George Soros und die europäische Vereinigung

Das Vermögen von George Soros, einem der bekanntesten und reichsten Finanzspekulanten, wächst beständig. In der Forbes-Liste wird sein Vermögen mit 2,5 Milliarden Dollar angegeben. Gleichwohl ist er mittlerweile wegen seiner Kritik am Kapitalismus zum schwarzen Schaf unter den Geldhaien geworden. Zudem hat er große Geldmengen vor allem in Osteuropa, aber auch in den USA und anderen Ländern in soziale Projekte gesteckt - jährlich angeblich 300 Millionen Dollar. Wenn es um die europäische Vereinigung, die Erweiterung der EU und vor allem um die Währungseinheit geht, ist seine Meinung als politisch einflußreicher Währungsspekulant gefragt und befürchtet. Im Oktober wird er in Holland seine "Vision" vorstellen. 1272_1.gif

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Das Vermögen von George Soros, einem der bekanntesten und reichsten Finanzspekulanten, wächst beständig. In der Forbes-Liste wird sein Vermögen mit 2,5 Milliarden Dollar angegeben. Gleichwohl ist er mittlerweile wegen seiner Kritik am Kapitalismus zum schwarzen Schaf unter den Geldhaien geworden.

George Soros ist einer der mächtigsten und reichsten Menschen der Welt. Aber er macht nicht nur Geschäfte, sondern unterstützt vor allem in Osteuropa auch soziale Projekte. Jetzt hat er eine "große Vision" für Europa angekündigt.

Das Netzreich von George Soros
Onkel Soros
George Soros: The Capitalist Threat

Welchen Einfluß George Soros auf die Finanzmärkte und die politische Arena besitzt, ist wohlbekannt. Seine Macht ist so groß, daß immer dann, wenn etwas Unerwartetes in der Welt der Politik und der Wirtschaft geschieht, die besorgten Parteien und die Konspirationstheoretiker stets nach einer "Soros connection" Ausschau halten. Seine Worten und Taten werden dauernd beobachtet, um vielsagende Zeichen für seinen nächsten Zug zu entdecken.

In diesem Herbst werden viele Menschen in Europa und außerhalb aufmerksam nach solchen Zeichen suchen. Am 4. Oktober wird George Soros während der Konferenz zum fünfzigsten Jahrestag der Europese Beweging Nederland eine Rede halten. Das Thema der Konferenz sind europäische Normen und Werte, und die Organisatoren hoffen, daß er diese Versammlung nutzen wird, um ein klare Aussage über die Werte und die Identität Europas zu machen.

Die Spekulanten in Europa, die auf den großen Spekulanten schauen, könnten möglicherweise aber enttäuscht werden, wenn sie damit rechnen, daß Soros etwas ganz Neues verkünden wird. Es wurde bereits berichtet, daß Soros an einer Erklärung der gegenseitigen Abhängigkeit arbeiten würde. Das ist nichts Neues oder Originelles. Es sollte einen auch nicht überraschen, daß es andere Erklärungen mit demselben Namen gibt.

Für Europa sind die nächsten Jahre kritisch. Man hat politisch viel in das Projekt der europäischen Währungseinheit investiert, die 1999 beginnen soll. Ein Scheitern der damit verknüpften Versprechungen wird unvorhersehbare Folgen für den Prozeß der europäischen Einheit mit sich bringen, einmal ganz davon abgesehen, daß dies das Überleben vieler Regierungen bedrohen würde. Folglich ist Unterstützung für das Vorhaben und für dessen politische Grundlagen gewünscht.

Wie der europäische Gipfel in Amsterdam deutlich machte, sind die EU und die europäische Währungsunion durch eine breite Unzufriedenheit gefährdet. Dieses Jahr war für Europa wieder eine schwierige Zeit, weil Kürzungen von staatlichen Hilfen und Leistungen, zusammen mit wachsenden Arbeitslosenzahlen, zum Hauptthema der politischen Opposition gegen die herrschenden Regierungen wurden. Nachdem überdies die Regierungschefs während des Gipfels keine Einigung erzielt haben, gingen widersprüchliche Signale über die Zukunft Europas von ihm aus.

Für die europäischen Regierungskräfte ist die Hoffnung wichtig, daß Soros die europäischen Währungsunion politisch und wirtschaftlich öffentlich unterstützt. Auch wenn er immer daran festgehalten hat, daß seine philanthropischen Stiftungen und seine wirtschaftlichen Aktivitäten völlig voneinander unabhängig seien, kann man sich nicht vorstellen, daß die rechte Hand nicht weiß, was die linke macht. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, daß beide irgendwie zusammenarbeiten. Ihre Organisationen mögen wirklich unabhängig voneinander sein, aber beide hängen dennoch von Soros ab, der an der Spitze der Pyramide von beiden steht.

