Deutscher Furor gegen die USA
Die Aufregung über die Spionagetätigkeiten der USA ist ein Seismograph für die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten
In Deutschland gibt es in diesen Tagen bei zwei Themen keine Parteien mehr, sondern nur noch Patrioten: beim Fußball und bei der Aufregung über die NSA-Affäre und ihre Weiterungen. Bei der WM sind es noch einige kritische Publizisten, die aufmerken, wenn nach dem Match Frankreich - Deutschland die Parole "Blitzkrieg" gegrölt wird.
Bei der Empörung über das Forschungsinteresse der USA sucht man selbst die vergeblich. In der parlamentarischen Opposition im deutschen Bundestag braucht man Kritiker des neuesten deutschen Furors bestimmt nicht zu suchen. Dort wurden mit dem Pochen auf deutsche Souveränität und dem Vorwurf an die Regierungskoalition, deutsche Interessen gegenüber den USA nicht durchzusetzen, die Stichworte geliefert, die mittlerweile die Politiker von Union und SPD dankbar aufgenommen haben.
Nun hat die Regierung ernst gemacht und den höchsten Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland ausgewiesen. Genau das hatten in den letzten Stunden Spitzenpolitiker von Union und SPD gefordert.
Gegen die digitale Besatzungsmacht USA
Darunter war der innenpolitische Sprecher der Union, der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl, der im Interview mit dem Deutschlandfunk gleich noch einmal seine in den letzten Tagen häufig benutzte Klassifizierung der USA als "digitale Besatzungsmacht" wiederholte. Der Sprecher der größten Regierungspartei verwendet hier einen Terminus, der in den letzten drei Jahrzehnten zumindest offiziell nur noch von Rechtsaußenparteien benutzt wurde.
Denn offiziell gibt sich Deutschland zivil und sagt brav, dass die USA im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition Deutschland besetzen musste, um das mörderische NS-System zu zerschlagen. Nur diejenigen, die diesem Regime nachtrauern, reden von der Besatzungsmacht USA.
In den fünfziger Jahren, als all die NS-Unterstützer noch in Amt und Würden waren, war das noch anders. Da war das Lamento gegen die Besatzungsmächte, die Deutschland vom rechten Weg abgebracht haben allgegenwärtig.
Nun scheint im Zuge der NSA-Debatte ein Rückfall in diese Zeiten wieder möglich. Denn wer, wie Uhl, im Zusammenhang mit den USA den Begriff Besatzungsmacht einführt und ständig wiederholt, der weiß, dass er damit in der Bevölkerung auf Resonanz stößt. Der sozialdemokratische Koalitionspartner will beim deutschen Furor gegen die USA natürlich nicht ins Hintertreffen geraten. Die SPD-Generalsekretärin Fahimi will es denn auch nicht bei der Ausweisung eines US-Geheimdienstlers belassen und fordert, dass weiteres Personal die Koffer packen muss.
Die Legende von der deutschen Datensensibilität
Und was machen die vielzitierten Atlantiker aller Parteien, die doch angeblich mit diversen Stiftungen mit den USA verbunden und einen großen Einfluss auf die hiesige Politik haben sollen? Die Taz hat einige dieser Freunde der USA in FDP, Union, bei den Grünen und in der SPD besucht.
"Die NSA-Debatte ist gefährlich für das deutsch-amerikanische Verhältnis", wird der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz in dem Artikel zitiert. "Die öffentliche Unterstützung für transatlantische Bündnisse bröckelt", sekundiert ihm sein liberaler Kollege Alexander Graf von Lambsdorff.
Dabei sehen auch die Atlantiker die Schuld für die Verschlechterung der transatlantischen Beziehung. So erklärt Ruprecht Polenz, die Deutschen hätten zweimal erlebt, wie der Staat zum Feind der Bürger werden könne - in der Nazi-Zeit und in der DDR. "Solche Erfahrungen kennen die Amerikaner nicht." Sie könnten die deutsche Sensibilität beim Datenschutz schwer nachvollziehen.
