Spanien im Lotteriewahn
Hauptgewinner ist aber der Staat, der sich die geplante Privatisierung noch einmal überlegen sollte
Fast 2,7 Milliarden Euro haben spanische Bürger eingesetzt, um am Donnerstag einen dicken Gewinn bei der traditionellen Weihnachtslotterie zu ziehen. Trotz der schweren Krise im Land war es fast die gleiche Summe wie 2010. Die Ausziehung am 22. Dezember gehört zum Weihnachtsfest wie das Christkind. Gekauft werden Lose wie verrückt schon in den Sommerferien am Urlaubsort. Vor Verkaufsstellen, an denen hohe Preise gewonnen wurden, bilden sich lange Schlangen, um ein Los kaufen zu können.
Die Verlosung, die mehr als drei Stunden in Anspruch nahm, wird stets live im Fernsehen übertragen. Millionen Zuschauer verfolgen, wie Kinder die Nummern "singen". In diesem Jahren María sangen José Posligua und Johan Fernández die Nummern 58.268 für den "El Gordo" (Der Dicke). Der Hauptgewinn mit vier Millionen Euro war so hoch wie nie zuvor - und er wurde schon sehr früh gezogen. Um 9 Uhr 15 begann die Ausziehung und um 9 Uhr 57 ging ein wahrer Geldregen über dem Dorf Grañén nieder, das nicht einmal 2000 Einwohner hat. Die Gemeinde liegt in der nordspanischen Provinz Huesca, in der Halbwüste "Monegros", fern aller Tourismusgebiete, nicht sehr weit von Saragossa entfernt. Deshalb kann ausgeschlossen werden kann, dass die bis zu 180 Lose weiträumig verteilt wurden.
In der äußerst dünn besiedelten Region am Rande der Pyrenäen hat man nun viel zu feiern. Denn ein Großteil der bis zu 720 Millionen Euro wird auf die arme Region nieder gehen. Das hat damit zu tun, dass die Gewinne selten an Einzelpersonen gehen. Alle Lose würden fast 40.000 Euro kosten. Ein Los, von dem es 180 gibt, kostet 200 Euro. Meist kauft man für 20 Euro nur ein Zehntel-Los. Im Durchschnitt hat jeder Bewohner des Landes für knapp 60 Euro etwa drei Zehntel-Lose gekauft. Ein Los kaufen meist nur Belegschaften einer Firma, ein Verein oder sonstige Gemeinschaften zusammen.
Schon deshalb werden die Gewinne gestreut. Dazu kommt, dass oft noch "Anteilscheine" eines Zehntel-Loses an Freunde und Bekannte verteilt werden, um sie an einem Gewinn zu beteiligen. So kann aus einem Zehntel des Hauptgewinns von 400.000 Euro schnell ein Gewinn für zehn Freunde oder Familienmitglieder von jeweils 40.000 Euro werden. Der zweite Preis, der mit 1,25 Millionen Euro dotiert ist, wurde erst spät um 12 Uhr 28 gezogen. Er entfiel auf die Nummer 53.404. Die Lose waren in Manises verkauft worden. Die Stadt liegt im von Arbeitslosigkeit stark gebeutelten südspanischen Valencia. Die insgesamt bis zu 225 Millionen Euro dürften deshalb stärker verteilt sein. In Manises liegt der Flughafen von Valencia, die Stadt hat gut 30.000 Einwohner. Der mit 500.000 Euro dotierte dritte Preis entfiel auf die Nummer 02.184 und die Lose wurden in vielen Teilen des Landes verkauft und ist damit stark verteilt wie die meisten restlichen Gewinnlose.
Die spanische Weihnachtslotterie ist die größte und älteste Lotterie der Welt. Sie geht auf das Jahr 1763 zurück. In der komplizierten heutigen Form gibt es sie seit 1812. Der 22. Dezember ist vor Weihnachten stets ein der Tag der Tränen: Freudentränen für die Gewinner und Tränen der Wut für die Verlierer. Für viele Menschen wird es ein besonders trauriges Fest geben, weil es stets nur wenige Gewinner gibt. In der Hoffnung, die Sorgen mit einem Schlag loszuwerden, verspielen zudem viele zum Teil sehr viel Geld.
Darunter die gut 1,5 Millionen Familien, in denen sich alle Mitglieder im Heer der mehr als 5 Millionen Arbeitslosen befinden. Sie werden besonders triste Weihnachten verbringen, weil sie mit einem Teil des wenigen Geldes das Glück herausgefordert und meist verloren haben. Gewinner ist wie immer bei einer Lotterie der Staat. Denn 25 Prozent der Gesamtsumme werden in die Staatskassen gespült. Dazu kommen die Gewinne für Lose, die nicht verkauft wurden, denn sie entfallen auf den Staat.
Eigentlich sollte die Lotteriegesellschaft längst privatisiert sein, um sieben Milliarden Euro in die leeren Kassen zu spülen. Da die Angebote hinter den Erwartungen zurückblieben, verschoben die Sozialisten (PSOE) die Privatisierung aber. Die Volkspartei (PP), die nun das Land regiert, war für die Privatisierung. Rajoy sollte es sich wegen der Milliardengeschenke, die er nun verteilen will, diesen Schritt noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Eine Privatisierung der Lotteriegesellschaft bedeutet, dass dem Haushalt jährlich nur durch die Weihnachtslotterie etwa eine Milliarde Euro fehlen weird, nur weil man kurzfristig sieben Milliarden Euro einnehmen will. Dabei ist das nur eine Verlosung und schon am 6. Januar folgt die nächste große Lotería del Niño am eigentlichen spanischen Weihnachtsfeiertag. Dafür wurden im vergangenen Jahr noch einmal etwa 1,2 Milliarden Euro ausgegeben, womit erneut gut 400 Millionen in der Staatskasse flossen.
Ohnehin liegt Spaniens Staatsverschuldung mit etwa 67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2011 weiterhin deutlich unter dem EU-Durchschnitt und deutlich unter der Deutschlands oder Frankreichs . Es wäre unsinnig, die Gans, die goldene Eier für die Staatskasse legt, zu versilbern.