"Qualitätssicherung" für internationale verdeckte Ermittlungen
Deutschland treibt die grenzüberschreitende Verwendung ausländischer Spitzel munter voran. Biometrische Suchfunktionen im Internet könnten den Ausgeforschten allerdings zukünftig Chancengleichheit verschaffen
Das hatte sich Mark Kennedy anders vorgestellt: Nach heftigen Reaktionen von Klimaaktivisten musste der ehemalige Spitzel seine Reise zum Dokumentarfilmfestival CPH:DOX in Kopenhagen eilig wieder absagen. Der frühere britische Polizist wollte dort morgen der Premiere des Films Undercover Cop beiwohnen, die seine Infiltration internationaler linker Bewegungen nachzeichnet. Regie führte der Filmemacher Brian Hill. Die Ankündigung hatte das dänische "Climate Collective" gegen die Anwesenheit des Spitzels auf den Plan gerufen, das selbst Ziel seiner Unterwanderung gewesen war: "Wir fordern Mark Kennedy auf, sich in Dänemark nicht mehr blicken zu lassen."
Während Kennedy sich selbst gern als Opfer der Unfähigkeit seiner Vorgesetzten inszeniert, erinnern die Aktivisten an den Symbolcharakter der Enttarnung Kennedys vor einem Jahr: Das Platzieren von Polizisten sei ein "großes demokratisches Problem", das die politische Betätigung der Bespitzelten beschränkt.
"Der Langzeit-Einsatz von Kennedy als verdeckter Ermittler in unserer Bewegung hat extreme emotionale und psychologische Störungen nach sich gezogen", kritisiert das "Climate Collective" weiter. Gemeint sind unter anderem Betroffene, denen gegenüber sich Kennedy als Freund inszenierte oder mit denen er sexuelle Beziehungen einging.
Hilfe vom PR-Berater?
Auch die Macher des Festivals werden kritisiert: Während diese "staatliche Methoden" zur Überwachung von Aktivisten diskutierbar machen wollten, sieht das "Climate Collective" in dem Film eine einseitige Perspektive des Polizisten Mark Kennedy. Tatsächlich hat der Ex-Spitzel gegenüber der britischen BBC in einem früheren Dokumentarafilm sowie einem Radiointerview mehrfach seine früheren Einsätze bagatellisiert und sich – beispielsweise hinsichtlich der Nutzung von Sexualität zum Erschleichen von Vertrauen - in Widersprüche verstrickt.
Das "Climate Collective" erinnert daran, dass sich Kennedy, der auch jahrelang in Deutschland agierte, der Hilfe des PR-Beraters Max Clifford bediente. Dieser hätte ihm dazu verholfen, auch für den neuen Film eine "große Summe" einzustreichen.
Mehrere britische Polizisten und Informationen waren rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm in Deutschland aktiv. Noch immer weigert sich die Bundesregierung, Details zur weiter ausufernden deutsch-britischen Zusammenarbeit zu liefern. Beide Länder können getrost als Motor der zunehmend grenzüberschreitenden Spitzel-Ausleihe betrachtet werden. Deutschland und Großbritannien hatten zuletzt in einem Vermerk an die EU-Ratsarbeitsgruppe zur "Zusammenarbeit in Strafsachen" gefordert, die Zusammenarbeit bei verdeckten Ermittlungen aus der zukünftigen justiziellen EU-Vereinbarung "Europäische Ermittlungsanordnung" auszuklammern.
Kein Interesse an Strafverfolgung
In Deutschland ist jetzt eine "Bund/ Länder-Arbeitsgruppe" der Innenministerkonferenz damit beauftragt, Verbesserungsvorschläge zum Einsatz ausländischer Spitzel vorzulegen. Neben dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskriminalamt organisieren sich die Landeskriminalämter Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in der Arbeitsgruppe, die im Oktober bereits einen ersten Bericht zur "Qualitätssicherung" vorgelegt hat. Auf der Herbstsitzung der Innenministerkonferenz unter hessischem Vorsitz soll die Initiative unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter beraten werden.
