Semantischer Eroberungsfeldzug
Die NATO ist der Auffassung, dass ihr UN-Mandat zum Schutz libyscher Zivilisten auch das Bombardement von Fernsehanlagen umfasst, die "aufrührerische Reden" verbreiten
In seinem Roman 1984 zeigt George Orwell, wie Politik durch die Dehnung von Begriffen bis in deren Gegenteil gerechtfertigt wird. Dass diese Methode auch in der Realität existiert, bewies in den letzten Tagen nicht nur der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl, als er meinte, der Doppelanschlag des Norwegers Anders B. sei "im Internet geboren", sondern auch die NATO: Sie hatte sich ihr militärisches Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg vom UN-Sicherheitsrat mit dem Argument genehmigen lassen, ihre Flugzeuge würden lediglich die Zivilbevölkerung schützen. Bald wurde jedoch klar, dass die NATO darunter offenbar auch Hilfsbombardements für bewaffnete und uniformierte Rebellen versteht, die Gaddafi-treue Truppen angreifen.
Am Samstag setzte die Organisation ihren semantischen Eroberungsfeldzug fort und rechtfertigte die Zerstörung von Satellitenanlagen in Tripolis damit, dass dies "notwendig" gewesen sei, weil Gaddafi über das das libysche Staatsfernsehen al-Jamahiriya "aufrührerische Reden" verbreitet, "Zivilisten bedroht" und "zu Attacken angestachelt" habe. "Im Lichte unseres Mandates, das Leben von Zivilisten zu schützen", so NATO-Sprecher Roland Lavoie, "mussten wir handeln". Der in diesem Zusammenhang benutzte Ausdruck "Terrorsendungen", den zahlreiche Medien zitierten, ist mittlerweile nicht mehr auf der Website des Militärbündnisses zu finden. Der Erfolg des Angriffs scheint allerdings begrenzt gewesen zu sein: Al-Dschasira zufolge sendet al-Jamahiriya weiter, obwohl bei dem Angriff angeblich drei Menschen ums Leben kamen und 15 weitere verletzt wurden.