Neue olympische Sportart: Extrem-Abmahnen
Berlin versteht bei Olympia-Bewerbung keinen Spaß
Der Berliner Senat sowie ein Sport-Propagandist haben das Blog METRONAUT wegen einer bissigen Satire auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Abmahner störten sich an einer ungebetenen Hilfestellung für die Olympia-Bewerbung für 2024, die sich der Plakatmotive zu den Spielen von 1936 bediente. So sah man bis gestern Abend das impertinent bevormundende „Wir wollen die Spiele“-Logo der Olympia-Lobbyisten auf Propaganda-Bildern in Breker/Riefenstahl-Ästhetik. Die Satire erweckte den Anschein, als seien die neuen Plakate zur Olympia-Bewerbung der Presse vorgestellt und als bewusst provokant vermittelt worden.
Dem namentlich genannten Sprecher legten die Metronauten dabei koksnasigen Werbesprech in den Mund, der wohl auf die Betroffenen so echt gewirkt haben dürfte, dass man ihn nicht als Satire (an)erkennen wollte:
Berlin hat als Stadt die Kraft, begeisternde Spiele zu organisieren. Berlin hat die Kraft, einen offenen Umgang mit der Vergangenheit zu pflegen. Berlin hat die Kraft, die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden.(...) Wir möchten die Diskussion über die Vergangenheit der Olympischen Spiele ganz zu Anfang führen und dann in einem zweiten Schritt zeigen, wie gut die Spiele zur Stadt, zu den Menschen und zur Olympischen Bewegung passen: modern und mobilisierend, mit Esprit und Freude, zum Anfassen und Erleben. (…) Berlin war damals ein Magnet für Menschen überall auf der Welt – und gab der Sehnsucht nach Olympia einen realen Ort.
Spätestens beim letzten Satz hätte man auch mit Koks in der Nase stutzig werden müssen, denn Berlin zog bald darauf sehr viele junge Menschen aus dem Ausland an, denen es allerdings nicht um die Sehnsucht nach Olympia ging. Die Spiele waren in den Kriegsjahren ausgesetzt. Für Leser mit einfachem Gemüt wie manchen Berliner Senator hatten die Metronauten eigens auch zwei dick auftgetragene Motive ausgewählt, die garantiert nicht zum aktuellen Berliner Image passen: So sahen stahlbehelmte Soldaten und ein strahlender Hitlerjunge verklärt in die Berliner Luft.
Doch die Preußen schossen schnell: Ein Berliner Promi-Anwalt rief zum 100 m-Lauf und mailte eine Abmahnung mit einer unsportlich kurzen Frist. Dem Empfänger blieben nach Kenntnisnahme laut eigener Aussage nicht einmal zwei Stunden, um sich Rechtsrat einzuholen. Die Metronauten nahmen vorläufig den Namen des Sport-Propagandisten sowie das Logo aus dem Text. Ob die geforderte Unterwerfungsgeste geleistet wird, oder ob man sich auf den juristischen Stafettenlauf nach Karlsruhe einlässt, wird sich erweisen.
Doch auch der Berliner Anwalt der Reichen und Schönen hat einen Hürdenlauf vor sich. So muss er ein Gericht finden, das die Satire nicht als solche erkennen möchte. Der Abmahnung zufolge will er dem Gericht auftischen, METRONAUT hätte den Text tatsächlich dem Propagandisten untergeschoben. Sportsfreunde des als krawallig bekannten Blogs werden einen solchen Eindruck eher nicht gewinnen. Doch die Rennleitung hat gewisse Beurteilungsspielräume.
Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung könnte jedoch auch bei Einstufung als sarkastische Satire vorliegen, denn die wenigsten wollen ihren Namen mit Nazipropaganda in Verbindung gebracht sehen. Dann müssen sich die Anwälte am juristischen Hochreck messen, an dem bereits vor zwei Jahrzehnten der Graphiker Klaus Staeck turnte. Die Schiedsrichter in Karlsruhe erlaubten damals ein für Greenpeace gestaltetes Plakat, von dem zwar eine massive Persönlichkeitsbeeinträchtigung für einen Chemie-Manager ausging, die aber sachbezogen blieb. Der dortige Beschwerdeführer war nur in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender eines FCKW-produzierenden Unternehmens angegriffen worden.
So dürften die Dinge auch an der Spree liegen, denn der Auseinandersetzung mit ihrer Propaganda für Olympische Spiele ausgerechnet in Berlin werden sich die Berliner Senatoren angesichts der Propagandaspiele von 1936 nun einmal stellen müssen. In jenen düsteren Jahren hatten auch Meinungsfreiheit und Satire bei Berliner Politikern keinen allzu hohen Stellenwert. Ab 1939 untersagten die Nazis sogar Karneval. In Amsterdam hingegen fand zeitgleich zu den Berliner Spielen eine Ausstellung mit u.a. den Werken des Berliner Graphikers John Heartfield statt, der sich wie METRONAUT mit satirischen Montagen gegen die Olympia-Propaganda wehrte.
Waren wir nicht vor einem Monat alle "Charlie"? Wer diese Abmahnung beauftragt hat, sollte bitte zum Dopingtest. Dringend.