Rücktritts-Minister Hulot kommt durch Geheimbericht in Verlegenheit
Ein Bericht, als "Militärgeheimnis" eingestuft, lässt den Abgang des französischen Umweltministers in einem etwas anderen Licht erscheinen
Hat Nicolas Hulot nun die Öffentlichkeit belogen, als er damit aufgehört haben will, sich und das Land noch länger zu belügen? Denn so hatte er kürzlich seinen Rücktritt begründet. Dass er sich im Radiosender France Inter, wo er seinen plötzlichen Rücktritt bekanntgab, weiter als aufrechter Umweltschützer darzustellen versuchte, bekommt durch die Veröffentlichung von Ausschnitten aus einem Geheimbericht nun ein paar deutliche Risse.
Darüber berichtet die französische Zeitung "Les Echos". Und darin wird die Version, wonach Hulot seinen Rücktritt auch mit dem "unnützen Irrsinn der Atomkraft" begründet, die "technisch und ökonomisch" wahnsinnig sei, massiv erschüttert.
Vielleicht ist es so, dass Hulot angesichts des Berichts, der auch von seinem Haus in Auftrag gegeben wurde, nur eine Flucht nach vorne angetreten hat. Denn spätestens mit dem Beginn der Umsetzung der Pläne wäre vom grünen Anstrich bei Hulot nicht mehr viel übrig geblieben. Seine Reputation war ohnehin schon massiv angeschlagen, nachdem der staatliche Energieversorger EDF vor knapp einem Jahre seine Pläne bekanntgemacht hatte (vgl. Frankreich: "30 bis 40 neue EPR-Reaktoren bis 2050!").
Die "Erhaltung der Industriekapazitäten der Nuklearwirtschaft"
Bekannt ist, dass der Geheimbericht nicht nur von Wirtschaftsminister Bruno Le Maire in Auftrag gegeben wurde, sondern auch von Hulot, dem bisherigen Minister für den "ökologischen und solidarischen Übergang". Doch liest man, was Les Echos daraus öffentlich macht, dann ist von einem Übergang sicher nichts zu sehen.
Es handelt sich eher ein Machwerk aus dem militärisch-industrieller Komplex (MIK). Denn es geht darin vor allem um die "Erhaltung der Industriekapazitäten der Nuklearwirtschaft". Im Zentrum steht die Befürchtung des Militärs und der EDF, dass Frankreich weiter technische Kompetenzen in der Atomindustrie einbüßen könnte.
So werden die massiven Probleme beim Bau der neuen Atommeiler in Flamanville oder im finnischen Olkiluoto erklärt, der eigentlich schon fast 10 Jahre Strom liefern sollte. Die geplante Renaissance der Atomkraft durch den neuen European Pressurized Reactor (EPR) erhält an beiden Standorten ständig Rückschläge und Niederlagen.
Beide sollten längst am Netz sein, doch ständig wird ihre Inbetriebnahme weiter verschoben, während die Kosten derweil von geplanten 3 Milliarden Euro in Flamanville schon auf fast 11 Milliarden Euro explodiertsind. Dabei dürfte der Reaktor mit dem schadhaften Druckbehälter ohnehin nie ans Netz gehen.
Umweltschützer werfen Hulot längst vor, dass ausgerechnet er gegenüber der Atomaufsichtsbehörde durchgedrückt haben soll, dass der unsichere Reaktor in Flamanville ans Netz gehen soll. Und die Schmiedeprobleme im früheren Areva-Werk "Forges Creusot", die etliche sicherheitsrelevante Teile von Atomkraftwerken in Flamanville und weit darüber hinaus betreffen, sind nicht neu.
Sie bestehen seit Jahrzehnten. Sie sind sicher keine Konsequenz dessen, dass Frankreich angeblich Kompetenzen verliert. Sie zeigen den unglaublichen "laissez faire", der in Sicherheitsfragen in Frankreich in der gefährlichen Atomenergie seit vielen Jahren herrscht. Und der Irrsinn soll fortgesetzt werden.
Sonst würde man Flammanville abschreiben und Fessenheim wäre längst abgeschaltet. Nicht nur dort ist die Sicherheitslage besorgniserregend, doch ein Meiler geriet sogar schon einmal außer Kontrolle, weil etwas Wasser auslief.
Bau sechs neuer EPR-Reaktoren, um "verlorene Kompetenzen zurückzugewinnen"
Doch zurück zum Bericht von Les Echos. Der müsste Hulot verlegen machen und man darf auf dessen Erklärungen nun gespannt sein. Denn in dem auch von ihm in Auftrag gegebenen Bericht heißt es, dass im "folgenden Jahrzehnt" - allerdings nur im ersten Schritt - alle zwei Jahre insgesamt sechs neue EPR-Reaktoren gebaut werden müssten, um verlorene Kompetenzen zurückzugewinnen.
Vom "ökonomischen und technischen Irrsinn" der Atomkraft liest man dort jedenfalls nichts. Denn offensichtlich sorgt sich vor allem das Militär um seine Kapazitäten, vor allem um die Reaktoren in den Atom-U-Booten und den atomar getriebenen Flugzeugträgern. Damit steht der Nationalstolz "force de frappe", also Atomstreitmacht zu sein, auf dem Spiel.
Dominique Seux vom Radiosender France Inter erklärt zum Bericht: "Es ist eine absurde Welt, in der ein Kalender zum Bau von Reaktoren erstellt wird, um Kompetenzen zu erhalten." Er vergisst aber zu erwähnen, dass es ganz offensichtlich bei diesen extrem teuren Investitionen vor allem um militärische Fragen geht, weshalb der Geheimbericht auch die der Aufschrift "Militärgeheimnis" trägt.
Und wir stoßen hier auch zum Bau der umstrittenen und extrem teuren zwei Meiler im britische Hinkley Point vor. Denn auch da geht es vor allem um "Kompetenzen" und um die militärische Nutzung der Atomkraft, wie längst untersucht wurde. Eine Studie der Universität Sussex zeigt auf, dass hinter dem Atomkraft-Neubau vor allem militärische Anforderungen stehen.
"Die treibende Kraft hinter der regierungsseitigen Affinität zur Atomtechnologie ist in der Quersubventionierung des militärischen Atomprogramms zu suchen", schreibt die EnergieWachtGroup mit Blick auf Hinkley Point und zitiert die Wissenschaftler Emily Cox, Phil Johnstone und Andrew Stirling und die Studie aus Sussex. "Diese Quersubventionierung der militärischen Atomprogramme durch die 'zivile Atomenergie' trifft auch auf viele weitere Staaten zu."
Das können wir am Beispiel Frankreich nun sehr deutlich sehen.