IS-Verbrechen: "Muslime, distanziert euch"

In Frankreich gibt es deutliche Worte von Muslimverbänden gegen den Missbrauch der Religion durch die Dschihadisten, in Deutschland auch. Die ständige Aufforderung zur Distanzierung stößt aber auch auf Kritik

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Wir verweigern diesen Wilden das Recht sich auf den Islam zu berufen und sich in unserem Namen zu äußern". Nach der Ermordung von Hervé Gourdel (Algerien: Blinde Flecken der Terrorabwehr) durch eine algerische Dschihadisten-Gruppe, die sich an die Aufmerksamkeit für den IS hängt, haben bekannte französische Muslime einen Aufruf lanciert, in dem sie ihren Abscheu gegen die Verbrechen klarmachten, die vonseiten der maßlosen Takfiri-Fanatiker verübt werden: "Nous sommes aussi de 'sales Français'" - "Auch wir sind die schmutzigen Franzosen".

Der Titel der öffentlichen Erklärung der Muslime, allesamt namhafte Vertretern des öffentlichen Lebens in Frankreich, Politiker, Chefredakteure, Anwälte, Schriftsteller, Repräsentanten von Zivilorganisationen etc., geht auf Rede des IS-Sprechers ein, der seine Anhänger zu Gewalttaten an allen Orten der Welt aufrief ("Tötet sie, bespuckt sie, verachtet sie"). Seine Hasspredigt und sein Tötungsbefehl richtete sich namentlich auch an Sektenmitglieder in Frankreich: "Wenn du einen ungläubigen Amerikaner oder Europäer töten kannst - besonders einen gehässigen und schmutzigen Franzosen...". (al-‘Adnānī liest offensichtlich gerne US-Medien, nach deren Aufmerksamkeit er begierig trachtet. "Filthy french" ist ein Klassiker des US-French-Bashing).

Schon Tage vor der "Hinrichtung" Gourdels durch die irregeleiteten algerischen Selbstjustizler hatten die großen muslimischen Verbände wie auch die Vorsteher der größten Moscheen Frankreichs unmissverständliche öffentliche Stellungnahmen zum "barbarischen Horror" der IS-Truppen und abgegeben, in denen sie die Greueltaten verurteilten.

So klar, wuchtig und eindeutig die Distanzierung gegenüber den Dschihad-Fanatikern ist, "die sich mit der islamischen Religion tarnen und deren Vokabular missbrauchen", so schwierig sind die Gefühlslagen, die die französische Gesellschaft betreffen. Manche gläubige Muslime sind es müde, dauernd mit der Verpflichtung konfrontiert zu werden, die Greueltaten, die ohne Bezug zu ihrem Glauben ausgeübt werden, zu verurteilen, ist dazu in der Zeitung Libération zu lesen.

Das Mantra "Muslime, distanziert euch", das jedesmal zum Zug kommt, wenn Terrorakte im Namen des Islams verübt werden, stößt auch bei der deutsch-iranischen Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur auf kritische Einwände. Sie haben viel mit der Berichterstattung zu tun. Arnold Hottinger, der lange Zeit Nahost-Korrespondent der NZZ war und durch sachkundige Art auffiel, hat dafür einen bezeichnenden Satz - "Die Medien liefern ein verzerrtes Bild vom Islam" und eine lesenswerte Ausführung dazu. Die Folgen beschreibt Katajun Amirpur so:

Und warum ist es keine Selbstverständlichkeit anzunehmen, dass Muslime in Deutschland terroristische Akte nicht gutheißen? Wieso sollten wir? Vielleicht weil, wie kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung behauptet wurde, der Islam kein Tötungsverbot kennt? Der das behauptet hat, Martin Rhonheimer, ist Professor für Ethik an der Päpstlichen Hochschule Santa Croce in Rom. Er meint, die islamische Theologie verfüge über keine argumentativen Ressourcen, um das Morden des sogenannten Islamischen Staates zu verurteilen. (…)

Und wenn das Flaggschiff des Qualitätsjournalismus, die Neue Zürcher Zeitung, solchen Unsinn verbreitet und oder die liberale ZEIT Hamed Abdul Samad, dessen Buch über den "Islamischen Faschismus" angesichts der offenkundigen Unkenntnis der islamischen Tradition und der arabischen Geschichte von sämtlichen Experten zerpflückt worden ist, zu ihrem Hausautor über den Islam macht, dann braucht man sich über Äußerungen wie die von Nikolaus Fest in der BILD-Zeitung auch nicht zu wundern: "Ist Religion ein Integrationshindernis?", fragte Fest kürzlich und gab die Antwort umgehend selbst: "Beim Islam wohl ja."

Auch in Deutschland haben sich Muslimverbände deutlich gegen den IS ausgesprochen (vgl. "Verbrecher, Mörder, die den Islam kidnappen"), wie auch Hochschullehrer und demonstrierende Muslime, aber dies würde ihrem Eindruck nach nicht wahrgenommen, so Amirpur, die sich über diese Wahrnehmungslücken ärgert wie auch über die Ignoranz, die, wie das obige längere Zitat zeigt, in Deutschland verbreitet wird.

"Wir und ihr"

Dabei spielt Islamohobie eine Rolle, wie die Islamwissenschaftlerin im Fall Rhonheimer vermutet: "Ob Rhonheimer das Tötungsverbot des Islams tatsächlich nicht kennt, oder unterschlägt er sein Wissen bewusst? Ich halte Letzteres für wahrscheinlicher - und das wäre, weil bewusst verfälschend, eindeutig islamophob motiviert."

Nach Auffassung Amirpurs untermauern die Aufforderungen zu Distanzierungserklärungen eine Ausgrenzung nach dem Muster "Wir und ihr". Ihr Argument: Indem man von den muslimischen Deutschen verlange, ein Zeichen als Muslime zu geben, rücke man von einer gemeinsamen Basis ab.

Dabei zeige sich doch allein durch den großen Anteil,von Konvertiten unter den radikalen Eiferern, die sich zum Dschihad berufen fühlen, dass es sich um ein größeres gesellschaftliches Problem handelt. Mit Lagerbildungen werde dies nicht gelöst. Man müsse sich gemeinsam fragen, was hier schiefläuft.