Stimmungsmache beim "Energiepolitischen Appell"
Vertragliche Abgabe statt Brennelementesteuer: Unions- und FDP-Politiker übernehmen die Position der Industrie; Röttgen will beim Steuermodell bleiben
Natürlich geht es um Stimmungsmache beim "Energiepolitischen Appell", der heute ganzseitig in den Wochenendausgaben der Zeitungen zu lesen ist (siehe dazu: Energiekonzerne setzen mit ihren Lakaien Regierung unter Druck). Was hat etwa der Manager der Deutschen Fußballnationalmannschaft, Oliver Bierhoff, auf der Liste der Unterzeichner zu suchen? Oder Keks-Fabrikant Bahlsen? Bierhoff ist Sohn eines früheren RWE-Funktionär, heißt es. Dass sein Name zu den "vierzig namhaften deutschen Wirtschaftsvertretern" gehört, die "Mut zum Realismus" und "Vertrauen in bewährte Versorgungs-und Industriestrukturen" fordern, bringt den Erfolg der Nationalmannschaft mit aufs Feld, wo Deutschlands Zukunft auf dem Spiel steht, energiepolitisch.
Sieht man vom rhetorischen Bling-Bling aus Verantwortungsgefühl und Good-Will-Erklärungen ("Die Zukunft gehört den Erneuerbaren") ab - und von der bewährten Angsteinjagerkombination aus Leistungsfähigkeit und Marktchancen -, dann bleiben genau jene politischen Grundforderungen übrig, die man auch aus anderen "Deutschlands-Zukunft-steht-auf-dem-Spiel"-Debatten kennt: weniger Steuern und weniger Staat, mehr Freiheiten für Unternehmer, im Kampagnendeutsch: "attraktive Marktchancen mit weniger Bürokratie und schnellen Genehmigungen".
Energieversorger dürfen nicht stärker belastet werden, heißt die Botschaft der Anzeige, hinter der das große Versorgerquartett Eon, RWE, Vattenfall und EnBW steht. Unter der Überschrift: "Investitionen politisch nicht blockieren" findet sich dann der konkrete Kern des Appells:
"Die geplante Brennelementesteuer oder eine weiter steigende Ökosteuer dürfen in ihrer Konsequenz Zukunftsinvestitionen nicht verhindern."
Kernkraft und Kohle sollen weiter vorne beim Energiemix dabei sein - ohne Brennelementesteuer, mit freiwilliger Abgabe seitens der Betreiber und neuen Kohlenkraftwerken. Für die Betreiber der Kernkraftwerke, die längst abgeschrieben sind, und wirtschaftlich längst in lukrativen Gewinnzonen, ein guter Deal. Nur wenig wundert man sich darüber, dass Mitglieder der Unionsfraktion, wie Fraktionschef Keuder, längst zur Position der Industrie übergewechselt sind:
"Eine vertragliche Einigung mit der Energiewirtschaft wäre für mich immer besser als eine Besteuerung."
Auch FDP-Politiker sollen sich nach Informationen des Spiegel von der Abgabe distanzieren und für einen neuen Vertrag plädieren. Doch, so meldet das Magazin heute, der Umweltminister, dem der Angriff aus der Industrie hauptsächlich gegolten haben soll, "bleibt hart".Die 2,3 Milliarden Euro für Brennelementeabgabe seien im Sparpaket eingeschrieben, daran gebe es "nichts mehr zu rütteln", so Röttgen. Zur Vertragslösung mit den Kernkraftbetreibern statt einer Brennelementesteuer sagte er:
"Die Politik muss mächtige Unternehmen gerade auch im Steuerrecht so wie die normalen Bürger behandeln."
Da darf man gespannt sein: Finanzminister Schäuble argumentiert in Teilen ganz ähnlich: Die erwarteten 2,3 Milliarden Euro seien "fest eingeplant" - für die Haushaltssanierung, nicht für die Förderung regenerativer Energien, wie dies Röttgen gerne sähe. Aber Schäuble hat die Wende zur Bereitschaft für eine vertragliche Abgabe seitens der Energiekonzerne schon vollzogen. Bei Röttgen ist das vielleicht auch nur eine Frage der Zeit - oder der Stimmung in der Öffentlichkeit und dem daraus folgenden Druck?
Noch zeigt der Bundesumweltminister allerdings Profil gegenüber der Industrie, das in seiner Partei sonst selten zu finden ist: Angesichts der Milliardengewinne, die E.on und RWE im ersten Halbjahr 2010 ausgewiesen hätte, fordert Röttgen Erklärungen der Konzerne, "warum sie eine Steuer nicht schultern können, zumal damit auch die Folgen ihres eigenen Tuns bezahlt werden". Als Beispiel dafür führt er die "Sanierung des maroden Endlagers Asse" an (vergessen darf man dabei aber nicht, dass Röttgens sich im Prinzip für eine Laufzeitverlängerung stark macht).
Geht es nach Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt, dann muss man auch nicht unbedingt mit großem öffentlichen Druck auf Röttgen rechnen, denn die Unterzeichner haben gar nicht so viel Rückenwind unter den Managern, wie sie das suggerieren:
"Das Interessante an diesem Appell ist, wer ihn alles nicht unterschrieben hat: Manager von lediglich 9 der 30 DAX-Unternehmen stehen unter dem Aufruf für mehr Kohle und Atom. Da man davon ausgehen kann, dass die Initiatoren des Appells in allen DAX-Unternehmen nachgefragt haben, bedeutet dies, dass eine klare Mehrheit von 21 Vorstandsvorsitzenden nicht unterschreiben wollte."