Anschlagsplan aus dem schwäbisch-bayerischen Grenzgebiet

Widersprüchliche Aussagen darüber, wie weit fortgeschritten die Anschlagspläne der drei festgenommen Islamisten waren

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Am Dienstagnachmittag wurden im Sauerland drei Islamisten festgenommen, die nach Angaben der Ermittlungsbehörden einen Anschlag in Deutschland planten. Zwei der Terrorverdächtigen verfügen nicht nur über einen deutschen Pass – ihr "Migrationshintergrund" erstreckte sich lediglich auf den Kontakt mit anderen Islamisten. Der dritte, der Türke Adem Y., stammt nach Medienangaben aus Hessen. Als Anführer der Zelle gilt Fritz G. aus Ulm (nach anderen Angaben aus Neu-Ulm). Das schwäbisch-bayerische Grenzgebiet profiliert sich seit längerem als ein Zentrum des deutschen Islamismus. Im benachbarten Augsburg betreibt der schwäbische Islamist Tarek Heer das Forum Ahl us-Sunnah wal-Jamaa'ah ("Gemeinschaft der Sunniten"), das sich bemüht, die GIMF an Radikalismus auszustechen.

Gegen die islamistische Zelle wurde bereits seit neun Monaten ermittelt. Am Silvestertag 2006 war der seit geraumer Zeit als Islamist bekannte Fritz G. aufgefallen, als er "auffallend häufig" um eine US-Kaserne in Hanau herumfuhr. Er und Adem Y. sollen sich Ende 2006 in Pakistan aufgehalten haben. Daniel S. besuchte dort angeblich im März 2006 ein Terroristen-Ausbildungscamp.

Bereits am Mittwochmorgen meldete Verteidigungsminister Jung im ARD-Morgenmagazin die Festnahmen. Um 11.30 Uhr stellten dann auch Generalbundesanwältin Harms und BKA-Chef Ziercke die Nachricht von der gestrigen Verhaftung auf einer Pressekonferenz vor. Während Jung im ARD-Morgenmagazin davon gesprochen hatte, dass die Vorbereitungen so weit fortgeschritten waren, dass es eine "unmittelbare Bedrohungslage" gab, rückte die Pressekonferenz in Karlsruhe, wo man auf Jung ganz offensichtlich nicht sehr gut zu sprechen war, die Vorbereitungen in die "Anfangsphase". Der Spiegel gab sogar eine Einschätzung von "Fahndern" wider, nach der die Männer mit den Chemikalien wahrscheinlich nur "experimentieren" wollten: Von einem "zündfähigen Sprengkörper" sollen sie "noch weit entfernt" gewesen sein.

Während es zuerst hieß, dass in der Wohnung eines der Verdächtigen Sprengstoff gefunden wurde, kam später heraus, dass es sich tatsächlich um ein angemietetes Ferienhaus gehandelt hatte. Neben militärischen Zündern hatten sich die drei mehrere hundert Kilo einer 35%igen Wasserstoffperoxidlösung beschafft und dort gelagert. Die Flüssigkeit war bereits im Vorfeld der Festnahmen von den Behörden heimlich mit einer 3%igen Lösung vertauscht worden.

Laut Ziercke nahmen Fahnder des Bundeskriminalamts (BKA) und der Sondereinheit GSG 9 die drei Personen in einem Ferienhaus in Medebach-Oberschledorn an der Grenze von Hessen und Nordrhein-Westfalen fest. Angeblich hatte eine ungeplante Verkehrskontrolle die drei so nervös gemacht, dass sie kurz davor waren, ihren Standort zu wechseln. Bei der Festnahme kam es zu einem Gerangel, wobei ein Polizist, dem die Waffe entrissen worden war, verletzt wurde. Neben der Festnahme der drei Tatverdächtigen fanden Durchsuchungen in etwa 40 weiteren "Objekten" statt.

