Muss die EU-Kommission Portugal und Spanien Gelder streichen?
Im Europaparlament wurde die Streichung von Fondsgeldern auf breiter Front abgelehnt
Nachdem die EU-Kommission wegen den Defizitverstößen gegen Spanien und Portugal im Juli auf eine Strafzahlung verzichtet hatte, steht nun die Frage der Aussetzung von Fondsgeldern auf der Tagesordnung.
Wirtschaftskommissar Jyrki Katainen hatte schon darauf hingewiesen, dass "ein Teil" der Gelder ausgesetzt werden müsse, wenn festgestellt werde, dass "ein Mitgliedsland keine effektiven Maßnahmen" zur Einhaltung der Defizitziele ergriffen habe.
Als nun am Montagabend mit Europaparlamentariern über die Aussetzung von Fondsgeldern debattiert wurde, wiederholte Katainen, es handele sich dabei um eine "Pflicht". Die für Regionalpolitik zuständige Kommissarin Corina Cretu erklärte in der Ausschusssitzung in Straßburg, dass man es gar nicht mit einer Strafe zu tun habe und die Auswirkungen ohnehin nur minimal sein würden. Und "kurzfristig" gäbe es keine, bestenfalls würde es einige Investitionen verzögern, argumentierten beide, ohne Details zu nennen. Ohnehin würden die Strafen wieder aufgehoben, wenn beide Länder die versprochenen Maßnahmen zur Defizitreduzierung umsetzen, sagten sie mit Blick auf die Haushalte für 2017, die bis zum 15. Oktober vorgelegt werden müssen.
Sogar bis in die Fraktion der Konservativen gab es Kritik an dem Vorhaben. "Kafkaesk", "absurd", "ungerecht", "kontraproduktiv" waren nur einige der Bezeichnungen für die geplante Aussetzung von Geldern, die Vertreter im Wirtschafts- und Regionalausschuss dafür fanden. Gefragt wurden die EU-Kommissare von diversen Abgeordneten auch, ob das die Antwort Brüssels auf den Brexit sein solle und so das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden solle.
Das war auch die Meinung der regionalpolitischen Sprecherin der LINKEN im Europaparlament. Martina Michels sieht den Zusammenhalt in der EU weiter gefährdet, denn eine "Spirale aus Sparauflagen", die von der Kommission gefordert würden, führe zum "Rückgang öffentlicher Investitionen auf allen Ebenen und damit Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage". Das werde durch die Aussetzung von Fondsgeldern noch verstärkt. "Das ist das Gegenteil von Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse, dem Kernziel der EU-Kohäsionspolitik".
Möglich wäre es, bis zu 50% der Zahlungen für 2017 zu streichen. Und wie Telepolis schon aufgezeigt hatte, könnten auch Projekte zu Fall gebracht werden, die im Zusammenhang des Jugendgarantie-Versprechens stehen. Dazu zog die EU gerade sogar eine vorsichtige positive Bilanz. Das ist angesichts der Tatsache, dass drei Jahre nach dem Versprechen in Spanien noch immer mehr als 42% und in Griechenland sogar fast 48% aller jungen Menschen keinen Job, Ausbildungs- oder Praktikumsstelle haben, ein Hohn. Denn das sollte ihnen nach dem Versprechen in nur vier Monaten garantiert werden.
So befürchtet auch Michels, dass Projekte von der Strafe betroffen sein könnten, "die sich darum bemühen, Menschen aus Armut und sozialer Ausgrenzung" herauszuhelfen. Sie forderte deshalb von der Kommission, wenigstens zu sichern, dass keine geplanten und benötigten Projekte zunichtegemacht werden.
Umso größer das Land, umso nachsichtiger ist man in Brüssel
Ohnehin ist auch klar, dass es eine sonderbare Auslegung der Stabilitätsziele in der Kommission gibt. Umso größer das Land, umso nachsichtiger ist man in Brüssel. Frankreich und Deutschland verstoßen massiv gegen Stabilitätskriterien.
Frankreichs Haushaltsdefizit liegt zum Beispiel seit 2006 über der Marke von 3% und das Land wird das Ziel auch im laufenden Jahr nicht einhalten. Arbeitet man in Brüssel an Sanktionen? Nein! Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte sogar offen erklärt, er tue seit Jahren nichts anderes, als der Regierung in Paris Ausnahmen von den Regeln des Stabilitätspakts zu gewähren. Auf die Frage, warum er das mache, antwortete er nur: "Weil es Frankreich ist." Man müsse Rücksicht auf seine spezielle Mentalität und politische Reflexe nehmen.
Hat man bisher schon etwas von einer Sanktionsforderung gegen Deutschland vernommen? Dabei werden notorisch auch die dauernden deutschen Verstöße gegen die Leistungsbilanzüberschüsse ignoriert. Seit 2012 liegt der Überschuss über der Höchstmarke von 6%, ein ohnehin sehr hoher Schwellenwert im Stabilitätspakt, der für Ungleichgewichte in der EU sorgt. 2016 dürfte mit 8,5% sogar eine neue Rekordmarke erklommen werden.
Man kann die Ungleichbehandlung auch im Vergleich Spanien und Portugal sehr deutlich sehen, wozu auch politische Faktoren beitragen. Hatten die Konservativen in Spanien ohnehin schon ein Jahr mehr Zeit bis 2016 erhalten, um das Defizit wieder auf 3% zu senken, wird Portugal besonders hart angegangen, weil das Land das nicht schon 2015 geschafft hat. Und Spanien gewährt die Kommission nun sogar weitere zwei Jahre, um auf 3% zu kommen, während von Portugal gefordert wird, es nun auf 2,5% zu senken.
Die spanischen Konservativen werden also erneut dafür belohnt, dass ihr Defizit mit 5,2% deutlich höher lag als das in Portugal. Der Nachbar hätte sogar das 3%-Ziel sogar praktisch wieder eingehalten, wäre nicht eine von Brüssel genehmigte Bankenhilfe dazwischengekommen. Anders als Spanien dürfte es Portugal 2016 aber schaffen, das Defizitziel einzuhalten. Spanien wird dagegen, angesichts der seit zehn Monaten blockierten Regierung, nicht einmal erreichen, zum geforderten Termin einen Haushalt in Brüssel vorzulegen. Klar ist, auch wegen der Selbstzerfleischung bei den spanischen Sozialdemokraten (), dass vor Monatsende keine Regierung gebildet werden kann. Viel spricht derzeit sogar für Neuwahlen an Weihnachten, weil sich Rajoy nun ausrechnet, mit den rechten "Ciudadanos" (Bürger) dann eine stabile Mehrheit zu erhalten.
Deshalb muss man erneut damit rechnen, dass Brüssel den konservativen Freunden nicht in die Parade fahren wird. Steht keine Regierung, wird die Aussetzung von EU-Geldern bestenfalls nur sehr sanft und symbolisch ausfallen, um den Konservativen nicht vor den Wahlen zu schaden. Deshalb hatte man die Entscheidung über Sanktionen bisher immer wieder vertagt.
Eigentlich sollte die Entscheidung über eine Defizitstrafe und die Aussetzung von Fördergeldern schon im Frühjahr fallen. Letztlich wurde keine Strafzahlung verhängt, um dem konservativen Mariano Rajoy nicht die Rechnung für seine verfehlte Politik auszustellen und damit die Bildung einer möglichen Rechtsregierung zu verhindern. Dafür machte sich vor allem Schäuble stark, der zuvor am lautesten nach Strafen gerufen hatte.