Polen: Politprovokateur gründet antiklerikale Partei
Strikte Trennung von Staat und Kirche und das Ende des "katholischen Imperialismus" gefordert
Nicht viele Politiker im heutigen Polen durften Pate stehen für einen Begriff. Janusz Palikot hat es geschafft, und dies, obwohl er erst 2005 zum ersten Mal für den Sejm kandidierte. Das Wort "Palikotyzacja" (Palokatisierung) wird in den Medien gerne verwendet, wenn von vulgären oder ungewöhnlichen Auftritten gesprochen wird.
Der Begriff wurde von dem Politiker der regierenden Bürgerplattform nicht ohne Grund geprägt. Kein anderer versteht sich in Polen so sehr auf spektakuläre Auftritte und Aussagen wie der im ostpolnischen Lublin lebende Janusz Palikot. Den polnischen Fußballverband PZPN, der sich bis heute mit der Korruption im polnischen Fußball schwer tut, verglich er 2008 mit einem "Bordell, in dem Jungfrauen einen mit HIV infizieren". Bei einer Pressekonferenz 2007 trug der Familienvater ein T-Shirt, auf dem stand "Ich bin schwul", um so gegen die homophoben Töne der damaligen Regierung von Jaroslaw Kaczynski zu protestieren. Für noch mehr Aufsehen sorgte Palikot, als er im selben Jahr mit einem Vibrator und einer Spielzeugpistole vor die polnischen Journalisten trat, um so auf einen Missbrauchsskandal bei der Lubliner Polizei aufmerksam zu machen.
Doch das Lieblingsziel von Palikot waren stets die Kaczynski-Zwillinge. Den tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski nannte er in einer Fernsehsendung einen "Flegel". Eine Aussage, die ihn aufgrund der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit PiS der Kaczynskis fast die parlamentarische Immunität gekostet hätte. Trotz des Ärgers fixierte er sich weiterhin auf den Präsidenten und mutmaßte, ob Kaczynski nicht vielleicht Alkoholiker sei, da die Kosten der Präsidialkanzlei für alkoholische Getränke ungewöhnlich hoch seien. Mit der Frage kennt sich Palikot, der als Produzent von Spirituosen zu einem erfolgreichen Geschäftsmann aufstieg, besonders gut aus. Und als Jaroslaw Kaczynski sich echauffierte und die Ehre seines Bruders beschützen wollte, befasste sich Palikot auf seinem Blog kurzerhand mit der sexuellen Orientierung des ehemaligen Regierungschefs mit der abschließenden Frage, ob der Jaroslaw nicht vielleicht homosexuell sei.
Es waren Auftritte, die den Philosophen, der sein Studium mit einer Arbeit über Kant abschloss, aufgrund seiner Provokationsgarantie zu einem Stammgast in den polnischen Talkshows machten. Und auch für die rechtsliberale Bürgerplattform spielte das Enfant Terrible der polnischen Politik eine wichtige Rolle, da er mit seinen Äußerungen dem Bündnis der Demokratischen Linken SLD einige Wähler abspenstig machte.
Ganz geheuer war Palikot der Bürgerplattform, die sich gerne als Partei der Mitte und des Ausgleichs darstellt, dennoch nicht. Noch im Oktober 2009 versuchte die Partei, Palikot mit dem Vize-Fraktionsposten zu disziplinieren. Doch in den letzten Wochen, als nationalkonservative Demonstranten mit ihrer Forderung nach einem Denkmal für Lech Kaczynski vor dem Präsidentenpalast das politische Geschehen in Polen bestimmten, traten die Differenzen zwischen Palikot und der Parteiführung deutlich zu Vorschein. Sowohl der katholischen Kirche als auch der eigenen Partei warf Palikot vor, gegenüber den katholischen Fundamentalisten kein klares Machtwort gesprochen zu haben.
Mittlerweile sind die Differenzen zwischen Palikot und der Partei unübersehbar. Den Posten des Vize-Fraktionsvorsitzenden hat er nicht mehr inne und für den 6. Dezember kündigte er sowohl die Niederlegung seines Parlamentsmandats als auch den Austritt aus der Bürgerplattform an.
Doch von der Politik will sich Palikot mit diesem Schritt nicht verabschieden. Am vergangenen Samstag konnte er 3.000 Anhänger mobilisieren, mit denen er im Kongresszentrum des Warschauer Kulturpalastes die Gründung des Unterstützungskomitees für Janusz Palikot feierte. Aus dieser Bewegung soll die Partei "Modernes Polen" hervorgehen, die die momentan in Polen laut vorgetragene Kritik an der katholischen Kirche für sich nutzen möchte. Palikot und seine Anhänger fordern nicht nur die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, kostenlose Verhütungsmittel und die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften, sondern auch eine klare Trennung zwischen dem Staat und der Kirche. "Wann sehen wir endlich eine einzige Staatsfeier ohne die fetten Bäuche der Bischöfe", fragte der 45-Jährige rhetorisch und forderte das Ende des "katholischen Imperialismus" in Polen.
Bei den im nächsten Jahr stattfindenden Parlamentswahlen will die neue Gruppierung auch bereits antreten. Wähler könnte die neue Gruppierung vor allem bei den linksliberalen Anhängern der Bürgerplattform und der SLD finden. Doch beide Parteien betonen bisher, dass sie in "Modernes Polen" keine Gefahr sehen. Aussagen, die mit den 4 Prozent, die der Gruppierung bei den jüngsten Umfragen vorhergesagt werden, nur bestätigt werden. Dennoch kündigte die PO für die nächsten Monate einige Projekte an, mit denen sie ihr linksliberales Profil schärfen will, um keine Wähler an Palikot zu verlieren.