Kampagnen gegen Klimaforscher

Die Energie- und Klimawochenschau: Ein fingierter Atomstreit, ein ausbleibender Streik der Klimaforscher und eine ziemlich warme Winterolympiade

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Es ist schon bemerkenswert: Weit und breit ist in Deutschland kein neues AKW im Bau und auch nicht in Planung. Die laufenden Meiler, die gerade noch ein inzwischen ziemliches knappes Viertel des Strombedarfs abdecken, sind meist schon ziemlich betagt, kein einziger, der nicht mindestens 21 Jahre Laufzeit auf dem Buckel hat. Dennoch scheint sich die ganze Energiedebatte der schwarzgelben Koalition nur um diese auslaufende Technologie zu drehen, als gebe es nicht wichtigere Fragen zu lösen, zum Beispiel solche rund um den Ausbau der Netze.

Das Motiv für diese unangemessene Versessenheit ist inzwischen auch hinlänglich bekannt: Die Dinger sind für ihre Betreiber, die sich wenig um Endlager oder gar eine angemessene Versicherung der Unfallrisiken kümmern müssen, reine Gelddruckmaschinen. Bis zu 200 Milliarden Euro könnte ihnen eine Verlängerung der Laufzeit an Zusatzgewinnen einbringen.

Aber über Geld redet man bekanntlich nicht. Und damit auch kein anderer auf die Idee kommt, unbequeme Fragen zu stellen, die mit dem schnöden Mammon zusammenhängen, veranstaltet die Bundesregierung gerade einen Schaukampf der besonderen Art: Umweltbundesminister Norbert Röttgen mimt den Besonnenen, indem er eine Verlängerung der Laufzeiten beschränken will. "Wenn wir 40 Prozent Erneuerbare (Energien) haben, dann ist nach der Koalitionsvereinbarung für Kernenergie kein Raum mehr", zitierte ihn schon vor zwei Wochen Spiegel Online. Er peilt daher einen Ausstieg bis 2030 an. Dann wird auch das jüngste AKW bereits mehr als 40 Jahre laufen.

Das ist bemerkenswert, denn immerhin hatte der Minister vor knapp drei Monaten Gerald Hennenhöfer zum Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit in seinem Haus gemacht. Hennenhöfer hatte schon unter Angela Merkel im Ministerium gearbeitet und seinerzeit unter anderem den Weiterbetrieb des Endlagers Morsleben durchgesetzt. Zwischenzeitlich arbeitete er bei E.on, wo er zum Beispiel Gutachten gegen den sogenannten Atomkonsens schrieb, den er bis 1998 selbst mit ausgehandelt hatte. Die Vorarbeiten für das Ausstiegsgesetz gehen nämlich auf die Regierungszeit der letzten schwarzgelben Koalition unter Helmut Kohl zurück.

Röttgens Personalpolitik zeigt also, dass er keineswegs der Atomkritiker ist, als den ihn das aufgeregte Geschrei aus Union und FDP erscheinen lassen. Er hat bisher stets betont, dass er zur Absicht der Koalition steht, den gesetzlich vorgesehenen Ausstieg aus der Atomkraftnutzung zu kippen. Nicht einmal zu den Altmeilern Neckarwestheim I (seit 1976 im Betrieb) und Biblis A (seit 1974 im Betrieb) hat er sich klar geäußert, die eigentlich in den nächsten Monaten vom Netz genommen werden müssten, wenn sich Betreiber und Regierung an den Buchstaben des Gesetzes halten wollen. Ihre Reststrommengen werden aufgebraucht sein, noch bevor die Koalition im Herbst die Gesetze ändern kann.

Ausstieg 2020 möglich

Unterdessen nannte am Samstag der Chef des Umweltbundesamtes, Jochen Flassbarth im Gespräch mit der SZ 2020 als das Jahr, in dem die von Röttgen genannte Marge erreicht sein kann. Dann könne 40 Prozent des Stroms von Wind & Co. gestellt werden, womit der Ausbau der Erneuerbaren voll im Zeitplan des Atomausstiegs liege. Flasbarth, anspielend auf das Argument von der Brückentechnologie: "Wir glauben, dass die Brücke, so wie sie jetzt aufgestellt ist, exakt ins Feld der erneuerbaren Energie führt."

