Rock & Roll der Nachhaltigkeit
Cem Özdemir, die schwäbische Ausgabe grüner Regulierungswut, versucht sich als Rock 'n' Roller
"The day's moving just too fast for me" (dt. "Der Tag bewegt sich einfach zu schnell für mich") // "I gotta slow it (my life - RM) right down" (dt: "Ich muss es (mein Leben - RM) richtig verlangsamen"), presst Liam Gallagher ausgewiesener Rock-Prolet und bekennender ManCity-Fan aus seinem Kehlkopf, in Rock 'n' Roll Star. "Tonight", so wird es später im Refrain heißen, "I'm A Rock 'n' Roll Star" (dt: "Heute Abend bin ich ein Rock 'n' Roll Star").
Irgend so etwas Ähnliches muss dem Grünschwaben Cem Özdemir, mit Claudia Roth zusammen Bundesvorsitzender der Partei "Bündnis 90/Die Grünen", widerfahren sein oder im Kopf herumgespukt haben, als er am 30. Mai den gemeinsamen Besuch des Wulff-Ehepaars des Springsteen Konzertes in der AWD-Arena zu Hannover in der betonten Lässigkeit eines Insiders kommentierte.
Möchtegern und Wichtigtuer
Als er Wind von der Sache bekam (vermutlich legte ihm einer seiner Polit-Lakaien eine Kopie des Berichts vor), adressierte er auf Facebook einen Eintrag mit der persönlichen Bitte an die "lieben konservativen Politiker", vom "Rock ’n' Roll" lieber die Finger zu lassen. "Diese Musik", mit etwas mehr Ahnung hätte er vermutlich besser von Haltung und/oder Stil gesprochen, stünde nämlich "ziemlich für das exakte Gegenteil Eurer Politik."
Welche "Politik" er im Auge hatte, und von welchem "exakten Gegenteil" er da sprechen wollte, erwähnte er nicht. Meinem bescheidenen Wissen zufolge gehört er zu der Gruppe der Realos, die wirtschaftsfreundlich sind, sich dem Mittelstand und dem "Schaffe, Schaffe, Häusle baue" verpflichtet fühlen und einer schwarz-grünen Koalition nicht besonders feindlich gegenüberstehen.
Der Grünschwabe scheint da aber etwas verwechselt, etwas völlig falsch verstanden oder einfach in den falschen Hals gekriegt zu haben. Dem Bericht der Bild-Zeitung ging es nämlich weniger um das Wo als vielmehr um das Dass des gemeinsamen öffentlichen Auftritts. Zumal das ehemalige deutsche Traum- und Präsidentenehepaar seit dem 8. Januar des Jahres als offiziell getrennt gilt.
Oder er wollte, was vermutlich wahrscheinlicher ist, sich einfach nur wichtig machen und der Welt da draußen demonstrieren, was für ein junger und gescheiter, weltoffener und aufgeschlossener Kerl er doch ist. Mittlerweile gehört es ja zu einer gewissen Unart etlicher Politiker, sich mit täglichen Wasserstandsmeldungen im Gespräch zu halten und allen möglichen "Stuss" in alle Welt hinauszuposaunen.
Schuss nach hinten
Leider ging diese Charme-Offensive des Möchtegern Rock 'n' Rollers gründlich in die Hose. Ein sogenannter "Shitstorm", wie man das heute so nennt, ergoss sich über den "grünen" Möchtegern-Rock 'n' Roller. Wobei mir bis heute nicht in den Kopf will, was a), das für Leute sind, die Politikern oder wem auch immer auf Schritt und Tritt folgen, b) wer dieses ebenso unnütze wie überflüssige Zeugs liest, das diese Menschen Tag für Tag absondern, und c), wer auch noch die Zeit und Muße findet, diesen Mist zu kommentieren.
Grüne Politik und Rock 'n' Roll, Nachhaltigkeit und individuelle Selbstbestimmung, Staatsinterventionismus und Liberalität - all das passt nicht und fügt sich auch nicht zusammen. Dreireiher, Vorträge in Princeton und angeblich letzter Rock 'n' Roll-Politiker zu sein, auch nicht. Und Rock 'n' Roll und erhobener Zeigefinger, Laissez-faire und Bevormundung durch selbsternannte Besserwisser und Gutmenschen erst recht nicht.
Rock 'n' Roll steht bekanntlich für Aufruhr und Ungebundenheit und nicht für "Tugendterror"; hier geht es um Sex und Drogen, exzessive Verausgabung und Aggression und mitnichten um Regulierung, Umverteilung und Vorschriften. Der "Stinkefinger" gehört bekanntermaßen zu seinen Accessoires, nicht der "gehobene". Die Indienstnahme des Rock 'n' Roll für die vermeintlich "gute" und "grüne Sache" ist lächerlich und an Komik nicht zu überbieten.
Wem die Zeit dafür nicht zu schade ist, der kann ein paar ausgewählte Kommentare der User und Follower hier nachlesen oder sie sich auf Cems Facebook-Account gesammelt zu Gemüte führen. Aber das ist, ich schwöre, reine Zeitverschwendung..
