eines Rundfunk-Journalisten, ob die Streitkräfte dann ihrer Aufgabe nachkommen, die Einheit des Landes zu sichern: "Wenn alle ihre Pflichten erfüllen, wird es kein Vorgehen der Art geben, wie Sie es ansprechen." Und es waren vor allem die Vorgänge in Katalonien, die letztlich König Juan Carlos im vergangenen Jahr zum vorzeitigen Rücktritt angesichts etlicher Skandale bewegten. Der noch vom Diktator Franco eingesetzte König wurde von seinem Sohn Felipe abgelöst, der damit nicht nur Staatschef, sondern auch Chef der Streitkräfte ist.

Die in Spanien regierende rechte Volkspartei (PP) kennt nur einen Weg und deshalb geht sie schon strafrechtlich gegen Mas und Mitglieder seiner Regierung vor, weil sie gegen das Verbot eines von der PP dominierten Verfassungsgerichts im letzten Herbst das Volk unverbindlich befragt haben. 81% sprachen sich dabei für die Unabhängigkeit aus. Im Eilverfahren will die PP gegen den Widerstand der gesamten Opposition noch vor den Parlamentswahlen im Herbst die Verfassung ändern, um Strafmöglichkeiten auszuweiten. Das tragen nicht einmal die Sozialdemokraten (PSOE) mit, die sonst das Vorgehen gegen Katalonien wie das Verbot der Volksbefragung unterstützt haben.