Frankreich: Umweltminister Hulot tritt überraschend zurück
Atomkraftirrsinn, Lobbys, Pestizide - Monsieur Hulot hat genug vom Zirkus: Er will sich und das Land nicht länger belügen. Frankreich tue nicht das Notwendige
"Bislang ist ihm in der politischen Praxis noch nicht viel Transformatorisches gelungen; bedeutende Veränderung sind noch ausgeblieben, es setzte mehr Kritik als Lob für seine Arbeit", schrieb Telepolis kürzlich über den französischen Umweltminister Nicolas Hulot.
Und diese Einschätzung teilt ganz offensichtlich auch der Minister selbst, der daraus heute überraschend (und gleichzeitig nicht überraschend) im französischen Radiosender France Inter die Konsequenzen zog. Er erklärte: "Ich werde heute meine schwerste Entscheidung treffen. Ich entscheide mich, die Regierung zu verlassen."
Es sei eine sehr schwere Entscheidung gewesen, unterstreicht der "Minister für den ökologischen und solidarischen Übergang". Da eben dieser Übergang in der neoliberalen Regierung unter Emmanuel Macron nichts wird, nimmt der untypische Minister auch untypisch per Radio seinen Hut aus "Aufrichtigkeit und Verantwortung", denn er will sich "nicht mehr selbst belügen".
Er habe seinen Schritt weder mit Präsident Macron noch den Premierminister Edouard Philippe abgesprochen, denn sie hätten ihn unter Umständen umzustimmen vermocht. Es sei eine Entscheidung "zwischen mir und mir" gewesen, sagte er.
Wie man aus gut informierten Kreisen in Paris hören kann, soll Hulot "alle zwei Wochen" mit seinem Rücktritt gedroht haben. Das wurde offensichtlich in einem Politzirkus, wo die Profi-Politiker üblicherweise auf ihren Ministersesseln kleben, egal ob sie ihre vorgegebenen Ziele erreichen oder nicht, aber nicht sonderlich ernst genommen. Doch der Journalist meinte es ernst.
"Wer hat die Macht, wer regiert?"
Er zieht eine sehr negative Bilanz seines Wirkens in einem "dominanten" liberalen Modell, das die Umwelt zerstöre, in dem "Lobbys im Umfeld der Macht" wirkten. "Es ist eine Frage der Demokratie: Wer hat die Macht, wer regiert?"
Seine Entscheidung zum Rücktritt sei aus einer "Zusammenballung von Enttäuschungen" gefallen. Das Fass zum Überlaufen habe die Entscheidung des Präsidenten Macron nach einem Treffen mit Jägern gebracht, das damit endete, dass die Gebühren für Jagdlizenzen gesenkt wurden. Im Interview stellt Hulot die Frage: "Haben wir damit begonnen, die Nutzung von Pestiziden zu reduzieren?"
Er gibt auch selbst die Antwort: "Nein!" Zum gleichen negativen Ergebnis kommt er beim Verlust der Biodiversität, denn auch das Artensterben oder die Versiegelung der Böden sei nicht eingeschränkt worden.
"Atomkraft ist unnützer Irrsinn"
Er habe nur etwas "Einfluss", aber "keine Macht" gehabt. Besonders drastische Worte findet Hulot zur Frage der Atomkraft in Frankreich, in der die Atomlobby besonders stark ist. Er nennt sie einen "unnützen Irrsinn, technisch und ökonomisch", an dem man stur festhalte. Auch in dieser Frage habe er nicht überzeugen können. Klar ist, dass in der Atomkraftfrage sein Scheitern besonders augenfällig ist.
Da wurde ein Uraltmeiler im AKW Fessenheim, das sogar schon einmal außer Kontrolle geraten war, das eigentlich schon die sozialdemokratische Vorgängerregierung komplettabschalten wollte, nun wieder vollständig hochgefahren, obwohl darin sogar ein fehlerhafter Dampferzeuger verbaut ist.
Den Meiler hatte sogar die atomfreundliche Aufsichtsbehörde (ASN) zwischenzeitlich abschalten lassen. Es schien, dass die Behörde ihre eigenen Worte - sie sprach von der "besorgniserregendenSicherheitslage" in Atomkraftwerken - etwas ernster nehmen würde. Weit gefehlt.
Das zurückgezogene Prüfzertifikat wurde nach der Prüfung von Unterlagen aus der Schmiede, in der über Jahrzehnte Dokumente für sicherheitsrelevante Teile gefälschtoder aufgehübscht wurden, dann doch wieder erteilt. Die "Anomalien" stellten angeblich "die Diensttauglichkeit nicht in Frage", meinte die ASN nach der Prüfung.
Den Übergang bei der Energieversorgung "verpennt"
Es ist ganz offensichtlich, dass man in Frankreich die Wende hin zu erneuerbaren Energien verpennt hat und weiter verpennt, weil der Übergang nicht eingeleitet wird. So steht das Atomstromland fast jeden Winter kurz vor dem Blackout, weshalb auch die ältesten Meiler nicht abgeschaltet werden dürfen.
Die Abschaltung von Fessenheim wurde deshalb mit der Inbetriebnahme des neuen EPR-Reaktors in Flamanville verknüpft, wo sich die Inbetriebnahme, wie sich gerade gezeigt hat, wohl noch mindestens bis ins Jahr 2020 verschieben dürfte. So lange sollen die beiden Schrottmeiler in Fessenheim weiterlaufen, die zudem im Sommer wie riesige Tauchsieder im Rhein wirken, weil es keine Kühltürme hat.
Und Flamanville dürfte die nächste große Niederlage im "unnützen Irrsinn" sein, wie Hulot die Atomkraft nennt. Er hat zwar nicht zu verantworten, dass der Meiler schon seit sechs Jahren keinen Strom liefert, sich die Kosten auf knapp 11 Milliarden Euro fast vervierfacht haben. Aber er hat sich gegen die Lobbys ganz offensichtlich nicht durchsetzen können, diesen hochgefährlichen Neubau lieber abzuschreiben, als unter allen Mitteln doch noch ans Netz zu bringen.
Der Rücktritt als Lektion?
Bekanntlich ist in Flamanville sogar der Reaktorbehälter schadhaft, ein zentrales Sicherheitselement von Atomkraftwerken, doch will die Atomaufsicht den Betrieb trotz allem genehmigen.
Es ist klar, dass Monsieur Hulot versucht, mit seinem Rücktritt etwas in die Richtung zu bewegen, was er auf dem Ministersessel nicht geschafft hat. Er drückt deshalb "Respekt" vor Macron aus und bestätigt seine "Freundschaft" mit dem Präsidenten.
"Ich hoffe, er lernt von meinem Rücktritt", fügt Hulot an. "Ich hoffe, dass diese Geste nützlich sein wird, so dass sich jeder die Frage nach seiner Verantwortung stellt." Insgesamt hofft er, dass sein Rücktritt zu einer "tiefgreifenden Selbstreflektion" der Gesellschaft führt.