Doch wie weit ist es denn mit der deutschen Sensibilität beim Datenschutz her, wenn im Zuge der Agenda 2010 Tauende Erwerbslose von Detektiven ausgeschnüffelt werden, ob sie in einer Bedarfsgemeinschaft leben? Tatsächlich wird die alltägliche Schnüffelpraxis deutscher Behörden sogar durch Aktivbürger unterstützt, die Menschen denunzieren und anzeigen.
Wo blieb die Empörung als der Autor Josef Forschepoth enthüllte, wie westdeutsche Geheimdienste jahrelang Post aus der DDR öffneten und oft sogar vernichteten? Nur die Teile seines umfangreichen Buches, das sich mit der Abhörpraxis von ausländischen Diensten befasst, sorgten für Aufmerksamkeit. Es bedarf schon einer ausländische Macht wie den USA, damit man in Deutschland sensibel beim Datenschutz wird.
Zumal der Furor sich auch nicht auf Fakten stützen kann. Denn selbst die lautesten Kritiker der USA müssen zugeben, dass bei den jüngsten Spionagefällen völlig unwichtige Erkenntnisse gesammelt worden seien. Dass der NSA-Untersuchungsausschuss überhaupt ausgespäht werden sollte, ist überhaupt nicht erwiesen.
Nur wenige werfen den deutschen Ermittlungsbehörden Unprofessionalität vor, weil sie bei völlig vagen Verdachtsmomenten an die Öffentlichkeit gingen und die Stimmung anheizten. Tatsächlich ist die Enpörung, welche die vermeintlichen Spionagefälle in Deutschland auslösen, kein Anzeichen dafür, dass die Schnüffeltätigkeit der USA in Deutschland verstärkt wurde, sondern dass sich das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland verschlechtert.
Dafür sind die Spionagefälle nicht die Ursache, sondern nur ein Anlass. Der Grund liegt einfach darin, dass Deutschland und seine Verbündeten eigene weltpolitische und ökonomische Interessen gegen die USA formulieren und durchsetzen wollen. Die Atlantiker weisen darauf hin, dass es in manchen Fällen ohne die USA nicht gehe. Doch auch sie wollen ein Bündnis USA-Deutschland unter neuen für Deutschland vorteilhaften Bedingungen durchsetzen.
Die deutsche Linke und die Souveränität
Das ist auch der Kern der Debatte über die fehlende deutsche Souveränität, die von der linken parlamentarischen Opposition in die Debatte geworfen und jetzt vom Regierungslager aufgegriffen wurde. Damit erwies sich diese Opposition wieder einmal als besonders deutsch. Die Frage, warum es sie stören muss, wenn die USA die deutsche Regierung ausspäht, stellt sie sich gar nicht, weil sie vom deutschen Interesse aus argumentiert.
Wie weit da der Mainstream der deutschen Linken heute von ihren Vorbildern entfernt ist, auf die sie sich an historischen Gedenktagen gelegentlich beruft, zeigt sich daran, dass die Bolschewiki nach der Oktoberrevolution sämtliche Geheimdokumente des zaristischen Regimes veröffentlichten.
In der kurzen Zeit der Münchner Räterepublik unter dem Linkssozialisten Kurt Eisner wurden ebenfalls alle Geheimdokumente der gestürzten bayerischen Monarchie veröffentlicht. Dafür zog sich Eisner den tödlichen Hass der alten Gewalten zu, die ihn und später viele Anhänger der Räterepublik ermordeten.
Sowohl die junge sowjetische als auch die bayerische Räterepublik gingen von dem Grundsatz aus, dass die Geheimdienste aller herrschenden Klassen aufgelöst und ihre Geheimnisse öffentlich zugänglich gemacht werden sollten. Nie wären sie auf den Gedanken gekommen, dass das Ausspähen dieser Geheimnisse ihr Problem ist. Eine solche grundsätzlich staatskritische Haltung sucht man heute bei der parlamentarischen Opposition vergeblich.