Märtyrer oder Mörder?

Deutsche Islamisten und Mohamed Merah

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Für die einen ist Mohamed Merah ein kaltblütiger Mörder, für die anderen ein islamistischer Gotteskrieger, Held und jetzt Märtyrer. Deutsche Islamisten sind in ihrer Meinung zum Attentäter von Toulouse nicht einig, wie Internet-Einträge zeigen.

Fitna - so lautet der arabische Begriff, der eine schwere Zeit voller Chaos, Prüfungen und Herausforderungen für die muslimische Gemeinschaft beschreibt. Fitna, das bedeutet auch Zwist und Streit bis hin zur Spaltung der Gemeinde. In den vergangenen Jahrhunderten haben diese Streitigkeiten innerhalb der muslimischen Gemeinschaft zur Abspaltung von Sekten und zur Entstehung innerislamischer Konfessionen geführt.

Fitna droht auch immer dann, wenn sich einzelne Akteure der muslimischen Gemeinschaft zum Sprachrohr der "Ummah" aufspielen, das Wort ergreifen und eine bestimmte Meinung propagieren. Dies geschieht in Deutschland immer häufiger dann, wenn es gilt, sich zu Terroranschläge islamistischer Fanatiker zu äußern. Während die einen Terror im Namen Allahs stets deutlich ablehnen und verurteilen, feiern die Radikalen die Attentäter als Helden und Märtyrer.

Aktuelles Beispiel: die Bluttaten des 23jährigen Mohamed Merah im Südwesten Frankreichs. Gemäßigte muslimische Verbände in Deutschland, wie der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD), reagierten "tief bestürzt" auf die Morde des selbsternannten Al-Qaida-Kämpfers Merah. Sie sprachen sich gegen jede Form von Gewalt aus, und bekundeten den Angehörigen der Opfer ihr Beileid.

Die islamistische Szene hingegen reagiert nur zögerlich. Soll man die Morde an Soldaten und jüdischen Kindern verurteilen? Oder soll man den getöteten Mörder zum Glaubensbruder erklärten, und Allah bitten ihn für seine Taten einen Platz im Paradies zu schenken? War die Tötung von Kindern aus religiöser Sicht erlaubt? Islamische Fundamentalisten in Deutschland sind sich uneinig.

Pierre Vogel verurteilt Anschläge von Toulouse

Der wohl prominenteste Salafiten-Prediger der Bundesrepublik, Pierre Vogel, veröffentlichte auf seiner Webseite eine schriftliche Stellungnahme seines Pressesprechers. Darin verurteilt der Kölner Ex-Boxer Vogel, die Taten von Mohamed Merah scharf und unmissverständlich. "Wir verurteilen die kürzlich begangenen Anschläge auf unschuldige Menschen aufs Schärfste", heißt es in der Stellungnahme. Zwar lägen noch immer keinerlei Beweise für eine islamische Motivation von Merah vor, das Töten von Unschuldigen sei einem Muslim jedoch selbst im Kriegsfall nicht erlaubt.

Terror keine Hilfe für Muslime in der Welt

"Wir alle sind von den ungerechten Kriegsführungen der Amerikaner und seiner Freunde sehr bestürzt und emotional betroffen", heißt es im Statement des Vogel-Sprechers weiter, "Jedoch wird ein Anschlag die Lage in den betroffenen Ländern nicht verbessern, ganz im Gegenteil." Alle Muslime in Deutschland seien dazu aufgerufen, sich ruhig und friedlich zu verhalten, betonen die Salafiten. Niemandem sei geholfen, wenn ein Muslim mit einer Bombe oder einer Schusswaffe unschuldige Menschen töte.

Sogar an potenzielle Nachahmer der Taten des französischen Todesschützen wenden sich die Vogel-Anhänger. "Solltest du in einer Phase stecken, in der du auf schlechte Gedanken kommst", so das Angebot der Salafiten, "Dann melde dich bei uns, damit wir dir helfen können, deine Gedankenwelt zu ordnen."

Dass hier der Prediger und Missionar Vogel offenbar nur für einen Teil der salafitischen Szene spricht, wurde sofort nach Veröffentlichung des Schreibens deutlich. Die radikalsten Elemente der deutschen Islamisten-Szene, in Sicherheitskreisen der "salafitisch-dschihadistische Teil" genannt, reagierte mit Empörung auf die Verurteilung von Mohamed Merah und seiner Taten.

Die Radikalen feiern Merah

"Ihr solltest euch was schämen so etwas über den Bruder zu schreiben", kommentierte der aus Österreich stammende Islamist Mohammed M. alias "Abu Usama al-Gharib" das Vogelsche Statement zu Toulouse, "Woher kennst denn seinen Lebenslauf bzw. den Bruder? Bei Allah das ist das größte Unwissen über den Islam das ich je gehört habe!"

Mohammed M. gilt als einer der radikalsten Vertreter des Salafismus in Deutschland. Erst im September 2011 war er in Österreich nach vierjähriger Haft entlassen worden und wanderte kurze Zeit später nach Deutschland aus. Zunächst lebte M. in Berlin, zog dann ins nordrhein-westfälische Solingen um und wohnt nun in Hessen.

Ein Freund von M., der Berliner Ex-Rapper Denis C. (ehemals "Deso Dogg"), brachte seine Bewunderung für den Attentäter von Toulouse weitaus unverhohlener zum Ausdruck. Auf seinem Facebook-Profil änderte der islamistische Rapper sein Profilbild kurzer Hand und verwendete ein Portrait von Mohamed Merah. "Der Gotteskrieger der Märtyer Mohamed Merah, macht Bittgebete für ihn!", schrieb C. unter das Foto. Inzwischen ist die Facebook-Seite von Denis C. gelöscht.

In der Anonymität des Internets feierten einige deutsche Islamisten in den vergangenen Tagen die Anschläge des am Donnerstag getöteten Merah noch, während sich dieser in seiner Wohnung in Toulouse verschanzt hatte. "Dschihad in Frankreich live im Fernsehen hehehehe", schrieb ein mutmaßlicher Islamist aus Deutschland bei Facebook als die französische Polizei Merahs Wohnung umstellt hatte. "Was hat dies mit Dschihad zu tun", fragte ein anderer Facebook-Islamist. "Kreuzritter-Soldaten wurden in ihrem Heimatland geschlachtet", so die Antwort des offensichtlichen Terror-Sympathisanten.

Deutsche Sicherheitsbehörden registrieren diese unterschiedlichen Ansichten der Salafiten-Szene zu extremistischen Gewalttaten bereits seit längerer Zeit. Das islamistischen Milieu bestünde aus mehreren Strömungen und derzeit seien unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten, so ein Ermittler gegenüber "Telepolis". Die Gefahr von Nachahmern des Toulouse-Attentäters sei gegeben, die Gefahrenlage jedoch unverändert hoch. An der Gesamteinschätzung der Gefährdungslage habe sich nichts geändert, heißt es aus Sicherheitskreisen.