Alle Gründe sprechen dafür, daß Soros sich für ein vereintes Europa aussprechen wird. Zunächst und vor allem wird seine Unterstützung der EU auf seiner Hauptangst begründet sein: der vor dem Nationalismus. Ein vereintes Europa wäre daher die beste Versicherung gegen das Erstarken der extremen Rechten. Überdies steht Soros dem Kapitalismus des freien Marktes sehr kritisch gegenüber. Wenn die Wirtschaftssysteme sich synchronisieren, gäbe es daher die Hoffnung, daß sich die EU als Wirtschaftsmacht etablieren kann, die sich den gleichmacherischen Folgen der globalen Wirtschaft Amerikas entgegensetzen kann. In diesem Fall würde Soros auf die traditionell höheren sozialen Standards und Werte hinweisen und gegenüber dem räuberischen Kapitalismus im amerikanischen Stil eine Zusammenarbeit zwischen den Staaten fordern.

Leider ist das Szenario für ein vereintes Europa nicht so deutlich ausgearbeitet. Der wirtschaftliche Aspekt bringt gegenwärtig die Probleme mit sich und macht die Zukunft so ungewiß. Daher fragt man sich, welchen Inhalt die "große Vision" von Soros haben wird. Auch wenn ein vereintes Europa das beste Schutzschild gegen den Nationalismus abgeben würde, steht die Annäherung der EU an stärker neoliberale und marktgestützte Ansätze in Konflikt mit seiner angeblichen anti-kapitalistischen Position und könnte so Soros letztlich gegen die EU auftreten lassen.

Trotz reservierter Stimmungen und Spannungen bei grundsätzlichen und konzeptuellen Aspekten, geht es seit 1996 um den pünktlichen Start der Währungsunion. Um das zu erreichen, wurde die Privatisierung, wie die für Januar 1998 geplante Liberalisierung der Telekom, entschieden durchgesetzt. Die allmählich entstehende Gestalt der EU, die durch die Steuerpolitik und die Privatisierungen der europäischen Regierungen zum Ausdruck kommt, läuft folglich der antikapitalistischen Haltung Soros' diametral entgegen.

Weil Soros selbst ein mächtiger Kapitalist ist, wird davon alles überschattet. Privatisierung ist eines seiner großen grauen Felder: seine geschäftlichen Unternehmungen haben weltweit eine aktive Rolle bei der Privatisierung gespielt, vor allem im Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur und der kulturellen Medien. In Zentral- und Osteuropa hat Soros entweder eng mit bestehenden Telekomfirmen zusammengearbeitet (z.B. in Ungarn durch die Realisierung von C3, dem Zentrum für Kultur und Kommunikation, mit MATAV) oder wie in Rußland einen großen Einfluß auf die digitale Infrastruktur erworben.

Geht man von der komplexen und oft widersprüchlichen Natur der sozialen und geschäftlichen Aktivitäten Soros' aus, dann haben sich jetzt spekulative Möglichkeiten im Steuerwesen eröffnet, da der Spielraum der europäischen Regierungen mit dem schnell heranrückenden voraussichtlichen Start der Währungsunion immer enger wird. Wenn die im Maastricht-Vertrag festgelegten Kriterien zu weich ausgelegt werden, könnte das zu einer Unruhe auf dem Markt führen und, besonders in Deutschland, einen breiten Widerstand auslösen. Wenn die Währungsunion verschoben werden sollte, würden hingegen wahrscheinlich alle Währungen, abgesehen von der DM, unter Beschuß geraten.

Der Euro wurde deswegen zur Achillessehne der EU. Die Entscheidung über die Aufnahme in die Währungsunion wird daher auf einer politischen und nicht nur auf einer rein wirtschaftlichen Grundlage erfolgen. Ob Soros diese Gelegenheit nutzen wird, seine Vision von Europa durchzusetzen (und wie er dabei dann vorgehen würde) oder ob es für ihn nur eine weitere Gelegenheit ist, die Unbeständigkeit des Kapitalismus zu demonstrieren, wird man abwarten müssen. Von der Erklärung, die Soros während der Konferenz der Europese Beweging Nederland abgeben wird, erwarten viele, daß sie Hinweise über seine Unterstützung oder Ablehnung des Euro enthält, was wiederum offenbaren würde, welche Position er gegenüber der EU einnimmt.

Wenn man seine Aussagen und seine sozialen Aktivitäten für bare Münze nimmt, dann würde Soros für die EU sein, hauptsächlich als Schutz vor dem Nationalismus. Er würde die Notwendigkeit wirtschaftlichen Selbstvertrauens und die Bedeutung einer Zusammenarbeit Europas herausstellen, sowie vorsichtig die Lehren aus der tragischen politischen Geschichte eines fragmentierten Europas ziehen. Er würde auch die kulturelle Vielfalt Europas und die im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Ausbildung erfolgten Leistungen würdigen. Gleichzeitig würde er Europa auffordern, seine traditionelle soziale Orientierung mit staatlichen Unterstützungen und Ausgaben nicht aufzugeben und einen hohen Standard der Sozialpolitik und der Wohlfahrt, zusammen mit Kultur- und Ausbildungsförderungen, als Gegengewicht zu den Folgen des Kapitalismus des freien Marktes aufrechtzuerhalten.

Wie Soros seine Botschaft formuliert und wie diese von den führenden europäischen Politikern aufgenommen wird, wird jedenfalls einen nachhaltigen Einfluß auf die Zukunft der europäischen Einigung ausüben.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer