Bis zu 200 Milliarden Euro Gewinn

Die Energie- und Klimawochenschau: Von AKW-Pannen, Laufzeiten und Traumprofiten, von renitenten Bürgern, uneinsichtigen Parteien und neuen Warnungen vor einer Hungertragödie

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Angesichts der Wirtschaftskrise und der gegenwärtigen Schwierigkeiten, Kapital für Großprojekte aufzutreiben, kommt auch für manches Kraftwerkvorhaben der Tag der Wahrheit. In Brunsbüttel am Ausgang des Nord-Ostseekanals bekommen einige Investoren kalte Füße. Flensburger Wissenschaftler hatten bereits letztes Jahr gewarnt, dass die Kraftwerke den Ausbau der Windenergie-Parks auf See gefährden würden. (Überflüssige Kohle)

Die Wilstersche Zeitung, die in der Gegend um Brunsbüttel verbreitet wird, berichtet, dass der Bau von zwei der drei dort geplanten Kohlekraftwerke auf der Kippe steht. Die Getec Energie AG wolle auf den Bau eines 800-MW-Kraftwerks auf dem Gelände der Bayer AG verzichten und suche einen Nachfolger für das Projekt. Eine Bestätigung des Unternehmens gibt es dafür allerdings bisher nicht. Das Genehmigungsverfahren wird weiterbetrieben, allerdings gesteht man ein, aufgrund der Krise nur schwer Partner finden zu können.

Das französische Unternehmen GDF Suez Energie will ebenfalls in Brunsbüttel ein 800-MW-Kohlekraftwerk errichten, hat aber Schwierigkeiten, weil die Stadtratsfraktion der Wählerinitiative WIR die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans anfechten lässt. Das Unternehmen habe, schreibt die Zeitung, "den Kaufauftrag für einen von insgesamt drei Kraftwerksblöcken beim Lieferanten Hitachi storniert (...). Gekauft werden sollen hingegen zwei Blöcke für die in Bau befindlichen Kraftwerke in Rotterdam und Wilhelmshaven." Die Zeitung wertet das als sicheres Indiz, dass Suez Abstand von Brunsbüttel nimmt.

Auch wenn diese beiden Pläne platzen sollten, bleiben noch zwei weitere Blöcke á 900 Megawatt (MW), die das Konsortium Südweststrom bauen will und für die es bereits einen rechtsgültigen B-Plan gibt. Das Unternehmen rechnet bis zum Jahresende mit der ersten Teilgenehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Letzteres bietet übrigens den Behörden nach über 20 Jahren Diskussion über den Klimawandel immer noch keine Möglichkeit, einem Kohlekraftwerk aufgrund seines Ausstoßes an Treibhausgasen die Betriebsgenehmigung zu verweigern.

Noch einen Schritt weiter als Südweststrom ist in Hamburg-Moorburg der schwedische Stromkonzern Vattenfall mit seinem Kohlekraftwerk, an dem seit letztem Jahr bereits gebaut wird. Der CDU-Senat hatte seinerzeit netterweise rechtzeitig vor den Bürgerschaftswahlen dafür gesorgt, dass Vattenfall mit den Arbeiten bereits beginnen konnte, bevor noch eine endgültige Genehmigung vorlag.

Die hanseatischen Grünen hatten seinerzeit mit einer ziemlich eindeutigen Antikohle-Position Wahlkampf betrieben, und sitzen nun mit der CDU in einer Koalition, die den Bau genehmigt. Immerhin hat die grüne Umweltsenatorin Vattenfall zusätzlich Umweltauflagen verpasst. Der Konzern ist allerdings gerade bar jeden Schamgefühls dabei, mit einer Klage vor einem Investitionsschutzgremium der Weltbank sich 600 Millionen Euro vom deutschen Steuerzahler zurückzuholen, die ihn die Auflagen kosten.

Übrigens: Vattenfall-Chef Lars Göran Josefsson darf sich noch immer Klimaberater der Bundeskanzlerin nennen. Kürzlich wurde er sogar in ein Gremium berufen, das den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in Fragen der Klimapolitik beraten soll.

Merkel gegen Schnellabschaltung

Aber um sein Image muss sich der Konzern eigentlich keine Gedanken mehr machen. Nicht nach dieser Pannenserie in Krümmel: Zwei automatische Schnellabschaltungen innerhalb von vier Tagen. Das soll Vattenfall erstmal einer nachmachen. Und dieses Timing! Die erste Schnellabschaltung erfolgte pünktlich zum 50. Jahrestag des deutschen Atomforums. Besonders originell auch die Überschrift der Financial Times Deutschland dazu in deren Dienstagausgabe: "Merkel gegen schnelle Abschaltung von Krümmel".

