Schinkel, Speer und die Französische Revolution

Seite 4: Willfährigkeit und Widerständigkeit des Eklektizismus

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Über seinen Lehrer Friedrich Gilly war Schinkel auf die Revolutionsarchitektur gekommen. Zwei seiner Werke muten besonders französisch an: die Neue Wache (Abb.10) und das Mausoleum im Schloss Charlottenburg (Abb.11). Seit ihrer Einweihung 1818 hat die Neue Wache bereits fünf Verwandlungsstufen als Gedächtnisort hinter sich, je nachdem, woher der ideologische Wind wehte und welche Opfer gerade zur nationalen Identitätsstiftung herhalten mussten. Die Umgestaltung von 1931 für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs stammte von Heinrich Tessenow, dem Lehrer Speers. Muss sich die Architektur an ihrer Rezeptionsgeschichte messen lassen? Goerd Peschken bezog die Rezeption auf das Werk zurück und stieß bei der Neuen Wache auf "faschistoide Elemente", zumindest in einigen Entwurfsphasen.2

Abb.10: Neue Wache (1816/18), Unter den Linden. Bild: Bernhard Wiens

Diese Faschismus-Keule überzeichnet die Widersprüchlichkeit in Schinkels Werk zur Einseitigkeit. Unter Verweis auf ein anderes Beispiel, Schloss Orianda auf der Krim, sagt Heinrich: "Selbst wenn der Schinkelsche Klassizismus den Totenkult beschwört, (...) schlägt sich die Unterwelt (...) in das Licht hoch." Schinkel, der seine Laufbahn mit Um- und Ausbauten begann, suchte die gattungsgeschichtlichen Fundamente sichtbar zu machen, statt die Gattung dem leeren kosmischen Raum zu unterwerfen.

Abb.11: Mausoleum im Schlosspark Charlottenburg, 1810 von Schinkel und Heinrich Gentz realisiert. Bild: Bernhard Wiens

Heinrich zieht zur Verdeutlichung die epochemachenden Radierungen Piranesis heran, die Carceri. Piranesi holt Elemente der Oberwelt nach unten, in die Kerker. Es ist eine Gattungsunterwelt. In einer anderen Bildserie kehrt er aber auch die Unterwelt nach oben. Die gleichzeitige Ambivalenz von Lebendigem und Totem ist auch ein Kampf von Licht und Finsternis, beides auf die Bühne gehoben in Mozarts "Zauberflöte", für die Schinkel Bühnenbilder entwarf. Der Kontrast zu Albert Speers Lichtdomen, jenen aus der Natur herausgesprengten ausweglosen Scheinwerfergefängnissen, könnte nicht größer sein.

Abb.12: Humboldt-Schlösschen in Berlin-Tegel, 1820-24 von Schinkel umgestaltet. Bild: Tohma 3. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Nicht immer gelang Schinkel die Umsetzung dieses von Heinrich suggerierten Programms, aber wo er den differenzierten Gebrauch von Licht und Perspektive mit Einfachheit verband, kam eine klare und zugleich zierliche Architektur heraus, die bürgerlicher Repräsentativität diente. Das Humboldt-Schlösschen (Abb.12) verfügt über ein wie ein Museum ausgestattetes Vestibül, während mit dem Grundriss der anderen Räume die Privatheit der Familie organisiert wurde.

Abb.13: Neuer Pavillon (1824/25) im Schloßgarten Charlottenburg. Bild: Bernhard Wiens

Im Pavillon für Friedrich Wilhelm III. im Schlosspark Charlottenburg (Abb.13 u.14) ist Repräsentativität zugunsten von Privatheit und Intimität zurückgenommen. Das geht auf Kosten der Verbindungsräume und der Treppe, die im Barock noch überragende Bedeutung hatte. Die Übergänge von Haus und Garten sind fließend. Der Bau ist einem Kubus angenähert und betont die Horizontale. Hier wird verständlich, wieso viele Architekten aus dem Umkreis des "Bauhaus" sich auf Schinkel beriefen.

Abb.14: "Exedra" im Gartensaal des Neuen Pavillons. Die Draperie erinnert an Schinkels Bühnenbild (Himmelsgewölbe) für die "Zauberflöte". Bild: Bernhard Wiens

Wird diese Modernität von Schinkels Eklektizismus durchkreuzt? Er schwankte zwischen Klassizismus und einer romantisierten Gotik. Er fand keine Tradition mehr, an die er hätte anknüpfen können. Die Tradition war Geschichte geworden. Die Beliebigkeit der Stile führt zu ihrer Ablösung und das "Architektonische" kann klar hervortreten, so Julius Posener.3 Schinkel lebte in einer Zeit des sozialen Umbruchs, revolutionär gesprochen, oder des Übergangs, reformerisch gesprochen. Der Adel konnte nicht mehr imperial auftreten, und das Bürgertum noch nicht.

Abb.15: Schinkels Bauakademie auf Planen. Der Wiederaufbau stockt, nicht so der des Schlosses (Hintergrund). Bild: Bernhard Wiens

Zwischen den Zeiten zu bauen, bietet die Chance, neue soziale Räume zu schaffen. Schinkels Auftraggeber, meist aus dem Hochadel, gewährten ihm diese Chance, oder sie nahmen sie ihm. Dann misslang ihm die multiperspektivische Sicht. Die Ambivalenz des Sichtbaren und des Nicht-Sichtbaren kippte. Die Bauherrin von Schloss Babelsberg drückte ihm eine überladene Tudor-Gotik auf. Aus dem Klassizismus wird leicht ein Historismus, dessen verzuckerte Fassaden gerade die Vergegenwärtigung der Geschichte - als Untergrund der Gesellschaft - abweisen. Im ergänzenden Interview kommt Klaus Heinrich auf die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses (Abb.15) zu sprechen. Unter Anspielung auf die rationalistisch-abstrakte Ostfront (Abb.16), die mit den vorgehängten Barockfassaden konkurriert, sagt er:

Was im Falle der Schlossrekonstruktion tatsächlich entsteht, ist ein Gerüst, dem man die Fassaden des alten Schlosses überhängen kann oder auch nicht, sodass der eine sagt: 'Guck mal, das Schloss, und der andere sagt: Guck mal, das neutrale Gerüst'. Wenn diese Tendenzen behaupten, dass sie sich auf Schinkel berufen, so können wir mit Bestimmtheit antworten: Wenn Schinkel baute, baute er immer gegen schon Bestehendes an.

Abb.16: Die Ostfront steht. Architekten des barocken Schlosses waren Andreas Schlüter und J. Eosander v. Göthe. Heute ist es Franco Stella. Bild: Bernhard Wiens

Schinkel musste sich persönlich mit einzelnen Auftraggebern auseinandersetzen, manchmal auch gegen sie anbauen. Er spielte mit Konventionen, er rekonstruierte sie nicht. Liegt die Verantwortung des Groß-Architekten in der postfeudalen Demokratie stattdessen darin, für viele Auftraggeber zu bauen, die er nicht genau kennt? Jeder bekommt die Fassade, die zu ihm passen könnte. Ein Potpourri. Und alle geh'n zufrieden in das Haus.