Rezo-Fallout: „Wir brauchen Regeln gegen Desinformation“
Der Direktor der Medienanstalt NRW Dr. Tobias Schmid informiert – Ein Kommentar
Nachdem sich bereits u.a. AKK, Tankred Schipanski, Thomas Strobl und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet mit ihrer Pseudorechtskenntnis über die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit bis auf die Knochen blamiert hatten, wagte sich nun auch der Direktor der für privaten Rundfunk zuständigen Medienanstalt NRW Dr. Tobias Schmid aufs Glatteis.
In einem Interview mit der FAZ zum wirkmächtigen Rezo-Video lesen sich die ersten Absätze noch vielversprechend, dann aber predigt der Landesmediendirektor von einer "zunehmende[n] Gefahr, dass journalistisch wirkende Inhalte über das Netz in Umlauf gebracht werden, die den Eindruck erwecken sollen, dass es sich um 'Fakten' handelt, tatsächlich aber nur eine Stimmung erzeugen sollen".
Gute Medien, schlechte Medien
Demnach also scheint Schmid zu glauben, dass die konventionellen Medien keine Pseudofakten und Stimmungsmache betreiben und nur die reine Wahrheit künden. Tatsächlich aber scheint es eher so zu sein, dass vorzugsweise solche Nachrichten berichtet und gewichtet werden, die ins vom Establishment gewünschte Narrativ passen (Das Twitter-Mädchen im Syrienkrieg, Auf den Hund gekommen, Der mächtige Bogen des ZDF). Jüngst etwa warnten vor der EU-Wahl die Qualitätsmedien unisono vor russischen Desinformationskampagnen, was der Stimmungsmache gegen Russland diente.
Die Tatsache, dass Rezo in nur einer Stunde "Sozialkunde" über die Inkompetenz der Regierungspolitiker effizienter informieren konnte als die etablierten Medien in der Dauerberieselung, hätte den vorgeblich gutgläubigen Schmid stutzig machen müssen. Statt vom Licht der Erkenntnis erleuchtet zu werden, eiferte Schmid jedoch dem DJV-Vorsitzenden Frank Überall nach und assoziierte unerwünschte Informationen aus dem Netz pauschal mit Desinformation. Fake News sind bekanntlich immer die anderen.
Presse-Überwacher?
Landesmediendirektor Schmid behauptet im Interview allen Ernstes, die Einhaltung journalistischer Standards überwache bei der Presse der Presserat. Bei solch weltfremder Naivität möchte man in die Tischkante beißen. Der Presserat ist nichts weiter als eine Propaganda-Veranstaltung der Verlagsbranche, mit der man in den 1950er Jahren den Erlass eines lästigen Ehrenschutzgesetzes verhindern wollte. Das geplante Gesetz wurde aber überflüssig, weil die Rechtsprechung praktisch die gleichen Ergebnisse durch Entwicklung des aus der Verfassung hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts erzielt.
Der von Verlegern gegründete Presserat ist also ein längst überflüssiges Relikt und tut seinen Mitgliedern auch nie wirklich weh. Das dürfte wohl mit dem Interessenkonflikt zu tun haben, wenn man den Bock zum Gärtner macht. Da könnte man ja genauso gut gleich einen RTL-Mann zum Aufseher über die privaten Medien in NRW machen! Oups, schlechtes Beispiel, denn genau das hat man in NRW gemacht. Aber wenn ein vormaliger Regierungssprecher Intendant des "staatsfernen" Bayrischen Rundfunks werden kann, soll uns auch diese spannende Karriere recht sein.
Nichts, als die Wahrheit?
Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Es gibt kein allgemeines Verbot, Unwahrheit zu verbreiten, weder für Privatleute noch für Journalisten, schon gar nicht für Politiker oder Kleriker. Die Fake-News beginnen in dem Moment, indem man den Fernseher einschaltet und nicht das Glück hat, eine Satire-Sendung zu erwischen. Weder der Presserat noch die Landesmedienanstalten überwachen, ob die von den Nachrichtenredaktionen durchgereichte Propaganda den Tatsachen entspricht.
