Wer hat Angst vorm bösen Wolf?

Die organisierte Homophobie kommt nach Marburg

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Vom 20. bis 24. Mai soll in Räumen der Marburger Universität und der Stadt Marburg der 6. Internationale Kongress für Psychotherapie und Seelsorge stattfinden. Initiativen von rechts wie von links streiten dafür und dagegen.

Wenn eine beschauliche hessische Universitätsstadt einen Kongress zum Thema "Psychotherapie und Seelsorge" beherbergen will, dann sollte das eigentlich nicht für großes Aufsehen sorgen. Man kann das Thema interessant finden oder über die Vermischung von Psychologie und Religion die Stirn runzeln, ein Skandal steckt da kaum drin. Scheinbar. Denn eine Marburger Initiative, das Bündnis "Kein Raum für Sexismus, Homophobie und Fundamentalismus" hat in der Referentenliste zum Kongress einige alte Bekannte ausgemacht.

Zum Beispiel einen gewissen Markus Hoffmann, der schon seit Jahren mit Therapieangeboten und Seminaren auf sich aufmerksam macht, die von einer therapeutischen Veränderbarkeit männlicher Homosexualität ausgehen. Er sollte mit diesem Anliegen 2007 bei einem ähnlich gelagerten Kongress in Graz präsent sein (siehe dazu Katholiban), wurde aber auf Druck aus der Politik doch wieder ausgeladen. Auch Roland Werner und Anna Barbara Gerl-Falkovitz, zwei weitere Referenten des Kongresses, haben nach Angaben des Bündnisses früher in die gleiche Kerbe gehauen.

Sie sind für den anstehenden Kongress mit Beiträgen eingeplant, die nicht nach Homophobie klingen, aber offenbar von christlicher Identität handeln. Dem Bündnis stinkt allerdings nicht nur die offensichtliche Homophobie, sondern die ganze Form von christlichem Identitätsdiskurs, der auf dem Kongress gepflegt werden soll. Er sei von evangelikalen Kräften getragen, die ganz eindeutig für einen beinharten Konservatismus, missionarischen Eifer, althergebrachte Rollenmodelle und eben auch eine aggressive Ablehnung der Homosexualität stehen. Der ganze Kongress sei ein wissenschaftliches Tarnmäntelchen für derlei Inhalte.

So ganz falsch kann das Bündnis mit dieser Wahrnehmung nicht liegen, denn kaum, dass es den Marburger Oberbürgermeister und die Marburger Unileitung dazu aufgefordert hatte, dem Kongress die geplanten Räumlichkeiten zu versagen, trat eine "Initiative für Freiheit und Selbstbestimmung" auf den Plan, die dazu aufrief, den geplanten Kongress zu verteidigen.

Die Liste der Erstunterzeichner zu diesem Aufruf hat es in sich. Dort finden sich unter anderem Norbert Geis, ein CSU-Bundestagsabgeordneter, der beim Thema Homosexualität schon immer gern auf die ganz große Pauke gehauen hat, und Gabriele Kuby, eine Autorin, die an allen Fronten zu finden ist, wo sie christliche Werte bedroht sieht, vom Kampf gegen Harry Potter bis zur Aufdeckung der Wahrheit über die staatliche Sexualaufklärung - ihrer Meinung nach eine Verschwörung, die ahnungslose Bubn und Madln zu "neuen Gendermenschen" umerziehen will.

Zur Unterstützung eilten sogleich Publikationsorgane herbei, denen man viel nachsagen kann, aber nicht, dass ihnen Freiheit und Selbstbestimmung groß am Herzen lägen: die Junge Freiheit und kreuz.net.

Neben der extremen Abqualifizierung von Homosexualität als "Krankheit", "Perversion" und verabscheuungswürdigem Fehlverhalten fällt bei diesen Unterstützern des Marburger Kongresses eine bestimmte rhetorische Pose auf: Empört lehnen sie sich gegen einen vermeintlichen homosexuellen Herrschaftsdiskurs auf, der ihre ehrenwerten Positionen zu unterdrücken drohe. Weil in dieser Weltsicht die Homosexuellen die wahren Unterdrücker sind, muss die Existenz homophober Gewalt genauso standhaft geleugnet werden - wie die Einsichten der Wissenschaft zum Thema "Heilbarkeit der Homosexualität": dass die Homosexualität erstens keiner Heilung bedarf, weil sie keine Krankheit ist und zweitens gar nicht therapiert werden kann, weil sie auf Psychotherapie nicht anspricht.

Das winzige Körnchen Wahrheit an diesem Kampf gegen angebliche homosexuelle Hegemonie? Homosexualität ist heute in Deutschland viel akzeptierter als vor zwanzig, fünfzig oder gar siebzig Jahren. Aber dass der Oberbürgermeister der Hauptstadt Deutschlands schwul ist und dazu steht, heißt noch lange nicht, dass alle Schwulen und Lesben sich überall in Deutschland gefahrlos zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen könnten. Man könnte der Meinung sein, dass die Angst vor der Homosexualität, die sich auf dem Marburger Kongress ein vornehmes Gewand umhängen will, bloß die Befindlichkeiten eines kleinen radikalen Bruchteils der Gesellschaft widerspiegelt.

Allerdings spricht schon die Unterzeichnerliste der "Initiative für Freiheit und Selbstbestimmung" dagegen, denn dort finden sich neben den besagten Rechtsauslegern auch massenhaft Universitätsdozenten, Therapeuten, Journalisten und andere Multiplikatoren. Eine breit angelegte Umfrage unter Psychotherapeuten in Großbritannien, von der man immerhin vermuten kann, dass sie sich im Groben auf andere westliche Industriestaaten übertragen ließe, erbrachte das überraschende Ergebnis, dass ein Sechstel der Befragten angab, Homosexuelle mit dem Ziel der Umpolung behandelt zu haben.

Dass die religiöse Refundamentalisierung die Menschen- und Bürgerrechte von Schwulen und Lesben neu bedroht, und dass die homophoben Tendenzen, die auf dem 6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge vertreten sein wollen, ein Teil dieser Refundamentalisierung sind, ist das eine. Aber es gibt zudem den begründeten Verdacht, dass diese Haltungen außerhalb ihres Ursprungsmilieus auf Applaus bei der schweigenden Mehrheit stoßen würden, wenn sie sich erst einmal richtig ausbreiten können. Und das macht sie zu einer echten Bedrohung.