Im neuen Vorstoß geht es offenbar nicht um die zivil- und strafrechtliche Verfolgung der dubiosen Aktivitäten ausländischer verdeckter Ermittler, die beispielsweise vor der Justiz mit ihrer falschen Identität auftraten. Die Bundesregierung setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, den Klarnamen von Spitzeln auch vor Gericht zu verheimlichen, auch um ihnen peinliche Postings im Internet zu ersparen. Dadurch wird die Aufklärung von Straftaten, wie sie britische Polizisten in Deutschland begangen, auch zukünftig erschwert.
Die Bundesregierung will sich zudem nicht für die weitere juristische Aufklärung der Affäre um Mark Kennedy einsetzen. Laut eigener Auskunft sieht sie die "strafrechtlich relevanten Handlungen des Herrn Kennedy bzw. Herrn Stone" als bereits "strafrechtlich erfolgt" an. Tatsächlich wurde gegen Kennedy wegen einer Brandstiftung ein Ermittlungsverfahren in Berlin geführt. Jedoch verschweigt die Bundesregierung, dass der Staatsanwalt getäuscht wurde: Er wusste nicht, dass ihm in Wirklichkeit ein Polizist gegenüberstand ( Polizeispitzel belügen Staatsanwaltschaften und Gerichte).
Spitzel per Bildersuche identifizieren
Nach öffentlichen Auseinandersetzungen über die internationale Spitzelei in sozialen Bewegungen hatte die Bundesregierung die Existenz einer Arbeitsgruppe zugegeben, innerhalb derer weit über die Europäische Union hinaus grenzüberschreitende verdeckte Ermittlungen erörtert werden. Das Bundeskriminalamt nimmt für Deutschland an dieser informellen "Cooperation Group on Undercover Activities" (ECG) und hatte dort zuletzt ausführlich zum aufgeflogenen britischen Polizisten Mark Kennedy berichtet.
Die deutsche Delegation war beim letzten Treffen der im Verborgenen tagenden ECG mit vier Vorträgen präsent, darunter zum Thema "Einsatz ausländischer verdeckter Ermittler in Deutschland zur Legendenbildung". Auch zu "Transport und Logistik" hatten deutsche Polizisten im Zusammenhang mit "Fällen verdeckter Ermittlungen" referiert. Die EU-Polizeiagentur, deren Mitarbeit in der ECG die Bundesregierung zuvor verneinte, bot sich in einem Vortrag als "Kommunikationsplattform" an. Frankreich schilderte indes "schlechte Erfahrungen", während die Delegation aus Portugal über die Zusammenarbeit mit ausländischen privaten Informanten berichtete.
Neben der Vorbereitung "gemeinsamer Ausbildungsprojekte" widmete sich die letzte Sitzung der "Cooperation Group on Undercover Activities" auch einer nicht näher bezeichneten "Entwicklung im Bereich biometrischer Daten". Was jene mit verdeckten Ermittlungen zu tun haben könnten, analysierte kürzlich eine wissenschaftliche Studie: Demnach sind auf Biometrie basierende Verfahren zur Bildersuche im Internet bald derart ausgereift, dass die falsche Identität von Spitzeln leicht aufgedeckt werden kann.
90% weibliche und 81 % männliche Polizisten gaben in einer Befragung an, Soziale Netzwerke zu nutzen. 85% erklärten überdies, dass andere Personen bereits Bilder von ihnen online gestellt hätten. Wenn diese dann mit den Klarnamen versehen würden, könnte dies nicht nur die Polizisten bzw. Informanten gefährden, sondern über die Rekonstruktion von Netzwerken auch die Freunde und die Familie verdeckter Ermittler öffentlich machen. Das Berufsbild des Spitzels dürfte damit weiter unpopulär werden.