Spanien prüft trotz "Ansturm" eine Abrüstung der Grenze
Erst am Mittwoch wurde ein Versuch von tausend Flüchtlingen abgewehrt, die Grenze zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden
Nachdem tausend Flüchtlinge am frühen Mittwoch versucht hatten, die Grenze von Marokko zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden, kündigte Spanien zunächst an, die Grenzanlagen weiter aufrüsten. Für den Delegierten der spanischen Zentralregierung der Region Melilla, die umschlossen von Marokko an der afrikanischen Küste liegt, war der "Ansturm" ein neuer Beweis für steigenden "Migrationsdruck" auf die Exklave. Abdelmalik El Barkani unterstrich deshalb am Mittwoch die "Notwendigkeit, die Maßnahmen gegen Eindringlinge zu verstärken".
Er forderte dabei eine stärkere Unterstützung der Europäischen Union. "Das ist ein Problem, das nicht nur Spanien und Marokko etwas angeht, sondern die gesamte EU." Während El Barkani die bisherige Linie der konservativen Regierung bestätigt, die kürzlich begonnen hatte, die Grenzzäune wieder mit dem messerscharfen Klingendraht aufzurüsten, denkt Ministerpräsident Mariano Rajoy nun offen darüber nach, den "Natodraht" wieder abzunehmen. Der wurde kürzlich an drei der gut elf Kilometer langen Grenze wieder angebracht, die El Barkani "Brennpunkte" nennt. Angesichts massiver Kritik kündigte Rajoy am Donnerstag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVE an, die Maßnahme zu überprüfen. Er habe das Innenministerium um einen Bericht gebeten, ob der Draht die "physische Integrität" der Flüchtlinge gefährde.
Die Aufrüstung mit Klingendraht ist stark umstritten. Im Namen des Europarats kritisierte Niel Muiznieks kürzlich die "teure Maßnahme", die sich gegen Menschenrechte richte. Erst 2007 war der Draht aus "humanitären Gründen" in Melilla abgebaut worden. Bei Versuchen, mit selbstgebauten Leitern die Zäune zu überwinden, hatten sich Flüchtlinge zum Teil tödliche Schnittverletzungen zugezogen. Wegen der harten Kritik hatte die damalige sozialistische Regierung den gefährlichen Draht entsorgt. Die Zäune wurden aber auf sechs Meter erhöht und ein dritter Zaun sowie eine elektronische Überwachung installiert.
Auch Menschenrechtsorganisationen hatten den "Rückschritt" angegriffen und werden von allen Oppositionsparteien in Spanien unterstützt. Dass Rajoy nun darüber nachdenkt, den Klingendraht wieder abzunehmen, hat damit zu tun, dass am Mittwoch im Parlament alle Parteien in einer gemeinsamen Resolution seine Beseitigung gefordert hatten. Er sei "unnütz, schrecklich und beschämend". Die sozialistische Sprecherin Soledad Pérez Domínguez erinnerte daran, dass am Vortag auch der Generalstaatsanwalt eine strafrechtliche Untersuchung angeordnet hatte.
Eduardo Torres-Dulce meint, der scharfe Draht sei mit den Gesetzen unvereinbar. Es geht dem Generalstaatsanwalt nicht nur um mögliche Strafen, sondern auch um "strikte Humanität". Die Ermittlungen könnten dazu führen, dass der Draht auch in Ceuta abgenommen werden muss. Denn an den Grenzen zur zweiten Exklave in Afrika wurde er 2007 nicht abgebaut. Das führte zur Verlagerung des Problems nach Melilla. Da dort Klingendraht angebracht wurde, versuchten die Flüchtlinge in Marokko übereilt, die Grenze zu überschreiten.
Die spanische Guardia Civil beobachtete am frühen Mittwoch aus einem Hubschrauber, der mit Nachtsicht- und Infrarotkameras ausgerüstet ist, eine lange Schlange, in der sich etwa 1000 Flüchtlinge auf einem schmalen Pfad in Richtung Melilla bewegten. Sie sollen aus Ländern südlich der Sahara stammen. Über den Hügel Gurugú zogen sie zur nahegelegenen Grenze, um die Zäune zu überwinden. Die recken sich hier, wo das reiche Europa direkt auf das arme Afrika treffen, mehr als sechs Meter in den Himmel.
Da die Grenzschützer sie frühzeitig sichteten, alarmierten sie die marokkanische Gendarmerie. Die soll die Flüchtlinge vor der Grenze "zerstreut" haben, heißt es in einer Erklärung der Präfektur Melillas. Sie hätten noch versucht, zu einem Grenzposten zu gelangen, doch "keinen Angriff mehr versucht". Um drei Uhr hätten sie ihr Ansinnen erfolglos aufgegeben, heißt es in der Erklärung weiter. Für Menschenrechtsorganisationen ist der Begriff "Zerstreuung" eine Beschönigung. Flüchtlinge würden mit brutaler Gewalt zurückgetrieben, berichten marokkanische Hilfsorganisationen wie Gadem und CMSM vermehrt.