Wiederhergestellte Gewaltenteilung: Kraft will Rüttgers-Regierung per Parlament steuern

In nächster Zeit sollen eine Reihe von Gesetzesvorhaben eingebracht werden, für welche die nordrhein-westfälische SPD auf Mehrheiten hofft

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Es ist eine Lösung, die kaum jemand in den Medien auf dem Schirm hatte: Die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende will, so gab sie gestern Abend bekannt, weder eine Koalition mit der CDU eingehen, noch ein Minderheitskabinett bilden oder auf direktem Wege Neuwahlen anstreben, sondern die bisherige Regierung von Jürgen Rüttgers auf unbegrenzte Zeit im Amt belassen und gleichzeitig im Parlament eine Reihe von Gesetzen verabschieden, für die sie auf Mehrheiten hofft.

Das Vorgehen ist nicht ungeschickt: Denn damit löst die SPD das Problem, dass ihr in einem Abkommen mit der Linkspartei die Zusammenarbeit mit Antifachaoten und in einem mit der FDP die mit Finanzchaoten (die ebenfalls das Eigentum fremder Leute verbrennen) vorgeworfen würde. In mehreren Wochen und Sondierungsgesprächen mit CDU, Linkspartei und FDP konnte die Partei außerdem gut eroieren, für welche Projekte sich bei wem Zustimmung abzeichnet.

Bei Abstimmungen können die Abgeordneten der verschiedenen Parteien zudem mit wechselnden Argumenten unter Druck gesetzt werden: Die Mandatsträger der durchaus heterogen zusammengesetzten Linksfraktion etwa lassen sich, wenn sie mit der CDU stimmen, sehr leicht als nützliche Idioten von Pinkwart und Rüttgers darstellen, während CDU und FDP wiederum damit geschadet werden kann, dass man öffentlich behauptet, sie betrieben in einer Front mit PKK-Sympathisanten Blockadepolitik. Kein Wunder also, dass die SPD selbstbewusst verlautbart, man gehe davon aus, "dass es in vielen Themenfeldern Mehrheiten geben wird".

Gibt Rüttgers angesichts mangelnder Handlungsfähigkeit auf und entscheidet sich für Neuwahlen, dann schadet das potenziell den Zustimmungswerten der CDU und wird nicht Kraft angerechnet. Derzeit könnten SPD und Grüne von solchen Neuwahlen profitieren: Wenn die immer unbeliebtere FDP und/oder die Linkspartei an der Fünf-.Prozent-Hürde scheitern, dann reicht es für Krafts und Löhrmanns Wunschkoalition. Und wenn nicht, dann sorgt vielleicht der Umfrage-Aufwind für die Grünen trotzdem für eine knappe Mehrheit.

Für die Bürger könnte es allerdings um so vorteilhafter sein, je länger der ungewöhnliche Zustand andauert: Denn durch ihn wird die gemeinhin durch übermäßige Parteienmacht ausgehebelte Gewaltenteilung wiederhergestellt, in dem ein Parlament Regierungsentscheidungen nicht einfach qua Fraktionszwang durchwinkt, sondern wirklich kontrolliert.