Im Gegenteil unterstützen Landesmedienanstalten etwa Religionsgemeinschaften bei der Distribution ihrer Desinformation. Gegen falsche Tatsachenbehauptungen wehren können sich nur Personen, deren Persönlichkeitsrechte verletzt werden, und zwar mit den Mitteln des Straf- oder Zivilrechts. Behörden haben damit praktisch nichts zu tun.
Wahrheitsministerium?
Es wäre allerdings auch nicht wirklich wünschenswert, wenn sich staatliche oder "staatsferne" Gremien zu Wahrheitsministerien aufspielen, denn mit so etwas hat man hierzulande keine wirklich guten Erfahrungen gemacht. Dass derartige Versuche notwendig zu totalitären Strukturen führen, lässt sich ganz gut an den Verhältnissen in der Wikipedia studieren.
Was genau ist denn schon Wahrheit? Den Wahrheitsgehalt von Prognosen über die Zukunft, die nun einmal die Grundlage politischer Wahlen sind, kann man denknotwendig erst in der Zukunft überprüfen. Auch der Blick in die Vergangenheit ist trübe, denn Historiker bieten über vergangene Geschichte ganz überwiegend Thesen, aber nur selten wirklich gesichertes Wissen.
Nicht einmal Naturwissenschaftler können sich in allen Fragen einigen, von religiösen "Wahrheiten" ganz zu schweigen. Doch gerade religiöse "Wahrheiten" beeinflussen die politische Entscheidungen maßgeblich, denn ohne die Fürsprache der Kirchenfürsten hätten sich die C-Parteien kaum halten können.
"Gesetzliche Grundlage gegen Desinformation"
Dennoch fordert Schmid sogar "eine gesetzliche Grundlage, um gegen Desinformation im Netz einschreiten zu können". Das wird lustig, denn als erstes müsste man dann die YouTube-Kanäle von CDU, SPD und FDP dichtmachen. Ja, dichtmachen! Alles drunter wäre inkonsequente Heuchelei. Ob sich dafür wohl eine politische Mehrheit findet? Auch den nicht für seine Wahrheitsliebe bekannten US-Präsidenten müsste man zensieren, was aber den Nachteil hat, dass man seine Position dann gar nicht mehr beurteilen kann.
Was bei undurchdachten Eingriffen in die Autonomie des Netzes und seiner Plattformen so herauskommen kann, konnte man jüngst bei der Sperrung von Twitteraccounts etwa auch von Politikern sehen. Vielleicht hätte man sogar das Rezo-Video unter irgendeinem Vorwand sperren können, obwohl es ungleich prägnanter war als die Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung. Das sollte man erst einmal anerkennen.
Vermutlich braucht man keine gesetzliche Grundlage, sondern eher konsequente Anwendung bestehender Gesetze und politisches Personal, das sich nicht in erster Linie über das jeweilige Parteibuch qualifiziert.
Die Besten der Besten
Apropos Fachkompetenz: RTL-Mann Schmid verdankt sein Amt pikanterweise vor allem der Tatsache, dass er sich "Jurist" nennen darf. Schmids Vorgänger wurde nämlich von SPD-Politiker „Dr.“ Marc Jan Eumann abgesägt, weil Eumann es auf einmal unerträglich fand, dass ein solch verantwortungsvoller Posten von einem Nichtjuristen besetzt sei. 2017 fand Nichtjurist Eumann allerdings nichts dabei, sich zum Landesmediendirektor in Rheinland-Pfalz "wählen" zu lassen (Der Fall Marc Jan Eumann).
Wäre der Parteienfilz nicht auch ein schönes Thema für ein neues Video?
[Der Autor macht irgendwas mit Medien.]