"Europa muss nicht am Kreuz des Euro geopfert werden"

Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wirbt weiter für massive Reformen oder eine Aufteilung des Euroraums in zwei Währungsräume

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Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz war gerade in Europa unterwegs, um sein neues Buch vorzustellen: "The Euro: How a Common Currency Threatens the Future of Europe". Immer wieder hat der Wirtschafts-Nobelpreisträger in der letzten Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass die Idee eines geeinten Europas genau durch die Fixierung auf eine gemeinsame Währung bedroht wird. Im Sommer hatte der Professor der Columbia University New York schon in einem Beitrag, als Vorgriff auf sein Buch, erklärt: "Europa muss vielleicht den Euro aufgeben, um das europäische Projekt zu retten" und deshalb eine "einvernehmliche Scheidung" angesprochen.

Länder wie Griechenland oder Portugal hätten in der derzeitigen Konstruktion der Gemeinschaftswährung keine Chance, weshalb er beim Besuch in Portugal unlängst praktisch sogar ins Horn der Kommunisten blies, die sich aus der "Unterwerfung unter den Euro" befreien wollen. "Die Mitgliedschaft im Euro wird für Portugal teurer, als ihn zu verlassen", erklärte er im Interview. Er warb für einen "sanften Euroaustritt" des Landes, um die Geldpolitik zurück in die eigenen Hände zu bekommen. Auf dem Weg, auf dem sich das Land derzeit befinde, sei das Wachstum gefährdet und es würden "irreversible Schäden" angerichtet.

Tatsächlich gerät die sozialistische Regierung immer stärker in die Zwickmühle, da unter den derzeitigen Voraussetzungen im Euro die Wirtschaft nicht so anspringt, wie sie es erwartet hatte. Das Wachstum bleibt mit 1% eher schwach, auch weil wichtige Exportmärkte wie Brasilien und Angola schwächeln oder in der Rezession stecken. Dazu fordert die EU-Kommission im Haushalt 2017 neue Einschnitte, gedroht wird damit, einen Teil der Gelder aus EU-Fonds zu streichen, womit die Lage zudem zugespitzt würde.


So könnte die Debatte um einen Euro-Austritt sehr schnell virulent werden, denn nächste Woche entscheidet die kleine Ratingagentur DBRS erneut über die Kreditwürdigkeit des Landes. Zuletzt zeigten sich auch die Kanadier skeptisch. Würde auch DBRS Portugal auf Ramsch-Niveau herabstufen, dann darf die Europäische Zentralbank (EZB) keine Staatsanleihen des Landes mehr kaufen. Die Zinsen dürften dann explodieren und für das Land unbezahlbar werden. Im Frühjahr hatte sich DBRS das nicht getan und den Ausblick stabil gehalten.

Schwacher Süd-Euro und starker Nord-Euro

Doch das Problem ist für Stiglitz nicht auf Griechenland oder Portugal beschränkt, letztlich sieht er auch Spanien in dem Boot derer, die besser gemeinsam einen "Schwach-Euro" bilden sollten, um über die Abwertung auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger zu sein, anstatt intern über Lohnsenkungen abzuwerten. Er geht davon aus, dass ohne einen schwächeren "Süd-Euro" und einen stärkeren "Nord-Euro" die stagnierende Gemeinschaft zerbrechen dürfte, weil keines der zentralen Ziele erreicht wurde. Dass es nicht zu Wohlstand und politischer Integration komme, führe zu Frustration, erklärte er im Interview in Spanien. "Europa muss nicht am Kreuz des Euro geopfert werden."

Obwohl Spanien ein relatives starkes Wachstum zwischen 2,5 und 3% hat, reicht es nicht aus. "Ihr wachst nicht stark genug, um aus der tiefen Krise herauszukommen", erklärte er mit Blick auf eine Arbeitslosenquote, die noch immer bei knapp 20% und fast doppelt so hoch wie in Portugal ist. Verantwortlich sind hier die tiefen Verwerfungen als Folge der geplatzten Immobilienblase. Genau der Euro, der zu ungewohnt niedrigen Zinsen führte, habe dazu beigetragen. "Ohne den Euro wäre es viel schwieriger gewesen, eine Immobilienblase zu bekommen." Niedrige Zinsen gaukelten den Familien vor, die Hypotheken bezahlen zu können, doch als die variablen Zinsen in der Finanzkrise explodierten, brach das Modell in sich zusammen, brachte eine enorme Arbeitslosigkeit, eine halbe Million Zwangsräumungen, zahllose faule Kredite und abstürzende Banken mit sich, die in verschiedensten Varianten immer noch gerettet werden.

Neben dem viertgrößten Euroland Spanien sieht Stiglitz aber auch das drittgrößte Euroland Italien schon mit einem Bein außerhalb des Euros. Im Interview mit der "Welt" machte er kürzlich auf seiner Europa-Rundreise zwar klar, dass er davon ausgeht, dass es in zehn Jahren vermutlich noch eine Euro‑Zone geben dürfte. "Es ist auf jeden Fall sehr unwahrscheinlich, dass sie immer noch 19 Mitglieder oder sogar noch mehr haben wird." Die Frage, ob Italien noch dazugehören werde, beantwortete er so:

"Wenn ich mich mit Italienern unterhalte, spüre ich, dass die Menschen dort zunehmend enttäuscht sind vom Euro. Wissenschaftler und führende Politiker sind auf breiter Front frustriert und enttäuscht von der Währungsunion. Den Italienern wird gerade klar, dass Italien im Euro nicht funktioniert. Das ist für die Italiener emotional wirklich schwierig, und sie haben sich lange geweigert, diese Einsicht zu akzeptieren."

Er meint zwar, dass die Eurozone noch reformierbar sei, um sie als Projekt zu retten. Interessant ist, dass die Zeitung aber nicht danach fragt, welche das sein müssten. Allerdings hat er schon in anderen Interviews die Notwendigkeit angesprochen, dass ein Land oder mehrere Länder zumindest zeitweise aus diesem Euro aussteigen können müssen, dass es eine gemeinsame Einlagensicherung und einen gemeinsamen Umgang mit Staatsschulden geben müsse, wie zum Beispiel über Eurobonds. Ohne solche Mechanismen wie einen Länderfinanzausgleich hätte auch die deutsche Wiedervereinigung nicht funktioniert.

Doch dagegen würde vor allem Deutschland weiter einwenden, dass "Europa keine Transferunion" sei. Er beklagt deshalb fehlende "Solidarität", sogar für sozialdemokratische Nord-Länder "hört die Solidarität an der Grenze auf". Er glaubt nicht, dass Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Reformen bereit sei, ohne die die Euro-Zone in ihrer jetzigen Form keine Zukunft habe. Es fehle "Entschlossenheit". Die Politiker erklärten zwar, "dass sie sich dem Euro voll und ganz verpflichtet fühlen, aber dann sind sie nicht bereit, die Reformen anzuschieben, die nötig sind, damit die Gemeinschaftswährung funktioniert". Das ist der Grund warum er davon ausgeht, dass der Euroraum zerbrechen wird und vermutlich auch große Länder wie Spanien und Italien das Weite suchen werden.