Zahnloser Versuch: Defizitverfahren gegen Italien
Kritik an den Haushaltsentwürfen hat Brüssel aber auch an Spanien, Belgien, Portugal und Slowenien
Da scheinen zwei Züge aufeinander zuzurasen, weil sowohl Italien als auch die EU-Kommission hoch pokern. In beiden Lagern besteht derzeit kaum Bereitschaft zum Einlenken, um eine vernünftige Lösung zu finden (vgl. Entscheidung mit dem Hintergedanken, eine Regierung loszuwerden, die unbequem ist?). Deshalb wird massiv mit dem Feuer gespielt.
Die Tatsache, dass die EU-Kommission nun den Weg für ein Strafverfahren gegen Italien freigemacht hat, das Brüssel für gerechtfertigt hält, ist dabei noch das kleinste Übel. Theoretisch wäre eine Strafe von 0,2% und 0,5% des Bruttoinlandsprodukts des Landes möglich, das wäre eine Strafzahlung zwischen etwa 3,5 und knapp 9 Milliarden Euro. Wegfallen könnten zudem Zahlungen aus EU-Fonds. Allerdings muss angemerkt werden, dass es solche Verfahren immer wieder gab, doch es kam bisher nie zu Sanktionen.
Dramatisierung
Und mit denen muss Italien auch nicht wirklich rechnen, entsprechend gelassen schaut man in Rom auf den Vorgang. "Ich glaube, dass die Dramatisierung der Meinungsverschiedenheiten zwischen Italien und der EU-Kommission der italienischen Wirtschaft und in der Folge der europäischen Wirtschaft schaden wird", warnte Finanzminister Giovanni Tria. Es sei bedauerlich, dass die Kommission die italienischen Pläne nicht teile.
... und Einseitigkeit in den deutschen Medien
Interessant ist weiterhin, wie in den deutschsprachigen Medien sehr einseitig die Schuld allein Italien zugeschrieben wird. Die Neue Westfälische Zeitung, aus der das Zitat von Tria stammt, konnte es nicht lassen, voranzustellen: "Rom gibt sich uneinsichtig." In Spiegel Online wird sogar behauptet, dass "das Land heftig gegen die EU-Schuldenregeln verstößt".
Nichts ist falscher als das, wie Telepolis kürzlich herausgestellt hatte, denn das von Rom geplante Defizit soll mit 2,4% unter der Defizitmarke von 3% liegen. Sogar harte Kritiker, die die Zahlen aus Italien anzweifeln, gehen mit 2,9% immer noch von einem Wert unter der Marke des Stabilitätspakts aus.
Man kann das weiter durchgehen. Die "linksliberale" Frankfurter Rundschau (FR) schreibt: "Rom hat die Konfrontation mit Brüssel provoziert, jetzt ist sie da." Und der Tagesspiegel schreibt wie etliche andere Blätter auch: "Was die Regierung in Rom mit Italien und Europa anrichtet, ist brandgefährlich."
Anders als der ehemalige Eurogruppenchef ist man in Frankfurt allerdings nicht so dumm, um zu behaupten, dass das nur eine "Implosion“ der italienischen Wirtschaft werden würde. Die bliebe weitgehend isoliert und ließe Europa unbeschadet, hatte Jeroen Dijsselbloem absurderweise behauptet.
Die FR warnt aber: "Der Streit um Italiens überbordende Schulden könnte den Beginn einer neuen, tiefen Euro-Krise markieren."
Auch der Tagesspiegel macht auf ein Problem aufmerksam, was die Sache tatsächlich brandgefährlich macht. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie der Eurozone eine neue Staatsschuldenkrise einbrockt." Richtig fügt man in Berlin an: "Alle inzwischen aufgespannten Rettungsschirme der EU würden nicht ausreichen, um das Land vor der Pleite zu bewahren. Schon jetzt gelten Italiens Banken als kippelig, weil sie auf einem Haufen fauler Kredite sitzen."
Gefahr verheerender Auswirkungen
Genau deshalb sitzt Italien an einem ziemlich langen Hebel. Allerdings kann es für alle in Europa ziemlich ernst und teuer für die Steuerzahler werden, wenn man tatsächlich auf das Rezept von Dijsselbloem setzt, das die Badischen Neuen Nachrichten aufgreifen: "Bis das Defizitverfahren scharf gestellt wird, werden die Finanzmärkte die Italiener ohnehin zur Raison bringen."
Das ist die Idee, die auch die Neue Zürcher Zeitung vertritt, die meint, dass Brüssel Sanktionen Italien wohl kaum zu mehr Budgetdisziplin zwingen können. "Höhere Zinsen an den Anleihemärkten werden hingegen Wirkung zeigen.“
Das könnte verheerende Auswirkungen für die Eurozone und den Euro haben, denn Italien ist nicht Griechenland, sondern das drittgrößte Euroland und hat einen Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro angehäuft. Und die italienischen Einwürfe sind berechtigt, wenn Rom erklärt, man wolle genauso behandelt werden, wie andere Länder auch.
Man fragt sich etwa, warum Spanien, das seit vielen Jahren gegen Defizitkriterien verstößt, weiterhin eine Sonderbehandlung bekommt. Immer wieder wurde der rechtskonservativen Regierung in Spanien Flexibilität zugestanden, die nun eben auch Italien einfordert.
Extrawürste für Spanien
Seit sieben Jahren werden für das Land Extrawürste gebraten. Die Defizitgrenzen wurden mit der Flexibilität gehandhabt, die Italien jetzt einfordert. Ein ums andere Mal wurden die Grenzen nach oben verschoben. Und es passierte auch nichts, wenn auch die angepassten Hürden dann auch noch gerissen wurden. Beim Defizit hat das Land sogar Griechenland 2017 überboten und auch erneut die Stabilitätshürde von 3% wieder gerissen.
Obwohl die Kommission auch mit dem spanischen Haushalt nicht einverstanden ist und ihn zurückgewiesen hat, soll gegen Spanien kein Defizitverfahren eingeleitet werden. Der Haushalt ist – wieder einmal - massiv schöngerechnet, aber er hat praktisch ohnehin keine Chance, durch das Parlament zu kommen, weil dem Sozialdemokraten Pedro Sánchez die Mehrheit fehlt.
Da sich in der spanischen Wirtschaft massive Bremsspuren zeigen, bleibt abzuwarten, wie das Defizit im laufenden Jahr ausfällt, ob es das Land erstmals wieder schafft, die Hürde von 3% zu unterschreiten.
Munition für Italien
Auch die Haushaltsentwürfe in Belgien, Slowenien und Portugal kritisiert Brüssel, ohne Defizitverfahren einleiten zu wollen. Portugal - und das ist Munition für Italien - wollte man tatsächlich einmal bestrafen, weil es sich ebenfalls nicht an die Vorgaben der Kommission gehalten und die Austeritätsprogramme abgeklemmt hat.
Doch statt erneut unter den Rettungsschirm kriechen zu müssen, wie es auch Bundesfinanzminister Schäuble dem Land angedroht hatte, kam Portugal auf dem Kurs der Linkspartei aus der Krise heraus. Das "portugiesische "Wunder" hat genauso dafür gesorgt, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken und trotz höherer Ausgaben wurde das Defizit deutlich unter die Stabilitätsgrenze gesenkt, weil die Sozialausgaben sanken und die Steuereinnahmen auch wegen höherer Löhne sprudeln.
Das Land steht heute viel besser als Spanien da, das noch lange an den absurden Kürzungsprogrammen festgehalten hat.