Spanische Justiz kritisiert deutsche Justiz mit viel Gewalt-Phantasie
Hätte es beim katalanischen Referendum ein "Massaker" gegeben, würde das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein wohl anders über die Auslieferung von Puigdemont entscheiden. Kommentar
Spanien kann das Desaster nicht verwinden, dass das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig Holstein den aus Spanien geschassten katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont wegen Rebellion nicht ausliefern will und dies sogar als einen von "vorneherein unzulässigen" Vorwurf abgewiesen hat. Dazu hat das Gericht auch den Vorwurf der "Korruption" hinterfragt.
Die soll darin bestanden haben, dass die katalanische Regierung angeblich Haushaltsmittel für das Unabhängigkeitsreferendum eingesetzt haben soll, obwohl es vom Verfassungsgericht – allerdings erst nach dem Referendum - verboten worden war.
Referendum nicht mit Steuergeldern bezahlt
Dass damit der deutsche Untreue-Vorwurf für eine Auslieferung erfüllt ist, will das OLG nicht wirklich erkennen und hatte deshalb Informationen aus Spanien nachgefordert und viele in Madrid erneut brüskiert. Dass die Zweifel des OLG daran, nun dafür Puigdemont an Spanien auszuliefern, ausgerechnet vom spanischen Finanzminister bestärkt würden, hätte an dem deutschen Gericht wohl niemand erwartet.
Doch Cristóbal Montoro hat am Montag eindeutig noch einmal bestätigt, dass keine Steuermittel verwendet wurden. "Ich weiß nicht, mit welchem Geld das Referendum bezahlt wurde, aber nicht mit Steuergeldern", erklärte er und entzog damit einer Auslieferung wegen Untreue praktisch jede Basis. Der genervte Llarena hat nun vom Finanzminister Aufklärung darüber gefordert, auf was er sich beziehe.
Absurde Vorwürfe
Vor diesem Hintergrund muss allerdings der Beschluss der Berufungskammer des Obersten Gerichthofs vom Dienstag analysiert werden, mit dem die absurden Vorwürfe einer angeblichen Rebellion in Katalonien von Richter Pablo Llarena genauso gestützt werden. Zudem stellen sich die Richter auch hinter seine Entscheidung, welche die Wahl von Jordi Sànchez zum katalanischen Präsidenten erneut verhindert hat.
Gegen vorläufige Auflagen der UN-Menschenrechtskommission hat er ihn erneut nicht zur Investitur aus der Untersuchungshaft ins Parlament gelassen und damit den vierten Versuch einer Amtseinführung verhindert. Für Verfassungsrechtler und andere hochrangige Juristen ist das Rechtsbeugung, die nach ihrer Ansicht nun auch die Berufungsrichter begehen. Entsprechend ist die Klage nicht allein gegen Llarena formuliert, da diese Entscheidung absehbar war, um ihn auch dafür strafrechtlich dafür zu belangen.
Die Berufungsrichter fühlen sich angegriffen?
So werfen auch die Berufungsrichter nun Sànchez, Puigdemont und seinen übrigen Mitstreiter in Haft oder im Exil "Rebellion" vor, sie sollen sich also einer Art "Putsch" schuldig gemacht haben. Sie sehen angeblich Indizien, die den Vorwurf der Rebellion untermauern würden, meint die Berufungskammer, und sie fantasieren eine Gewalt der Unabhängigkeitsbewegung herbei, wie sich im Verlauf der weiteren Analyse zeigt.
Noch erstaunlicher ist - denn das war nicht ihre Aufgabe -, dass die Richter quasi eine Erwiderung auf den OLG-Beschluss zu Puigdemont verfasst haben. Deshalb fragt sich auch der Anwalt von Jordi Sànchez: "Ich weiß nicht, was eine Antwort auf das deutsche Gericht in meiner Berufung zu suchen hat."
Denn Jordis Anwalt Pina ging es "konkret" um die politischen Rechte, die ein Untersuchungsgefangener in einer Demokratie hat, nämlich wählbar zu sein und an Parlamentssitzungen teilzunehmen, wie es auch die UN-Menschenrechtskommission fordert. Auf diese Frage werde erst auf Seite 31 eines Beschlusses mit 38 Seiten eingegangen, zeigt sich der Anwalt verstört. Er fragt sich, ob auch er bald im Gefängnis landet.
Es lässt sich kaum anders begreifen, dass die Richter sich massiv vom OLG angegriffen fühlen und damit eigentlich schon ihre Befangenheit deutlich machen. Statt sich auf den Fall Sànchez und die konkreten Fragen zur Investitur zu äußern, schreiben sie vor allem eine direkte Kritik zum Fall Puigdemont.
Der Vergleich mit dem Protest gegen die Startbahn West
Besonders echauffieren sie sich über einen Vergleich des OLG: Dass die deutschen Richter die Proteste gegen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens (Bau der umstrittenen Startbahn-West) mit dem Vorgehen der Separatisten in Katalonien vergleichen, sei nicht angemessen.