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits im Januar 2009 per Studie vorgerechnet, dass schon 2020 der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Stromversorgung bis zu 47 Prozent betragen könnte. Anfang Februar hat der BEE diese Position noch einmal bekräftigt und verlässliche Rahmenbedingungen für den Ausbau der umweltfreundlichen Energieversorgung gefordert. Dazu gehöre, so der BEE, "neben dem gesetzlich vereinbarten Atomausstieg (auch) das Festhalten am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit seinem uneingeschränkten Vorrang für Erneuerbare Energien."

Das aktuelle Leitszenario für den Ausbau der Erneuerbaren geht für 2020 davon aus, dass der Anteil der Erneuerbaren am Stromsektor 35,2 Prozent und am gesamten Endenergieverbrauch rund 20 Prozent betragen wird. Nach Einschätzung des BEE ist dieser Wert spielend zu überbieten, sofern den sauberen Energieträgern keine Steine in den Weg gelegt werden.

Nun wird ja gerne damit argumentiert, dass Sonne und Wind unzuverlässige Kandidaten sind, weshalb die AKWs als Ersatz bereit stehen müssten. Dabei werden zwei Dinge übersehen. Zum einen gehört auch Biogas zu den erneuerbaren Energieträgern, und dessen Verstromung ist gut steuerbar und könnte, intelligente Organisation vorausgesetzt, was jedoch bei den bisherigen Verhältnissen im Netz nicht selbstverständlich ist, gut den Lückenbüßer spielen. Zum anderen sind AKWs viel zu schwerfällig, um die Schwankungen der Windenergie auszugleichen. Sie sind dafür konzipiert möglichst rund um die Uhr zu laufen und werden den Erneuerbaren daher umso mehr ins Gehege kommen, je größer deren Anteil wird.

Forscherstreik?

Warum streiken Klimaforscher eigentlich nicht mal, fragt der Physiker Jörg Rings, der sich mit Hydrogeophysik beschäftigt. Da leisten hunderte Wissenschaftler eine Menge, eine große Menge unbezahlter Arbeit, um in den Berichten des IPCC einen Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion und der gesicherten Erkenntnisse zu geben, und dann will man sie fast lynchen, weil auf 2.800 Seiten zwei Fehler gefunden wurden. Rings halbernst gemeinter Rat: Die Klimawissenschaftler sollten sich weigern, an der Vorbereitung des nächsten Berichts mitzuarbeiten, solange nicht endlich eine internationale Agentur für Klimaforschung geschaffen ist, die mit den notwendigen Mitteln für die Wissenschaftskommunikation ausgestattet ist.

Einen ähnlichen Vorschlag hatte kürzlich Eduardo Zerita vom Forschungszentrum in Geesthacht bei Hamburg in einem Beitrag für das Wissenschaftsmagazin Nature gemacht. Zerita schwebt ein Stab von 200 Wissenschaftlern vor. In Nature hatten sich verschiedene Klimaforscher zur Zukunft des IPCC geäußert. Bisher ist der IPCC ein von mal zu mal neu zusammengesetzter Kreis von zuletzt etwa 450 Hauptautoren, die die einzelnen Kapitel der drei Berichte der einzelnen Arbeitsgruppen schreiben. Lediglich zehn Mitarbeiter kümmern sich fest angestellt um die technischen Seiten der Arbeit. Die Weltmeteorologieorganisation WMO hat ihnen an ihrem Sitz in Genf ein paar Räume zur Verfügung gestellt.

Ein paar Klimawissenschaftler aus Deutschland, den USA und einigen anderen Ländern haben kürzlich in einem gemeinsamen Beitrag ausführlich auf die gegen den IPCC gerichtet Medienkampagne reagiert, dessen deutsche Übersetzung sich auf dem von Spektrum der Wissenschaft unterhaltenen Wissenslog findet.

Die Autoren gehen auf die einzelnen Vorwürfe der letzten Wochen ausführlich ein. Ihre Quintessenz: Es gibt eigentlich nur einen wirklichen Fehler, der mit den Himalaja-Gletschern (Schlamperei im letzten IPCC-Bericht). Das Problem sei gewesen, dass die Autoren der Arbeitsgruppe 2, Ökonomen, Geografen, Energieexperten und andere, die sich mit den Folgen des Klimawandels befasst haben, sich nicht auf die Ergebnisse der Gletscherfachleute gestützt haben. Die gehören zu den Klimaforschern und damit zur Arbeitsgruppe 1 und haben im Teilbericht dieser Arbeitsgruppe ein umfangreiches Kapitel über Zustand und Entwicklungstendenzen der Gletscher in aller Welt geschrieben.

