Das Wunderpulver, das angeblich abgeschnittene Fingerspitzen nachwachsen lässt

Die von Medien verbreitete Story eines nachwachsenden Fingers ist mit Vorsicht zu genießen.

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Wie es durch die Medien rauscht, scheint Stephen Badylak von der University of Pittsburgh eine interessante Entdeckung gemacht zu haben.

Die Story, die schon einmal Ende des letzten Jahres zirkulierte,. geht so: Der 69-jährige Lee Spievak hatte sich eine Fingerkuppe seines Mittelfingers vor drei Jahren bei einem Unfall abgeschnitten: Zufällig hat Spievak einen Bruder, der in seiner Firma ("Better healing ... naturally") einen Puder nach dem Rezept von Badylak hergestellt hat, der die Wundheilung befördern soll. Die darin enthaltende extrazelluläre Matrix aus Kollagen und dem von allen Zellen befreiten Gewebe von Schweineblasen, ursprünglich entwickelt zur Wundheilung bei Pferden, hat nach einer mehrtägigen Behandlung vier Wochen nach dem Unfall angeblich bewirkt, dass die Fingerspitze wieder nachgewachsen ist – mitsamt Nerven, Haut und Nagel. Auf Bildern sieht man nur noch eine kleine Narbe.

Badylak, der zur Wundheilung auch Biomaterial aus Submucosa des Dünndarms (SIS) von Schweinen entwickelt hat, räumt ein, dass es auch ihm nicht bekannt ist, was diese extrazelluläre Matrix bewirkt. Es sei ein "Schuss ins Dunkle".

Er geht davon aus, dass sie irgendwie das Wachstum der Zellen stimuliert. Unbescheiden ist er gleichwohl nicht. Er geht davon aus, dass vielleicht schon in zehn Jahren ein Puder oder ein Pflaster entwickelt sein könnte, durch das auch Knochen und das umgebende Gewebe nachwächst. Möglicherweise könne man so auch ein Bein oder einen Arm nachwachsen lassen. Badylak beginnt nun mit einem Versuch an einer Frau in Argentinien, auch das Pentagon soll mit Tests beginnen, beispielsweise zur Regeneration verbrannter Haut.

Allerdings melden andere Mediziner Zweifel an der Story an. Der britische Chirurg Stephen Kaye von der Leeds University erklärt nach Ansicht der Fotos, er sei keineswegs überrascht, dass die Fingerspitze wieder gewachsen sei. Das hätte sie auch ohne das Puder gemacht, da vermutlich durch den Unfall weder Knochen noch Nerven beschädigt worden seien. Es sei ein großer Unterschied zwischen Wundheilung und Regeneration. Damit dürfte die Wirkung des Wunderpuders, der die Menschen doch nicht gleich mit den Kräften eines Salamanders ausstattet, in den rechten Rahmen gerückt und die finanziellen Erwartungen gedämpft worden sein. Aber wahrscheinlich entspricht die Story vom Wunderpulver und nachwachsenden Körperteilen den Erwartungen oder Hoffnungen der Menschen und Medien.