Ich halte mich darum lieber an Liam, dem Mod-Epigonen und wohl letzten authentischen Rock'n' Roller des Brit-Rock. Gewiss prügelt er sich nicht mehr mit seinem Bruder, er "pisst" auch kein Flugpersonal mehr an, zieht keine Kokslinie nach der anderen und zertrümmert nebenbei und im Vorübergehen die Hotelbars von Fünf-Sterne Hotels. Mittlerweile führt auch er ein (zweit)bürgerliches Leben. Er ist verheiratet ist und hat Kinder, er besitzt Boutiquen und ein Modelabel und leistet sich eine VIP-Lounge im "Etihad-Stadium" seines Lieblingsvereins.
Lebenswert ist was anderes
Als Peter mich auf die Elaborate des "grünen" Alterantiv-Rock 'n' Rollers aufmerksam machte und um einen Kommentar nachfragte, fielen mir im Sportstudio am Crosstrainer neben den Zeilen des Auftaktsongs von "Definitely Maybe" auch die Lyrics von "Cigarettes & Alcohol" auf der selben Scheibe wieder ein, die mir nachgerade wie die berühmte Faust aufs Auge des moralisch wie politisch überkorrekten Neu-Rock 'n' Rollers zu passen schienen:
"Is it my imagination // Or have I finally found something worth living for? // I was looking for some action // But all I found was cigarettes and alcohol" (dt: "Ist es meine Fantasie // oder habe ich endlich etwas gefunden, wofür es wert ist zu leben? // ich habe nach Action gesucht // aber Zigaretten und Alkohol war alles, was ich gefunden habe")
Und weiter an unseren "lieben grünen Cem" adressiert: "You might as well do the white line // 'Cause when it comes on top // But all I need are cigarettes and alcohol" (dt: "es wäre wohl besser, du würdest die weiße Linie probieren // wenn es dir zu Kopfe steigt... // aber alles, was ich brauche, sind Zigaretten und Alkohol")
Ob er schon mal eine "weiße Linie" gezogen hat, wissen wir nicht. Vielleicht teilt er uns das ja auch mal auf seiner Facebook-Seite mit. Wenn ja, dann war es sicher eine "grün" gefärbte Linie. Und ob er schon mal "Gras" geraucht hat, "schwarzen Afghanen", "grünen Türken" und "roten Libanesen" etwa, oder ob er schon mal einen Flashback nach Einnahme von Lysergsäurediethylamid auf Löschpapier gehabt hat, wissen wir auch nicht. Wir nehmen mal an, dass er sich zumindest schon mal an einem Joint oder einem Chillum versucht und daran gezogen hat. Geraucht, aber nicht inhaliert, versteht sich.
Lieber Punk statt grün
Ein authentischer Rock 'n' Roller und/oder Punk würde mit Sicherheit genau das Gegenteil von dem machen, was dem neugrünen Stamokap mit all seiner Kommandowirtschaft auf der Agenda hat:
Er würde die "Energiewende" boykottieren, Windräder und Solardächer verabscheuen und mit Vorliebe große, Sprit fressende Autos fahren; er würde auf Mehrweg und Dosenpfand pfeifen, selten oder keinen Müll trennen und sich häufig Plastikflaschen und Einwegdosen in den Kühlschrank stellen; er würde es sichtlich genießen, in saftiges Fleisch zu beißen, und schwammigen Tofu liebend gern den moralisch Aufrechten überlassen; er würde stets jene Produkte und Lebensmittel kaufen, die ihm munden oder gefallen und auf alle Statements missachten, die ihm deswegen ein schlechtes Gewissen machen wollen; er würde vielleicht wegen der Kosten nicht mehr rauchen, sich aber jeglichem Alkoholgenuss und anderen Rauscherlebnissen gegenüber aufgeschlossen zeigen; und er würde für freie Rede und freie Meinungsäußerung im Sinne des amerikanischen Second Amendment eintreten, jegliche Sprachverbote ablehnen und nur aus Protest, nicht aus Überzeugung, FDP wählen.
Spießig, miefig, piefig
Das, lieber Cem Özdemir, wäre in etwa eine Agenda, die der Rock 'n' Roll schreiben würde, wenn ihn Politik denn überhaupt interessieren würde. Immerhin hat es das grüne Programm, nachdem es massenkompatibel und massentauglich geworden ist und über zwei Drittel der Journalisten und Meinungsmacher ihm folgen, geschafft, dass Leute wie etwa Thilo Sarrazin oder Peter Gauweiler zu Polit-Punks mutiert sind und die Republik für eine kurze Zeitspanne mal "rocken" und "rollen" konnten.
Diese Politik stünde tatsächlich im "exakten Gegenteil" zu jener grün lackierten Spießerpolitik, die vom Protestantismus getragen wird, und den Menschen nicht nur Mores lehren und die Schrebergärten-Idylle in die Großstädte tragen will, sondern den Leuten am liebsten auch noch zwingen möchte, wie sie zu leben und was sie zu unterlassen haben.
Die Funktions-Kleidung, die etwa Jack Wolfskin, Northface oder Helly Hansen für alle Lebens- und Wetterlagen anbieten, und die man immer häufiger auf unseren Straßen und Plätzen sieht, bei graumelierten Wutbürgern ebenso wie bei besorgten Muttis, die in Bioläden welkes Gemüse oder Obst erstehen, ist Ausdruck und Zeichen dieser Biedermeierpolitik, die im grünen Gewand und mit dem Un-Wort des Jahres, nämlich dem der Nachhaltigkeit, daherkommt.