Making the World a Safer Place

Wissenschaftler im Kampf gegen Terrorismus

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"Es ist eine Jahrhundertaufgabe," nannte R.J.Colton von der Chemistry Division des Naval Research Laboratory die Problematik im vergangenen November anlässlich einer Tagung zu Homeland Security Science and Technology.

Wir brauchen Langzeituntersuchungen in der Größenordnung von 20 und mehr Jahren. Es geht um Detektion, Prävention, Protektion und die angemessene Antwort. Die Wissenschaftler und Ingenieure von heute können bestenfalls den Grundstein für morgen legen.

Der Ausgehanzug der Zukunft

Wo stehen wir heute? R.J.Colton und J.N.Russell versuchen in Science eine Standortbestimmung. Die Antwort fällt nicht leicht. Der Aum Shinrikyo Anschlag 1995 mit dem Nervengas Sarin in der U-Bahn von Tokio und die Versendung von anthraxhaltigen Briefen vor zwei Jahren in den USA illustrieren die Bandbreite. Während die U-Bahn schnell gereinigt werden konnte, sind einige der anthrax-kontaminierten Gebäude auch heute noch versiegelt.

Der Grund? Die bisher gebräuchlichen Reinigungsmittel sind oxidierende Flüssigkeiten oder Gase, konkret Bleichmittel. Gut wirksam in den Labors oder Krankenhäusern mit Oberflächen, die korrosiven Einflüssen widerstehen, unbrauchbar hingegen in vielen anderen Situationen. Mehrere Jahre hat es gedauert bis das Sandia National Laboratory etwas Besseres gefunden hat: Ingredenzien aus Haarfestigern und Zahnpaste werden zu einem Schaum (Sandia Decon Foam) geformt, um den Reinigungseffekt mit weniger Wasser, geringeren Schäden und umweltfreundlicher zu erzielen. Am Lawrence Livermore National Laboratory ist gegen das Auskeimen der Sporen ein kolloidales Kieselgel mit Peroxymonosulfat (Oxone) entwickelt worden.

Das Gel wird wie Farbe auf Wände, Decken und sonstige Gegenstände aufgetragen. Die ersten hoffnungsvollen, gleichwohl unkonventionellen Ansätze reichen nicht aus, um Ventilationssysteme, poröse Materialien, Maschinen oder gar empfindliche elektronische System zu dekontaminieren. Die bislang noch bekannten oxidierenden Gase reinigen zwar porentief; allerdings so wirksam, dass danach viele Geräte unbrauchbar sind, oder die Rohrleitungen ausgewechselt werden müssen.

Die Bezeichnung Dekontamination ist ein unscharfer Begriff. Ob unter freiem Himmel im Stadion, zwangsbelüftet in der U-Bahn, oder im Büro oder Hotel mit Klimaanlage: die Bedingungen für Gase, Sporen, Bakterien und Viren sind von Ort zu Ort und selbst innerhalb einer Kategorie wegen der Abhängigkeiten von Temperatur und Feuchtigkeit unterschiedlich. Systematische Untersuchungen, etwa über das Auskeimen von Sporen oder das Bakterienwachstum außerhalb der Agarplatte sind, wenn überhaupt, äußerst rar. Deshalb können die gegenwärtig entwickelten Szenarien bestenfalls Anhaltspunkte geben.

Kein Konsens besteht zur Frage: Wann ist etwas genug gereinigt? Völlig keimfrei, ist das Ideal. Die Ärzte wissen, dass sie nur die starren Endoskope aus Chromstahl steril machen können. Die beweglichen Endoskope zur Magen- oder Darmspiegelung sind niemals völlig keimfrei. Selbst in den Operationssälen wird eine bestimmte Menge von Erregern toleriert. Bei chemischen oder biologischen Waffen, die in unbekannten Konzentrationen anfallen, sind weder die Haftfähigkeit noch die chronische Toxizität kleiner Mengen bekannt. Um dem Herr zu werden, braucht es neue Oberflächen, selbst-reinigend und möglicherweise auch selbst erneuernd.

