Es wird ernst
Twitter sperrt im Wahlkampf satirische Accounts
"Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)"
So lautete am 8. März 2016 ein Tweet des bekannten Fachanwalts für IT-Recht Thomas Stadler, der auch einen Link zum (mäßig) satirischen Account AfD-Hauptquartier enthielt. Doch dieser Tage versteht Twitter keinen Spaß und sperrte den Account des politisch äußerungsfreudigen Anwalts - mit dreijähriger Verspätung.
Stadler zufolge wirft ihm Twitter vor, er versuche, Wahlen zu beeinflussen. Wenn der Anwalt weiter zwitschern möchte, möge er doch bitte den bösen Tweet löschen. Der bekannte Blogger denkt allerdings nicht daran.
Die Annahme, jemand lasse sich auf Twitter das Unterschreiben von Wahlscheinen einreden, ist einigermaßen absurd. Wer wirklich so doof sein sollte, schafft zweifellos auch auf andere Weise den Anschluss an die ca. 2 % ungültigen Stimmen.
Die Sperrung dürfte auf eine Meldefunktion von Twitter zurückzuführen sein. Demnach machte sich also irgendeine verlorene Seele die Arbeit, in Stadlers über 54.000 Tweets nach etwas zu suchen, um durch Verpetzen den Account lahm zu legen. Da sich Satire auch mit Suchfunktionen nur begrenzt filtern lässt, ist das wohl letztlich Handarbeit. Vermutlich wühlen sich daher dieser Tage Lösch-Brigaden durchs Netz, die systematisch politischen Gegnern den Schnabel verbieten wollen.
Twitter ist nur begrenzt schuldig, denn die Politik hatte jüngst die Social Media-Plattformen aufgefordert, Manipulation der EU-Wahl einzuhegen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz des Heiko Maas lässt grüßen, seine inzwischen 18%-Partei bangt um jede Stimme.
Das kleine Problem dabei ist allerdings, dass Meinungen ja erst durch Kommunikation gebildet werden müssen und gegenseitige Beeinflussung das Wesen der Demokratie ist. Während wenig dagegen spricht, Social Bots aus dem Rennen zu nehmen, erscheint der Versuch pädagogischer Umerziehung von Freizeit-Satirikern allerdings nicht als sonderlich aussichtsreich. Schon gar nicht ohne aktuellen Bezug.
Das von Heiko Maas durchgepeitschte Gesetz, das zwangsläufig zu Overblocking führen muss, raubt gelegentlich auch den eigenen Genossinnen und Genossen die Stimme. So wurde etwa gerade Sawsan Chebli wegen eines missverständlichen Tweets ausgesperrt. Wenn dann demnächst die Uploadfilter kommen, braucht nicht einmal mehr gepetzt zu werden.
Solche Sperrungen haben aber durchaus Wechselwirkung. Zum einen werden die Denunzianten gezwungen, die eigene Filterblase zu verlassen und beim politischen Gegner die an sie adressierte Kritik auch zu lesen, was zur politischen Bildung beiträgt. Zum andern gibt es ja immer noch den guten alten Streisand-Effekt. Oder hätten Sie ohne die Sperrung von Stadlers drei Jahre altem Tweet erfahren?