Stuttgart 21: Wann zieht Landesregierung die Reißleine

Die seinerzeit gescheiterte Abstimmung bedeutete kein bedingungsloses Ja zum Neubau

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist ruhig geworden um den Stuttgarter Tiefbahnhof, jedenfalls außerhalb der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Dort selbst wird weiter wöchentlich demonstriert. Anfang Dezember waren es zur 300. Montagsdemonstration mehrere Tausend, die gegen das Milliardengrab protestierten. Das ist deutlich mehr Aufmerksamkeit als die Berliner ihrem eigenen Milliardengrab und Dauerskandal, der ewigen Flughafenbaustelle vor den Toren der Stadt, zollen.

Auch die vielen Reaktionen auf meinen Beitrag zu den neuen Kostenschätzungen zeigten, dass entgegen der medialen Wahrnehmung das Thema S21 noch keineswegs erledigt ist. Gelegentlich kann man gar von Bewohnern oder Besuchern der Stadt hören, wie sehr die Auseinandersetzung die einst eher behäbige Stadt politisiert habe. Das leichtfertige feuilletonistische Geschreibe über vermeintliche Wutbürger, die einfach nur recht unreflektiert gegen alles Neue seien, wird damit nachträglich falsifiziert. Allerdings hatte dieses sich ohnehin um Fakten und Wahrheitsgehalt der Aussagen wenig geschert.

Interessant fand ich an den Reaktionen besonders einige Hinweise, die mich einen etwas genaueren Blick auf den seinerzeit durchgeführten Volksentscheid werfen ließen. Zum einen war mir neu oder entfallen, dass das Wahlvolk in Baden-Württemberg gar nicht über den Bahnhofsneubau abzustimmen hatte. Zur Abstimmung stand vielmehr ein Gesetz, mit dem die Landesregierung aufgefordert wurde, die Kündigungsrechte für ihre Beteiligung wahrzunehmen, sofern die im Vertrag festgelegte Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro überschritten wird. Ob das wirklich allen Abstimmenden so klar war?

Zum anderen hatte die Abstimmung eigentlich ohnehin kaum eine Chance. Für einen Erfolg hätte es nämlich die Zustimmung eines Drittels aller Wahlberechtigten bedurft. Bei der tatsächlich erreichten Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent hätten also rund zwei Drittel mit Ja stimmen müssen, damit der entsprechende Auftrag an die Landesregierung ergeht. Die Badische Zeitung hatte dies seinerzeit im Vorfeld erklärt, dabei aber den Fehler gemacht zu suggerieren, es gehe bereits um den Ausstieg aus dem Neubau.

Den expliziten Auftrag des Wahlvolks gibt es also nicht, was jedoch nicht heißt, dass die Landesregierung nicht aus dem Vertrag aussteigen kann. Immerhin werden die Kosten erheblich überschritten, und auch wenn die Bahn zunächst die Mehrkosten allein schultern will, wird sie im Nachhinein vermutlich versuchen, sich diese auf dem Klageweg vom Vertragspartner, also dem Land Baden-Württemberg zurück zu holen. Da die Landesregierung eigentlich zu sorgfältigem Wirtschaften verpflichtet ist, gebe es da durchaus eine gewisse Pflicht, aktiv zu werden.

Zumal, wie die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext berichtet, die Stuttgarter Baustelle es inzwischen auch in Sachen Pfusch und Planungsschlamperei mit dem Hauptstadt Flughafen aufnehmen kann, nach dem sie ihn bei den Kosten bereits zu überholen scheint. "Stuttgart 21 wird das Desaster BER noch weit in den Schatten stellen", zitiert das Blatt Hans Heydemann, den Sprecher einer kritischen Gruppe von Ingenieuren. Diese hatte sich kürzlich den Einblick in die Planungsunterlagen für den Brandschutz erstritten.