Schinkel, Speer und die Französische Revolution

Seite 3: Vom friedlichen Arkadien zur Mobilisierung der Angst

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Hitlers Formel fürs Bauen war einfacher. Bei jedem Entwurf, bei jedem Modell ging es darum, schon bestehende Bauwerke anderer Länder zu übertreffen. Makaber war der "Showdown" zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung von 1937 (Abb.9), die sich gegenüberlagen. Speer trickste, um für Deutschland die Dominanz, gemessen in Höhenmetern, zu erringen. Nach dem Krieg stellte sich Speer als "verführten Künstler" dar. Sicher war er von seinem "Auftraggeber" abhängig. Aber wer verführte wen? Der Architekt wird schnell herausgefunden haben, dass Hitlers Megalomanie ein Minderwertigkeitskomplex zugrunde lag, an dem er ihn leicht packen und für seine eigenen, Macht und Gewinn bringenden Zwecke ausnutzen konnte.

Abb. 9: Weltausstellung Paris 1937. Links der deutsche Pavillon und rechts der sowjetische. Bild: Sagredo. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Was an den Entwürfen der Revolutionsarchitektur Utopie war, wurde in der NS-Architektur wörtlich genommen. Kunst, Religion und Politik verschmolzen endgültig. Der Kult der Gattung wurde zum Totenkult mit realen sozialen Folgen. Das Reich sollte mit einem Kranz von Totenburgen umgeben werden, und die Ehrentempel am Münchener Königsplatz waren das Allerheiligste dieses Kults. Dass das deutsche Volk die überlegene Rasse sei, ist die Kehrseite, gleichsam Kompensation, der Alarmierung der eigenen Bevölkerung. Die monumentale NS-Architektur ist nicht nur einschüchternd, sie symbolisiert Einkerkerung, hinter der eine Todesdrohung steht. Heinrich sagt, dass damit das System der Lagerarchitektur, das System der Konzentrationslager, auch die Städte ergriffen hat.

Die Nazis inszenierten einen Blutrausch des Untergangs, zuletzt des eigenen. Hitler, Goebbels und Speer interpretierten die Bombardements Berlins als willkommene Abrisshilfe für den totalen Neuaufbau Berlins.

Die geplante städtebauliche Neuordnung war so totalitär wie stereotyp: Zur Ost/West-Achse eine triumphale Nord/Süd-Achse (Abb.8), die sich in der Nähe des Brandenburger Tors kreuzen, außen Ringe und Radialen, die von der Mitte aus darauf zulaufen. Landschaftliche Gegebenheiten zählten so wenig wie in der Revolutionsarchitektur. Schinkel wollte dagegen Berlin weg von der barocken Festungsstadt entwickeln. Ihm ging es um die lockere und "bequeme" Gruppierung der staatlichen Bauten im Perspektivenwechsel von Straßen und Freiräumen, um die Bühnenwirkung beim "Flanieren". Bei Speer ist das Wandeln von Perspektive zu Perspektive durch Marschieren ersetzt.

Eine geschlossene stadträumliche Gestaltung, die den Beschauer in eine Richtung zwingt, sollte sich zwar mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzen, aber Schinkel und Lenné schwebte vor, die Landschaft, die sie in Potsdam mit vereinten Kräften in ein preußisches Arkadien verwandelten, in die Stadt hineinzuführen. Dieses Konzept erhielt neue Nahrung nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, als beim Neuaufbau des Berliner Hansaviertels demonstriert wurde, wie Landschaft zum Gesetz der Stadtentwicklung werden kann.