Energiewende: Fuß auf der Bremse festgeklebt
Berliner Koalition einigt sich endlich auf Sonderausschreibungen, die aber für die Windenergie zu spät kommen. 2019 droht Auftragsloch im Inland, weil Versprechen gebrochen werden
Die Koalitionsspitzen in Berlin haben offensichtlich endlich eine Einigung in der Frage der Sonderausschreibungen für Windkraft- und Solaranlagen erzielt. Die berichtet unter anderem der Energate Messenger. Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart sollen für beide Technologien zusätzlich 4.000 Megawatt (MW) ausgeschrieben werden.
Allerdings sollen diese in drei Stufen von 1.000 MW, 1.400 MW und 1.600 MW bis 2021 gestreckt werden. Die Union habe die Sonderausschreibungen sogar noch weiter, über die Legislaturperiode hinaus strecken wollen. Da gegen hätten sich die Sozialdemokraten aber gesperrt.
Im Koalitionsvertrag steht allerdings noch etwas anderes:
"Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deutlich erhöht werden, auch um den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken. Vorgesehen sind Sonderausschreibungen, mit denen acht bis zehn Millionen Tonnen CO2 zum Klimaschutzziel 2020 beitragen sollen. Hier sollen je vier Gigawatt Onsho- re-Windenergie und Photovoltaik sowie ein Offshore-Windenergiebeitrag zugebaut werden, je zur Hälfte wirksam in 2019 und 2020. Voraussetzung ist die Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Netze."
Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, Februar 2019
Ziele aufgegeben
Die jetzt geplanten Ausschreibungen werden aber später greifen, die ersten Projekte sicherlich erst ab 2020. Damit werden sie zum einen nicht zum Klimaschutzziel 40 Prozent Reduktion der Treibhausgase gemessen am 1990er Niveau bis 2020) beitragen. Zum andern werden sie nicht, wie ursprünglich versprochen, den befürchteten "Fadenriss" verhindern.
Damit ist die Tatsache gemeint, dass die Installation 2019, wie seit längerem absehbar ist, massiv einbrechen wird. Schuld sind die neuen Ausschreibungsverfahren und deren Webfehler. Bei den ersten Ausschreibungen erhielten viele Projekte Zuschläge, die noch nicht alle notwendigen Genehmigungen hatten. Dadurch werden diese, anders als geplant, noch nicht 2019 mit den Bauarbeiten beginnen können.
Der Bundesverband Windenergie sieht dennoch einen "akzeptablen politischen Kompromiss" gefunden, mahnt aber bessere Innovationsförderung an. Angesichts der Planungszeiten von drei bis fünf Jahren sie es aber sehr spät, wenn die Koalitionspartner, wie angekündigt, erst im Herbst 2019 über die Ausbaupfade bis 2030 sprechen wollen.
Klimaschutz geht anders
Erschwerend kommt hinzu, dass die Koalition weiter am Ziel festhält, den Anteil der erneuerbaren Energieträger bis 2030 auf lediglich 65 Prozent ausbauen zu wollen. Angesichts dessen, dass 2018 voraussichtlich schon 40 Prozent erreicht sein wird, bedeutet das, dass man weiter kräftig auf die Bremse treten möchte.
Klimaschutz geht wirklich anders, und diese anhaltende Verzögerungspolitik ist mehr als befremdlich. Immerhin haben Vertreter der Bundesregierung die Dringlichkeit der raschen Minderung der Treibhausgase jüngst im koreanischen Incheon implizit anerkannt, als sie dem neuesten IPCC-Bericht, dem Bericht der UN-Organisation für Klimawissenschaften, zustimmten.
Der BWE ist außerdem irritiert, dass die Bundesregierung mit diversen Interessengruppen über die Akzeptanz des Windkraftausbaus sprechen wolle, aber die Windindustrie nicht dazu einlade.
"Eine Zukunftsbranche - die in Deutschland 160.000 Menschen Beschäftigung gibt und die international die technologische Spitze bestimmt – nicht zu beteiligen, ist unverständlich. Es ist dringend erforderlich die Energieverbände hier einzubinden."
Hermann Albers, BWE-Präsident
Weiter große Zustimmung
Was die Akzeptanz angeht, hat eine im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) erstellte Meinungsumfrage kürzlich eine weiter große Zustimmung der Bevölkerung zur Energiewende ermittelt.
Demnach ist "stärkere Nutzung und Ausbau erneuerbarer Energie" für 72 Prozent "sehr oder außerordentlich wichtig". Weitere 21 Prozent finden sie wichtig und nur zwei Prozent überhaupt nicht wichtig.
Auch mit Anlagen in der eigenen Nachbarschaft hat eine Mehrheit wie es aussieht keine Probleme. 63 Prozent würden den Bau einer Erneuerbaren-Energien-Anlage in ihrer Nachbarschaft akzeptieren, heißt es bei der AEE. Die Zustimmungsraten steigen gar auf 83 Prozent (PV-Anlage) bzw. 69 Prozent (Windenergie-Anlage), wenn die Befragten bereits mit Erfahrungen im eigenen Umfeld haben.
Von der Bundesregierung wird derweil mehr Enthusiasmus erwartet. 61 Prozent der Befragten wünsche, dass sich die Bundesregierung mehr für eine saubere und klimafreundliche Stromversorgung einsetzt. 73 Prozent der interviewten Bürger wünsche sich mehr Engagement bei der Umgestaltung des Verkehrs unter Klimaschutz-Aspekten.
Die Ergebnisse wurden am 23. Oktober veröffentlicht. Die AEE wird von verschiedenen Ministerien und den Interessenverbänden der erneuerbaren Energie getragen. (Hier eine Liste der Förderer.)
Pleitegeier kreist über GE
Unterdessen berichtet das Handelsblatt, dass das US-Traditionsunternehmen mit seinen Milliardenverlusten auch die Aktien anderer Hersteller von Windkraftanlagen mit in den Keller zieht. Vestas habe 6,5 Prozent verloren und Siemens Gamesa zwischenzeitlich ebenfalls mehr als sechs Prozent.
Der deutsche Hersteller Nordex habe ein Minus von vier Prozent hinnehmen müssen. Die deutschen Windkraftanlagenbauer leiden sicherlich auch darunter, dass ihnen der Heimatmarkt langsam wegbricht. Es spricht ohnehin Bände, dass die 20.000 Arbeitsplätze in der Braunkohle in der öffentlichen Debatte so ein großes Gewicht haben, während sie Entlassungen in der Windbranche die Bundesregierung nicht weiter so stören scheinen.