Streiten kann man sich noch darüber, ob man den IPCC-Autoren – wieder denen aus Arbeitsgruppe 2 – einen Vorwurf daraus machen kann, wenn sie die falschen Angaben einer niederländischen Regierungsorganisation über die unter dem Meeresspiegel befindlichen Anteile ihres Landes übernehmen. Die anderen Vorwürfe, wie jene über den Amazonas oder Nordafrika entbehrten jeder Grundlage. Alles in allem sei es so, dass diverse Medien versuchen würden, der Öffentlichkeit einen Skandal vorzugaukeln.

Zu letzterem hat der Ökonom und Direktor des Earth Instituts der Columbia Universität in New York City, Jeffrey Sachs, letzte Woche einen interessanten Beitrag im Guardian. Darin zieht er die Verbindung zwischen alten Kampagnen gegen wissenschaftliche Arbeiten, die die Schädlichkeit des Rauchens belegten, und den aktuellen gegen die Klimaforschung. Es handele sich um den gleichen antiwissenschaftlichen Geist, die gleichen Methoden und zum Teil auch dasselbe Personal.

Warme Olympiade

Und zum Schluss ein Blick zur Olympiade, um den Unterschied zwischen Wetter und Klima zu verdeutlichen: Klima ist, wenn an einem Ort die mittlere Tagestemperatur über 30 Jahre wiederum gemittelt wird. Dabei kann dann für einen Ort für Vancouver herauskommen, dass die Temperatur eigentlich nur ziemlich selten unter Null Grad sinkt. Im statistischen Mittel ist es in Vancouver, wie die durchgezogene Linie im oberen Teil der Grafik, im Februar rund 5 Grad Celsius warm. Was sich die Organisatoren dabei gedacht haben, an einem solchen Ort die Olympischen Winterspiele abzuhalten, ist eine andere Frage. Aber nun ja, in den Bergen ist das Klima sicherlich deutlich kälter, und da hätte es vielleicht keine Probleme gegeben, wenn das Wetter mitgespielt hätte.

Bild NOAA

Tut es aber nicht. Wetter ist nämlich, wenn die reale Temperatur von den Klimawerten abweicht – das ist der Normalfall, denn die Atmosphäre ist nun einmal ein hoch variables Ding. Und besonderes Pech ist es, wenn diese Abweichung über Wochen hin nicht in Richtung der erwünschten Minusgrade zeigen, sondern in die entgegen gesetzte Richtung. Wie man dem mittleren Teil der Grafik entnehmen kann, ist das schon ziemlich lange der Fall. Der dritte Teil der Grafik gibt die Messwerte der Tagesmaximum- und -minimumtemperaturen wieder. Man sieht, dass es in den letzten Tagen in Vancouver zumindest nachts Frost gegeben hat.

(Lokaler) Klimawandel ist es übrigens, wenn sich über einen längeren Zeitraum (deutlich über zehn Jahre) die Abweichungen nach oben und unten nicht mehr die Waage halten (über die Länge des für eine sinnvolle statistische Aussage notwendigen Zeitrums für einen Trend hat der Potsdamer Klimafoscher Stefan Rahmstorf des öfteren in seinem Blog bei Spektrum der Wissenschaft geschrieben, zuletzt am 17. Februar). Dabei kommt es ein bisschen darauf an, von welchem Mittelwert die Rede ist. Es kann durchaus vorkommen, dass sich an der über das ganze Jahr gemittelten Temperatur nicht viel ändert, sich aber Jahreszeiten verschieben, zum Beispiel Winter wärmer und Sommer etwas kühler werden. Aber das ist eher hypothetisch.

In Vancouver zeigt die mittlere Jahrestemperatur seit den 1970ern ziemlich deutlich nach oben. Messungen an benachbarten ländlichen Stationen wie Blaine zeigen den gleichen Trend. Vielleicht hat man sich ja in Vancouver gedacht, wir holen noch mal schnell die Winterolympiade hierher, bis es gar nicht mehr geht.