Der Autor kann aus eigenen Anschauungen und Erlebnissen bestätigen, da er selbst in der Bewegung der Startbahngegner aktiv war und sie aus erster Hand kennt, dass die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien dagegen wirklich zahme Schafe sind. Es gab aber in der Auseinandersetzung zum Teil massive Gewaltausbrüche, zunächst – wie in Katalonien - vor allem von Seiten der Sicherheitskräfte. In der Folge radikalisierten sich die Proteste immer stärker von Seiten der Gegner.
Deshalb ist der Vergleich angemessen, auch weil dabei ein abgelehntes Volksbegehren eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Man ließ in Hessen auch nicht die Bevölkerung über ein höchst umstrittenes Projekt der Nato entscheiden.
Obwohl eine ganze Region nach der Räumung des Hüttendorfs 1981 in Aufruhr war, Autobahnen und der Flughafen blockiert wurden, es überall in der Region Demonstrationen und Straßenblockaden gab, die Mauer um das Baugelände Wochenende für Wochenende mit massiver Gewalt eingerissen wurde, wäre niemand auf die Idee gekommen, eine Rebellion, Putsch oder Hochverrat herbeizufantasieren.
Die Gewalt von Gegnern, einer im Laufe der Jahre immer kleiner werdenden Gruppe, verselbständigte und radikalisierte sich immer mehr. Schließlich endete die Bewegung darin, dass auf einer Demonstration zum Jahrestag der Räumung des Widerstandsdorfs im Flörsheimer Wald am 2. November 1987 sogar zwei Polizisten erschossen wurden und sieben weitere verletzt wurden. Genau auf diese Gewaltfalle sind die Katalanen bisher nicht hereingefallen und werden es hoffentlich auch nie tun, denn es wäre das Ende auch dieser Bewegung.
Davon haben die spanischen Richter offenbar nicht den blassen Schimmer. Trotz allem meint die Berufungskammer, sie könne darüber urteilen, wie ein deutsches Gericht mit hypothetischen Vorgängen in Deutschland umgehen würde, wenn sie mit denen in Katalonien ähnlich seien.
Ein undemokratischer Rückfall auch in Deutschland möglich?
Warum es in der Republik anders als im Königreich aber solche Vorgänge nicht gibt, wie sie Spanien seit dem Ende Diktatur im Baskenland erlebt, fragen sich die Regierungsrichter natürlich nicht. Interessant wäre allerdings schon zu wissen, ob wir im Deutschland einen undemokratischen Rückfall wie in Spanien erleben würden.
Würde man zum Beispiel ein Referendum in Bayern "mit allen Mitteln" zu verhindern versuchen, wie es Madrid in Katalonien tut? Großbritannien hat sich gegenüber solchen Bestrebungen in Schottland und Kanada hat sich gegenüber Unabhängigkeitsbestrebungen Quebec demokratisch gezeigt, da beide Staaten sich auf das "demokratische Prinzip" stützen.
Für die spanische Berufungskammer ist allerdings klar, dass Deutschland repressiv wie Spanien vorgehen würde. Im Fall eines ach so gefährlichen Referendums und dem Vorgehen der katalanischen Regierung würde ein deutsches Gericht auch mehr als eine "symbolische Strafe verhängen, wenn ihnen das passiert wäre", schreiben die Berufungsrichter. Das OLG in Schleswig meinte dagegen, dass Puigdemont bei seinem friedlichen Vorgehen in Deutschland eben nur dies zu erwarten hätte.
Zurück zum Aufruhr
Interessant ist an den Ausführungen auch, dass nun ganz offensichtlich auch diese Richter kaum noch davon ausgehen, dass Deutschland Puigdemont wegen angeblicher Untreue ausliefern wird. Sie klammern sich deshalb an einen neuen glühenden Nagel. Sie versuchen einen juristischen Schwenk einzuleiten und wollen nun wieder die Tür in Richtung "Sedición" (Aufruhr oder Aufstand) öffnen.
Das ist aus mehreren Gründen Realsatire: 1. hat Richter Llarena gerade erst alle Anklagen von Aufruhr auf Rebellion hochgestuft, weshalb es mehr als auffällig wäre, würde er als Taktik zur Auslieferung nun plötzlich auch bei Puigdemont, dem er stets Rebellion vorgeworfen hat, herabstufen. 2. darauf macht der Anwalt der drei in Belgien exilierten ehemaligen katalanischen Minister in Belgien aufmerksam, dass die Berufungskammer eine massive Unkenntnis des deutschen Rechtssystems aufweist. Gonzalo Boye fragt sich, ob es "Delikte à la carte" gibt und verweist darauf, dass in Deutschland der Aufruhr-Paragraph schon 1970 gestrichen wurde, wie die spanischen Richter auch in Wikipedia nachlesen können.