Hieß es anfangs, dass die drei geplant hätten, am Frankfurter Flughafen und auf der pfälzischen US-Airbase Ramstein Anschläge zu verüben, so wurde diese Meldung nach und nach zurückgenommen, bis es schließlich am Mittag nur noch hieß, dass sich die Männer über mögliche Anschlagsziele gegen amerikanische Einrichtungen oder Orte, an denen sich viele Amerikaner aufhalten, "unterhalten" hätten.

Verbindungen nach Usbekistan

Die drei sollen in Deutschland eine Zelle der "Islamic Jihad Union" (IJU) gegründet haben. Was klingt wie eine Mischung aus al-Qaida und einem CDU-Verband ist in Wirklichkeit eine Abspaltung usbekischer Islamisten: Insgesamt kosteten die Anschläge der IJU seit 2004 47 Menschen das Leben. Anschlagsziele waren unter anderem die israelische und die US-Botschaft in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Das organisatorische Zentrum der Gruppe soll derzeit in den pakistanischen Paschtunengebieten liegen. Bereits in den 1990er Jahren hatte es trotz ethnischer Spannungen mit den Einwohnern der usbekisch besiedelten Gebiete Afghanistans ein Bündnis zwischen den paschtunischen Taliban und dem "Islamic Movement of Usbekistan" (IMU), vom dem sich die IJU 2002 oder 2003 abspaltete, gegeben.

Die Anfänge des usbekischen Islamismus gehen auf den Bürgerkrieg im Afghanistan der 1980er Jahre zurück. Etwa 100.000 sowjetische, arabische, philippinische und chinesische Islamisten ließen sich bereits seit 1982 bei den CIA-geförderten Mudschaheddin explizit deshalb ausbilden, um danach den Dschihad in ihrer Heimat weiterzuführen.1 Vor allem bei Islamisten aus der Sowjetunion sah man das auf Seiten der CIA durchaus gerne.

Bundesinnenminister fordert die "notwendigen Mittel" für den "Wettlauf mit Verbrechern"

Unmittelbar nach der Pressekonferenz von Ziercke und Harms in Karlsruhe folgte in Berlin eine des Bundesinnenministers. Schäuble, der erst den Frankfurter Flughafen als Anschlagsziel genannt hatte, auf Rückfragen aber eingestehen musste, dass dieser nur als "Teil des weltweiten Gefahrenraums" gefährdet sei und dass er das "auch aus Agenturmeldungen zitiert" habe. Da BKA-Präsident Ziercke vorher jede Auskunft zum "technischen Vorgehen" verweigert hatte, musste Schäuble nicht lange warten, bis er auf dieses Gebiet angesprochen wurde. Der Innenminister verwies zwar erst darauf "dass es nicht der Anlass wäre, heute solche eine Debatte zu führen" fügte aber gleich anschließend an, dass man jetzt "auf diejenigen hören sollte, die solche Untersuchungen durchführen".

Schäuble, der auf der Konferenz einen teilweise recht uninformierten Eindruck machte (so musste er beispielsweise lange in Unterlagen blättern, bis er mitteilen konnte, dass der Ursprung der IJU "usbekisch" ist), forderte neben "Strafandrohungen für Vorbereitungshandlungen" erneut die "notwendigen Mittel" für den "Wettlauf mit Verbrechern" und "Menschen, die schlimme Dinge im Schild führen".

Einer Reporterfrage zum möglichen rechtmäßigen Einsatz einer vor den gestrigen Festnahmen durchgeführten Online-Durchsuchung wegen "Gefahr im Verzug" wich der Innenminister mit Allgemeinplätzen aus und verwies darauf, dass "deutsche Dienststellen" sich an die "geltende Rechtslage" halten würden. Eine Auskunft, die insofern interessant ist, als er anfangs die Zusammenarbeit mit "ausländischen Partnerdiensten" ausdrücklich gelobt hatte, was auf die Möglichkeit einer Online-Durchsuchungen durch ausländische "Dienststellen" verweist.