Bundesverfassungsgericht verwirft Wahlrechtsänderung von Union und FDP

Kritiker freuen sich über das Ende der "Verschlimmbesserung"

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Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber heute zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren dazu aufgefordert, ein Wahlrecht vorzulegen, das den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit nicht unangemessen verletzt. Bereits im Juli 2008 hatten die Karlsruher Richter festgestellt, dass das System aus Landeslisten und Überhangmandaten nicht den Vorgaben der Verfassung entspricht und eine Änderung bis spätestens 30. Juni 2011 gefordert. Dagegen verstießen CDU/CSU und FDP gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen ließen sie sich für ihre Änderung trotz der sehr großzügigen Fristsetzung deutlich mehr Zeit und zum zweiten verabschiedeten sie ein von Kritikern teilweise als "Verschlimmbesserung" und vom Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle als "ernüchternd" kritisiertes Gesetz, das weder ein negatives Stimmgewicht noch verzerrende Effekte durch Überhangsmandate ausschloss.

Die – so entschieden die Verfassungshüter heute – darf es zwar geben, aber nur in so begrenztem Maße, dass der "Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl" erhalten bleibt. Als gerade noch zulässig erachten die Richter fünfzehn Überhangsmandate – die Hälfte des regulären Fraktionsminimums. Das sagen sie in ihrem Urteil wahrscheinlich auch deshalb so konkret, weil sie angesichts der bisherigen Arbeit des Parlaments befürchten müssen, dass andernfalls kurz vor dem nächsten Wahltermin 2013 eine erneut verfassungswidrige Regelung beschlossen werden könnte.

Nutznießer des verfassungswidrigen Wahlgesetzes, das nun geändert werden muss, wäre voraussichtlich die Union gewesen. Weil es der SPD in den letzten Legislaturperioden immer weniger gelang, in den Wahlkreisen Kandidaten aufzustellen, die auch für Anhänger kleinerer Parteien als Kompromiss wählbar sind, werden Direktmandate immer häufiger von CDU und CSU gewonnen, auch wenn deren Kandidaten (absolut wie relativ) an Stimmen verlieren. Das führte dazu, dass die Union im aktuellen Bundestag über 24 Mandate mehr verfügt, als ihr nach einem reinen Verhältniswahlrecht an Sitzen zustehen würde.

Im Verein Mehr Demokratie, der die Klage von etwa 3.000 Bürgern gegen das Gesetz mit organisiert hatte, freut man sich über das Urteil und feiert es als "Riesenerfolg". Dem Bundestag empfiehlt man nun einen Gesetzentwurf, der den Bürgern durch Mehrmandatswahlkreise mehr Wahlmöglichkeiten bietet und die Bedeutung der häufig in Hinterzimmern konstruierten Parteilisten verringert. Damit würden dem Verein nach Überhangmandate "nahezu ausgeschlossen" und taktische Wahlabsprachen deutlich erschwert. Die Union ließ jedoch bereits erkennen, dass sie nicht gedenkt, sich auf solch eine umfassendere Reform einzulassen. Ihr Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer reduzierte sich die schallende Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts mit der Parole "Überhangmandate sind nicht verfassungswidrig!" bereits als Sieg zurecht.