Kernkraftwek Krümmel. Bild: Vattenfall

Nach der zweiten Abschaltung am Samstag wurde so ganz nebenbei ein defekter Brennstab entdeckt. Da fragt man sich, was die Kraftwerkmannschaft in den letzten zwei Jahren nur gemacht hat, in denen das AKW nach einem Transformatorbrand still stand. Allzu gründliche Untersuchungen können jedenfalls nicht angestellt worden sein. Wie vor zwei Jahren, gab es auch am Samstag in einem Transformator einen Kurzschluss. Nach Angaben der Umweltschutzorganisation Robin Wood handelte es sich um ein älteres Exemplar, das zuvor schon im AKW Brunsbüttel eingesetzt worden war. Letzteres befindet sich ebenfalls im Vattenfall-Besitz. Am AKW Krümmel ist neben Vattenfall auch E.on beteiligt, doch die Schweden kümmern sich um den Betrieb.

Vollkommen unbeeindruckt durch die Pannenserie und ihre Folgen hält unterdessen die Union weiter an ihrer Forderung nach einer Verlängerung der Laufzeiten fest. Während Umweltverbände, Anti-AKW-Initiativen, die Grünen, und die Linkspartei eine Stillegung von Krümmel fordern, ruft Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Öttinger seine Partei auf, das Banner der Atomindustrie tapfer hoch zu halten. "Willkürliche Verkürzungen der Laufzeiten" seien schädlich für die Wirtschaft, meint der Pinochet-Fan.

Nicht schädlich scheinen hingegen plötzliche Ausfälle eines 1400-MW-Kraftwerks wie Krümmel zu sein, die am Samstag schon zum zweiten Mal in zwei Jahren in Hamburg für Verkehrschaos sorgten und diesmal auch in den Stahl- und Aluminiumwerken der Hansestadt die Lichter ausgehen ließen. ("Ohne Atomkraft gehen die Lichter aus", war ein beliebter Propaganda-Slogan, der in den 1970ern den Anti-AKW-Initiativen um die Ohren gehauen wurde.)

Die SPD scheint hingegen endlich ein Wahlkampf-Thema gefunden zu haben, mit dem sie ein wenig auftrumpfen kann. Nach dem sie in den 1970er und 1980er Jahren gemeinsam mit Union und FDP die Atomkraft mit massiver Polizeigewalt durchgesetzt hat, gibt sie sich nun geläutert - und wirbt gleichzeitig weiter für neue Kohlekraftwerke, die ebenso wie die alten AKWs den Ausbau der erneuerbaren Energieträger behindern, weil sie viel zu unflexibel sind, um Windkraftanlagen oder Solarzellen sinnvoll zu ergänzen.

Renitente Bürger

Auf diesen Widerspruch zwischen den Großkraftwerken und den dezentral produzierenden Anlagen der erneuerbaren Energieträger, weist unter anderem auch der Landesvorsitzende des SSW, der Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, Flemming Meyer im Gespräch mit dem Autor hin. Meyer macht zugleich darauf aufmerksam, dass die Energiekonzerne weiter den Netzaus- und -umbau verschleppen.

Im Landkreis Schleswig-Flensburg, ganz im Norden der Republik, an der dänischen Grenze, in dem Meyer die SSW-Fraktion leitet, könnten mit den bestehenden Anlagen etwa 40 Prozent mehr elektrische Energie geliefert werden, als vor Ort gebraucht würden. Tatsächlich könnten aber statt 140 Prozent nur 104 Prozent des örtlichen Bedarfs ins Netz eingespeist werden, da dieses nicht mehr aufnehmen könne. Netzbetreiber ist bisher E.on Hanse. Allerdings laufen die meist für 20 Jahre abgeschlossenen Konzessionsverträge demnächst aus. Meyer hofft nun, dass das Netz von kommunalen Unternehmen wie den Flensburger Stadtwerken übernommen werden könnte.

Die Stimmung ist jedenfalls zwischen Nord- und Ostsee gereizt, denn nicht nur Vattenfall und E.on gaben sich in den letzten Jahren alle Mühe, sich unbeliebt zu machen. Seit einigen Monaten sorgt auch RWE mit seiner Suche nach geeigneten unterirdischen Deponien für verflüssigtes CO2 in verschiedenen Ecken Schleswig-Holsteins für erhebliche Aufregung. Als ein Gradmesser dafür kann eine Informationsveranstaltung in der 12.300-Seelen-Gemeinde Schafflund, zu der am Mittwoch letzter Woche immerhin 1.300 Bürger kamen.

