500 alte Jobs oder Zehntausende neuer Arbeitsplätze?

Eine Studie des BUND erwartet keine beschäftigungspolitischen Impulse im Bereich der grünen Gentechnik. Die Branche selbst sieht das anders

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Seit der Verabschiedung des neuen Gentechnik-Gesetzes und der ersten praktischen Folgen steht die Auseinandersetzung um die Entwicklung und Produktion von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) wieder im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung (vgl. Straftatbestand "Feldbefreiung"). Dabei geht es nicht nur um prinzipielle, philosophische und ökologische Fragen oder das Problem möglicher gesundheitsschädlicher Nebenwirkungen, sondern auch um handfeste wirtschaftliche Fakten, die allerdings höchst unterschiedlich ermittelt und interpretiert werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist fest davon überzeugt, dass die sogenannte grüne Gentechnologie einen wichtigen Beitrag zum Standort Deutschland leisten und hier nicht nur zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen, sondern auch Innovation und Forschung voranbringen kann. Schon 2004 hielt sie es für "für unverantwortlich, dass man an der grünen Gentechnologie vorbei geht, aus der Kernenergie aussteigt oder der Pharmaindustrie immer neue Lasten aufbürdet."

Die promovierte Naturwissenschaftlerin bekräftigte Ende vergangenen Monats noch einmal, dass die Gentechnologie als "Feld der Innovation" eine wichtige Rolle spielen und Deutschland die EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 nutzen wird, um "die europäischen Rahmenbedingungen zu verbessern."

Auch CDU-Vorstandsmitglied Katherina Reiche nannte die grüne Gentechnik bei der Lesung des "Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung" im März 2006 in einem engen zeitlichen und thematischen Zusammenhang mit den "Hunderttausenden von Arbeitsplätzen", die schon in Zukunftsbereichen wie Lasertechnik, Informations- und Nanotechnologie, Maschinen- und Anlagenbau oder erneuerbare Energien geschaffen worden seien.

Die grüne Gentechnik als vielseitiger Hoffnungsträger

Die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie legt sogar konkrete Zahlen vor. In ihrer Standortbestimmung "Moderne Landwirtschaft und Grüne Gentechnik" heißt es:

Weltweit nutzen bereits rund 8,25 Millionen Landwirte gentechnisch veränderte Pflanzen. In Deutschland sind die rund 12.000 Arbeitsplätze in Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion von innovativen und wettbewerbsfähigen Produkten abhängig, ebenso die mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sowie 4-5 Mio. im vor- und nachgelagerten Bereich. Nur wenn Deutschland es schafft, die Wertschöpfung, von der Saatgutentwicklung und -produktion über die Agrarproduktion bis hin zur Verarbeitung qualitativ hochwertiger Agrarprodukte im Lande zu halten, können die Arbeitsplätze gesichert und ausgebaut werden.

Mit anderen Zahlen geht das Bayerische Umweltministerium in die gleiche Richtung:

Ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist auf neue Technologien angewiesen. Marktprognosen messen der Bio- und Gentechnologie ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial bei. Es wird bis zum Jahr 2010 von einer weltweiten Wertschöpfung in Höhe von 433 Mrd. und Bedeutung für 1,2 Mio. Arbeitsplätze ausgegangen.

500 Arbeitsplätze, Tendenz fallend

Eine neue Expertise des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Autor Thorsten Helmerichs, der am Lehrstuhl für Unternehmensführung der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg tätig ist, geht von maximal 500 Arbeitsplätzen in der privatwirtschaftlich finanzierten Agro-Gentechnik aus. Für die Zukunft erwartet er eine Stagnation in den Bereichen Saatgutentwicklung und -produktion, die keine beschäftigungspolitischen Impulse erzeugen kann. Stattdessen rechnet Helmerichs mit einer weiteren Konzentration auf dem Markt der grünen Gentechnik und geht deshalb eher von einem Rückgang als von einem Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen aus.

Es gibt keine Belege für die von Befürwortern der Gentechnik oft angeführten positiven Wirkungen der Agro-Gentechnik auf den Arbeitsmarkt. Zahlen von Zehntausenden von neuen Arbeitsplätzen, die beispielsweise von der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie genannt wurden, entbehren jeder realistischen Grundlage. Thorsten Helmerichs

BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm hielt den mageren Zahlen umgehend die 150.000 Arbeitsplätze in der Bio-Branche entgegen, die schließlich zeigten, "wo der Jobmotor brummt" - verschwieg allerdings, dass seine Sicht der Dinge ebenfalls nicht ganz unumstritten ist (vgl. Jobmotor grüne Biotechnologie?). Immerhin steht Helmerichs Datenbasis auch nicht auf sicheren Füßen, denn er bekam von 80% der befragten Unternehmen überhaupt keine Auskunft. Unabhängige Studien und verlässliche Zahlen liegen auch von anderer Seite nicht vor. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung äußert sich nur zum Gesamtbereich der kommerziellen Biotechnologie und geht hier aktuell von 23.829 Beschäftigten aus.

Angesichts der Bedeutung des Themas und der Höhe der eingesetzten Fördergelder - allein die Biotechnologie-Branche wird von diversen Ministerien, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und zahlreichen Stiftungen pro Jahr mit mehreren hundert Millionen Euro unterstützt - nimmt sich das regellose Spiel mit Daten und Fakten allemal seltsam aus. Trotz der Vernetzung moderner Arbeitsabläufe müsste es möglich sein, zwischen Arbeitsplätzen in der Biotechnologie, in der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft und in der grünen oder weißen Gentechnologie zu differenzieren. Bevor weiter über die tatsächlichen oder ausbleibenden Beschäftigungseffekte der grünen Gentechnologie gestritten wird, wäre es also sicher sinnvoll, wenn sich die Beteiligten zunächst über simple Definitionsfragen und anschließend darüber verständigen, wie aussagekräftiges, belastbares Zahlenmaterial ermittelt werden kann.