Upstream ist noch so ein Downer

Networking soll ja alles ein in einer vernetzten Welt. Zumindest ist es Stress

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Ich habe eine Kollegin, die jetzt langsam an einem Social Burnout zu leiden beginnt. Nicht, weil sie unter Quarantäne stände (das hoffe ich für sie nicht, und es wird hoffentlich auch nie passieren) und deshalb keinen Menschen mehr zu sehen bekommt. Nicht, weil genau das Gegenteil passiert und sie von einer Cocktail Party zur anderen wankt.

Sie ist einfach nur noch mit Social Networking beschäftigt und tippt sich auf ihrem Smartphone die Daumen wund, schürft sich innerlich den Mund, weil sie von einer Duckface-Aufnahme zur anderen torkelt. Sie versteht ja, dass man sich heutzutage mitten in den Social-Media-Wahnsinn schmeißen muss, um nicht nur im Privatleben erfolgreich zu bleiben. Nein, ohne eine Flut an Postings auf Facebook, Instagram, Twitter und natürlich auch noch Xing und LinkedIn wäre sie karrieretechnisch doch längst unter ferner Liefen.

Da jagt ein "wow, ich bin gerade wieder zur Business-Frau mit eigenem Eckbüro (fensterlos, aber hey) des Jahres gewählt worden"-Posting das andere. Zufällige Schnappschüsse im Aufzug mit dem CEO sollten gut durchmischt mit "ich backe für BLACK LIVES MATTER"-Bildern zu finden sein. Politisch korrekt, jobmäßig auf der Spitze und offen für neue Opportunities.

Das war bisher dank dem Einsatz eines frei schaffenden Kamerateams aus dem Nachbarhaus und der aktiven Mithilfe von dreitausend Followern noch irgendwie zu schaffen. Aber jetzt das:

Upstream verlangt ihr jetzt auch noch den Rest ihres Freizeitlebens ab. Es reicht einfach nicht mehr, dass man in LinkedIn die Ergüsse der eigenen PR-Abteilung forwarded, jetzt soll man schon auch noch netzwerken mit lockeren Themen, um karrieretechnisch über ein sanftes Plaudern zu Hobbies und Interessen weiterzukommen. Dabei hat meine Kollegin doch gar keine Interessen außer ihrer Karriere, was soll sie denn jetzt nur machen? Über irgendwas muss sie doch in Upstream auch reden können. Es kann ja nicht sein, dass sie ihren Gehaltsscheck häkelt oder in einer Bürotischschnitzgruppe unterkommt. Das stresst sie total.

Gestern habe ich sie einen Volkshochschulkurs in klassischer Musik belegen gesehen. Zur Abwechslung ist es mal kein Master-Studiengang im Abendkurs zum Thema Digital Business oder Creativity in Companies. Aber sie hat gesagt, sie macht das mit der Musik nur, um in Upstream ihre Kompetenz zu zeigen und in einem der Events das Thema geschickt im Hinblick auf ihre Vernetzung einzubringen.

Alle meine Entchen hat sie jetzt schon auf der Blockflöte drauf. Ich bin mir sicher, sie wird ganz toll in Upstream durchstarten. Ich werde ihr auch nicht sagen, dass sie diese Networking Plattform ein bisschen falsch verstanden hat. Sie kriegt schon noch die Kurve. Wenn sie vorher nicht ausbrennt. Sie ist doch so eine Sensible.