In den Wochen zuvor hatte Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident mächtig zurückgerudert. In Berlin hatte er wissen lassen, dass man sich mit dem CCS-Gesetz, mit dem der rechtliche Rahmen für Abscheidung, Transport und Einlagerung geschaffen wird, leiber Zeit lassen sollte. Doch den Unmut an der Basis hat das nicht wirklich besänftigt, zumal auf der besagten Versammlung Staatssekretär Joost de Jaager aus dem Kieler Wirtschaftsministerium bekräftigte, dass die Landesregierung die Such nach potenziellen CO2-Deponien weiter unterstütze. Derzeit wartet RWE auf die Genehmigung seiner Anträge für die Erkundung.

Auf der Schafflunder Versammlung sollen einige CDU-Mitglieder, darunter Bürgermeister, ihren Parteiaustritt erklärt haben. Die örtlichen CDU- und SPD-Direktkandidaten für den Bundestag sind inzwischen derart weich gekocht, dass sie sich einmütig gegen CO2-Speicherung und CCS-Gesetz aussprechen, können aber in ihren Parteien nicht durchdringen. Die Union spricht sich in ihrem Wahlprogramm weiter für die Technik aus und auch in der SPD rührt eine starke Kraftwerkslobby aus Nordrhein-Westfalen weiter die Trommel für den Gesetzentwurf. Der ist zwar, wie berichtet, von der Parlaments-Tagesordnung genommen, und kann daher in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden. Nach der Bundestagswahl wird er jedoch mit Sicherheit wieder aus der Schublade gezogen werden. Angesichts der Verhältnisse in den großen Parteien, können ihn wohl bestenfalls noch massive öffentliche Proteste zu Fall bringen.

Traumprofite

Falls sich jemand fragen sollte, weshalb Union, Liberale und Atomwirtschaft eigentlich so versessen auf die Verlängerung der AKW-Laufzeiten sind, so kann er die Antwort in der Berliner Zeitung vom Samstag letzter Woche finden. Das Blatt zitiert aus einer bisher unveröffentlichen Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), wonach bis zu 200 Milliarden Euro zu verdienen sind, wenn die AKWs 25 Jahre länger laufen. Selbst im konservativen Fall - zehn Jahre Verlängerung, niedriger Strompreis - springen noch 38 Milliarden Euro raus.

Ein Wahlsieg von Union und FDP im September, zitiert die Zeitung die Studienautoren, würden die Börsenkurse der Versorgungskonzerne nach oben schnellen lassen, denn die gegenwärtigen Preise für deren Aktien, berücksichtigen diese Zusatzgewinne bisher noch nicht. In einem optimistischen Szenarium, das von steigenden Strompreisen und um 25 Jahre verlängerten Laufzeiten ausgeht, könnte EnBW mit bis zu 45 Milliarden Euro zusätzlichem Gewinn und einen Kursanstieg um 100 Prozent rechnen. Für RWE winken bis zu 61 Milliarden Euro Gewinn und ein Kursplus von 53 Prozent und E.on könnte sogar maximal 95 Milliarden Euro zusätzlich einstreichen. Die E.on-Aktie, schätzen die LBBW-Banker, könnte 45 Prozent zulegen.

Neue Warnungen

Was sind dagegen schon die Gefahren, die von einem maroden Reaktor ausgehen? Oder der Klimawandel, der befördert wird, weil die AKWs den Ausbau der erneuerbaren Energieträger blockieren?

Im Vorfeld des G-8-Gipfels hat die internationale Hilfsorganisation gewarnt, dass Hunger "zur großen Tragödie dieses Jahrhunderts werden wird". Der Klimawandel führe zu einer Verschiebung von Klimazonen und Anbauzyklen. Viele Millionen Menschen müssten traditionelle Anbaumethoden und Früchte aufgeben, ein Wechsel der nur mit erheblichem planerischen und sozialen Aufwand einigermaßen reibungslos verlaufen kann. Wesentlich wahrscheinlicher sind angesichts der realen politischen und ökonomischen Machtverhältnisse gewalttätige Konflikte, Vertreibungen und weitere Verelendung.

Am schlimmsten betroffen seien tropische und subtropische Länder. Auf den Philippinen gehe man zum Beispiel davon aus, dass ein Anstieg der mittleren Temperatur um ein Grad Celsius den Reisertrag um zehn Prozent verringert. Auch der Maisanbau könnte stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Andererseits weist Oxfam darauf hin, dass das Produktionspotenzial des Planeten bisher nur zu 60 Prozent ausgeschöpft sei. Es gebe noch genug Land, selbst für eine Bevölkerung von 9,2 Milliarden Menschen, wie sie für 2050 vorher gesagt wird.