Menschenschutz ist möglich, wo mit der Gefahr gerechnet wird: an der Front durch Schutzanzüge, Masken, abwehrende Cremes und vorsorgende Impfungen in Verbindung mit dem gezielten Training. Die Vorsorge kann hingegen nur punktuell durch Sensoren erfolgen. Bei explosiven Stoffen kommt in den US Flughäfen zunehmend die IMS (Ion Mobility Spectrometry) zur Anwendung. Die Methode arbeitet im negativen Ionenmodus und verhindert, dass die elektronen-hungrigen Nitroverbindungen zur Explosion angeregt werden.

Die Defense Threat Reduction Agency (DTRA) entwickelt Pläne für den Umgang mit radioaktiv verseuchter Luft. Ein Projekt spricht von "smart buildings", in denen die Belüftungssysteme und Filter modular angeordnet werden, um im Falle einer Detektion das betroffene Areal automatisch gegen die übrigen abzuschotten. Der Wiederaufbau des zerstörten Flügels im Pentagon folgt bereits diesem Konzept. Was für Neubauten machbar ist, wird in Altbauten nachträglich nur langsam und mit hohem Kostenaufwand zu realisieren sein.

Der Ernstfall

Die Kunst des Erkennens baut zunehmend auf den Mikronachweis. Poröse Nanostrukturen aus Silikon ändern unter dem Laserstrahl ihren Refraktionsindex in Abhängigkeit von den in der Luft befindlichen Dämpfen. Mit entsprechender chemischer Vorbehandlung können Biomoleküle, Explosivstoffe, Chemikalien und Bakterien detektiert werden. Magnetische "microbeads" machen sogar die Interaktion nur einer einzigen Bindung an einen Rezeptor aus. So können "Giant Magnetorisistive (GMR) Magnetfeld-Mikrosensoren noch Spuren von Protein und Bakterien nachweisen oder innerhalb von 30 Minuten 2000 DNA-Kopien in einer 30 Mikroliter Probe. Glasfaserbündel, nicht breiter als 500 Mikrometer, enthalten Tausende von Fasern, an denen fluoreszenzmarkierte DNA oder andere Biosubstanzen in geringsten Konzentrationen ausgemacht werden.

Zur Messtechnik hinzu gekommen sind Simulationen bestimmter Szenarien wie etwa die Erkenntnis, wonach nicht das Impfen, sondern Quarantäne am wirksamsten gegen die Pockenepidemie schützt. Wie bewerkstelligen? Die ernüchternde Antwort: unter den gegebenen rechtlichen Verhältnissen ohne Chance. Die Krankenhausträger verlassen sich nicht mehr auf die ärztlichen Angaben, sondern bemühen schnöde die Statistik: von den Tageszugängen der letzten 10-20 Jahre werden Zeitreihenanalysen erstellt. Dagegen suchen Spezialisten die heutigen Veränderungen täglich auf ungewöhnliche Ereignisse ab. In Massachusetts erfolgt diese Prozedur bereits routinemäßig, nachdem sich die größten Hospitäler genau zu diesem Zweck vernetzt haben.

Niemand weiß, wie der Feind aussieht, welchen Weg er wählt, welchen Stoff und welche Menge er mitbringt. Die minimale Vorsorge gegen Bioterrorismus ist teurer als das Raktenschutzschild, das die US Regierung bisher schon beschäftigt. Rechtfertigt die politische Situation im Mittleren Osten den immensen Aufwand?

Die Doktrin vom präemptiven "War against Terrorism" hat bewirkt, dass der Ausgang schwerlich voraussehbar ist. Früher hießen die Terroristen Freiheitskämpfer, Freischärler, Aufständische oder Revolutionäre. Dass die etablierte Macht keineswegs das Maß aller Dinge ist, beweist die Quelle der modernen Demokratien, nämlich die Französische Revolution. Warum müssen wir chemische und biologische Waffen fürchten? Weil Panzer und Zäune mit Selbstschussanlagen keinen Konflikt lösen und kein Bekenntnis für die Demokratie ablegen, sondern die Verzweiflung schüren. So wird der arme Mann zu Waffen greifen, von denen er in der Presse liest, wie sehr sie die Mächtigen in Angst versetzen. Wissenschaftler und Ingenieure, so machen R.J.Colton und J.N.Russell deutlich, sehen es hingegen apolitisch als Herausforderung - wie die Militärtechniker aller Zeiten.