Ende für Nuklear-Wiederaufbereitungsanlagen in Sicht

OSPAR Abkommen von Lissabon schützt die Meere

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Die Irische See ist stellenweise stärker radioaktiv verseucht als russische Untersee-Atomwaffentestorte. Tauben tragen soviele radioaktive Stoffe im Gefieder, daß sie als Atommüll gelten können. Was sich liest wie böse Öko-Fiktion, sind Momentaufnahmen eines Live-Krimis im Nordostatlantik. Jetzt haben sich Umweltminister von 12 EU-Staaten sowie Norwegens und Islands entschlossen, den Ursachen der radioaktiven Umweltverschmutzung einen Riegel vorzuschieben - zumindest langfristig gesehen.

Das am 23. Juli 1998 im portugiesischen Erholungsort Sintra bei Lissabon beschlossene Abkommen der OSPAR Kommission (Oslo-Paris Kommission) sieht vor, die Abgabe radioaktiver Stoffe ins Meer auf annähernd Null zu reduzieren. Auch dürfen Öl-Bohrinseln nicht mehr einfach stehengelassen oder auf See deponiert werden.

Bei der Abgabe radioaktiver Stoffe ins Meer soll eine deutliche Reduzierung bis zum Jahr 2000 erfolgen, bis zum Jahr 2020 sollen sie auf annähernd Null zurückgehen.

Damit steht theoretisch den atomaren Wiederaufbereitungsanlagen von Sellafield und Dounreay, Nordengland, und La Hague, Normandie, ein absehbares Ende bevor. Denn bei der vorgesehenen Reduzierung des radioaktiven Anteils der Abwässer auf gegen Null ist der Betrieb, so wie er in der Konstruktion der Anlagen vorgesehen ist, nicht aufrechtzuhalten. Am strukturschwachen nordenglischen Standort von Sellafield allein könnten 10.000 Arbeitsplätze verlorengehen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace feiert das OSPAR-Abkommen als einen großen Sieg, dem "20 Jahre Kampagnenarbeit vorangegangen" sei. Die Abwässer von Sellafield werden über die Irische See an die Ostküste Irlands getragen, sowie an der Westküste Schottlands entlang nach Norden und bis an die Norwegische Küste und in die Arktis.

Irland und Norwegen hatten sich zuletzt immer deutlicher für eine Schließung von Sellafield und Dounreay eingesetzt. Auch der britische Minister für Umwelt, Transport und Regionen, John Prescott, hatte das Abkommen unterstützt. Deutschland, das eine weniger gravierende Reduktionsmesslatte unterstützt hatte, war in Portugal durch Umweltstaatssekretär Ulrich Klinkert (in Vertretung von Frau Merkel) präsent.

Die Betreibergesellschaften und die Regierungen der betroffenen Länder, vor allem Großbritannien und Frankreich, aber auch die Erzeuger radioaktiven Abfalls wie Deutschland, Niederlande, Schweiz, Schweden, Italien, Spanien und Japan stehen nun gemeinsam vor einem großen Dilemma.

Greenpeace spricht von einem Ende der Wiederaufbereitung als Strategie in der Atommüllentsorgung. Wiederaufbereitetes, waffenfähiges Plutonium stapelt sich bereits jetzt in großen Mengen in Sellafield, ohne daß es Abnehmer dafür geben würde. Das wiederaufbereitete Nuklearmaterial zur Verwendung in Reaktoren soll zwar vertragsgemäß zurück in die Urheberländer gehen, doch hier häuften sich in den letzten Jahren die Proteste von Umwelt- und Bürgerrechtsbewegungen. (siehe z.B. TP-Castor-Berichte "Du mußt nicht mitmachen" und "Castor-Scanner enthüllt Atomtourismus").

So wie bei den meisten "moralischen" Siegen waren die eigentlichen Beweggründe also nicht idealistischer, sondern überwiegend wirtschaftlicher Natur. Es kommt wesentlich teurer, die weitreichenden Spätfolgen irgendwann aufzuräumen, als jetzt so bald wie möglich einen Schlußstrich zu ziehen. Das Konzept der Wiederaufbereitung atomaren Materials hat sich als ökonomische und ökologische Sackgasse herausgestellt.

Auch Bundesumweltministerin Angela Merkel räumte einem Bericht der Berliner Zeitung vom 24.Juli zufolge bereits "Fehler im Atommüllskandal" ein. Dieses Eingestädnis bezog sich zwar auf die Sicherheit von Transporten von und nach Sellafield, doch es wird immer klarer, daß es mit der Wiederaufbereitung bald vorbei ist - aber was dann?

Mindestens 136.000 Kubikmeter hochverstrahlten Materials werden sich, selbst wenn keine neuen Aufträge angenommen werden, in Sellafield bis zum Jahr 2010 angesammelt haben. Nach dem heutigen Stand der Dinge bleibt eigentlich nur die Endlagerung in sehr tiefen Felsschichten, so daß Grossbritannien durch die in Sellafield geschaffenen Tatsachen zu einem der Endlagerpunkte des nuklearen Fortschrittstraumes werden könnte.

Weiteres Hintergrundmaterial:

Greenpeace UK

Friends of the Earth