Sie fühlen also mit Aufruhr vor und hoffen darauf, dass die Richter am OLG, weil dafür nach spanischem Recht weniger Gewalt nötig ist, irgendeinen Paragraphen finden, mit dem sich die Auslieferung begründen ließe und man Puigdemont wenigsten bis zu 15 Jahre inhaftieren kann, wenn es schon nicht für 30 möglich ist.
Merkwürdige Gewalt-Auslegung
Dabei räumen auch diese Richter in ihrem Beschluss ein, dass es praktisch keine Gewalt von Seiten der Unabhängigkeitsbewegung gab. Deshalb eiern sie massiv herum und legen es sogar schon sehr merkwürdig als "Gewalt" aus, dass die Puigdemont-Regierung "zwei Millionen Menschen zur illegalen Stimmabgabe" beim Referendum verleitet habe, stellt sogar der Spiegel kritisch fest.
Die wirklichen Stilblüten der Argumentation entgehen der oberflächlichen Spiegel-Betrachtung aber. Denn da schreiben die Richter tatsächlich, dass keine Gewalt benutzt wurde, um die Macht zu übernehmen, sondern die Puigdemont-Regierung "versuchte, den spanischen Staat aus den Institutionen" in Katalonien zu verbannen.
In diesem Kontext "ist es klar, dass die physische Gewalt zweitrangig war" und nur "punktuell" auf dem eingeschlagen Weg eingesetzt werden sollte, wie zur "Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums", kann hier das gesamte 38-seitige Machwerk bestaunt werden.
Weil es die Gewalt, gut organisiert und militärähnlich ausgeführt, nur von Seite der spanischen Sicherheitskräfte am 1. Oktober gab, wie internationale Beobachter bestätigt haben, weichen auch diese Richter ins Reich der Phantasie aus und folgen damit dem Richter Llarena, allerdings auch dem deutschen Generalstaatsanwalt.
So führen sie doch tatsächlich aus, dass es noch viel mehr Gewalt gegeben hätte, wenn nicht nur 6.000 Paramiltärs der Guardia Civil und Beamte der Nationalpolizei eingesetzt worden wären.
So werden erneut keine realen Vorgänge beurteilt, sondern einfach etwas behauptet, was in diesem Fall sogar stimmt. Denn wenn 6.000 Beamte auf friedliche Menschen mit verbotenen Gummigeschossen schießen und einprügeln, dann ist die Gewalt von der doppelten Zahl oder mehr natürlich noch größer.
"Hätte eine ausreichend große Menge an Polizisten eingegriffen, ist es sehr wahrscheinlich, dass das in einem Massaker geendet wäre und damit wäre das Ergebnis des Europäischen Haftbefehls wohl deutlich anders ausgefallen", schreiben sie tatsächlich.
Keine Indizien für eine gewaltsame Gegenwehr
Allerdings sagt das rein gar nichts über das Vorgehen der Unabhängigkeitsbewegung aus, sondern nur darüber, wozu Spanien grundsätzlich bereit zu sein scheint. In diesem Zusammenhang sind dann auch die Warnungen vor "Toten" und dem Einsatz scharfer Munition zu sehen.
Die Richter haben nicht einmal Indizien geliefert, dass von Seiten der katalanischen Regierung oder der Unabhängigkeitsbewegung eine gewaltsame Gegenwehr geplant war. Ob es ein Massaker gab oder geben wird, hängt allein vom Vorgehen der spanischen Sicherheitskräfte ab.
Man fragt sich nun allerdings, ob ein Massaker am 1. Oktober nur dadurch verhindert wurde, weil es eine militante Gegenwehr auf die massive Gewalt der Sicherheitskräfte eben nicht wie erwartet gab und damit auch keine möglicherweise geplanten Bilder eines Aufstands mit Straßenschlachten, die ein massives Durchgreifen gerechtfertigt hätten.
Wurden Guardia Civil und Nationalpolizei also am Nachmittag des 1. Oktober zurückgepfiffen, weil sich die Einsatzleitung geirrt hat? Absurd kann man es aber nur noch nennen, wenn die Gewalt der Staatsmacht dazu herhalten soll, eine angebliche Rebellion oder Aufruhr herbei zu fantasieren und darauf Anklagen mit drakonischen Strafen baut.
Deutschland steht bei seiner Ablehnung dieser absurden Sichtweise jedenfalls nicht allein. Gerade am Mittwoch hat sich das Schweizer Parlament geäußert. Es hat bestätigt, dass nun ein formelles Verfahren im Fall der Generalsekretärin der Republikanischen Linken (ERC) läuft, man sie aber nicht ausliefern werde, wenn sich bestätigt, dass der Antrag politisch motiviert ist.
So ähnlich hatte sich die Schweiz auch schon beim Besuch Puigdemonts und im Fall der ehemaligen Sprecherin der linksradikalen CUP geäußert. In Belgien sieht es nicht anders aus. Im Fall der drei Ex-Minister hat das Land ebenfalls bisher auf jede Verhaftung verzichtet und heute hat sogar die Staatsanwaltschaft weitere Informationen über die Anschuldigungen gefordert.