Wider die Medien-Vergötzung

Das Recht des Bildes - Jüdische Perspektiven der Moderne

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Die Bochumer Ausstellung Das Recht des Bildes - Jüdische Perspektiven in der modernen Kunst verdeutlicht die Beiträge jüdischer Künstlerinnen und Künstler zur Entwicklung der modernen bildenden Kunst bis in die Gegenwart. In einem beeindruckenden Aufgebot von 111 Künstlern zwischen 1800 und heute macht sie die Bedeutung der jüdischen Zivilisation für die westliche Moderne deutlich. Damit stellt sie entscheidende Fragen nach dem Bezug von Religion und Kunst.

Und das für eine Epoche, in der Autonomie und Eigensinn der Kunst in Inhalt, Form und Funktion schrittweise erobert wurden und zu unterschiedlichen Aussagen und Orientierungen führten - zwischen Tradition und Zukunft, Realismus und Abstraktion, Engagement und L'art pour l'art. Besonders reizvoll an dieser wie auch der Bochumer Vorgängerausstellung "Zen und die westliche Kunst" ist: Die Wechselwirkungen zwischen Religion bzw. Religiosität und den Künsten sind keineswegs nur im Modus der Säkularisation und Emanzipation der Kunst zu verstehen.

Bilderfluten teilen und umlenken

Die Religion bietet nicht nur eine (lästige) Tradition an, sondern sie schafft mit ihrem Prinzip: "Du sollst dir kein Bildnis machen" - weder von Gott noch den Menschen und irdischen Wesen - gerade eine jener wesentlichen Voraussetzungen für den reflexiven Umgang mit Bildern und Anschaulichkeiten. Das Gebot, jegliche Vergötzung und jeglichen Bilderkult zu vermeiden, ja zu bekämpfen, fordert auf zur bewussten Distanz, zur souveränen Skepsis gegenüber früheren und heutigen Bilderfluten, zum selbstgewählten Exil mitten in den totalisierenden Medienumwelten, die uns in ihrer sklavischen Immanenz keine Chance mehr zu lassen scheinen, einen "jenseitigen" Standpunkt der Freiheit, Würde, Offenheit und Urteilskraft einzunehmen.

In den Worten von Horkheimer und Adorno: "Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots." Darin besteht der jüdische Beitrag, sein Verdienst und auch sein schmerzvolles Opfer an eine Moderne, die sich in der Kunst und in den Medien nicht den angebotenen Bild- und Wahrnehmungsinhalten unterwirft, sondern sich mit ihnen aktiv, prozessual und streitbar auseinander setzt, im Dienste einer ungekränkten Selbstdarstellung.

Herolde der Moderne

Die Liste der ausgestellten Namen wird angeführt von den Herolden der Modernen aus Malerei, Musik, Literatur und Fotografie, wie Mark Rothko und Barnett Newman (abstrakter Expressionismus), Lesser Ury und Max Liebermann (Impressionismus), Arnold Schönbergs expressiver Malerei, Else Lasker-Schülers Grafiken, Ludwig Meidners explosivem Expressionismus zwischen Selbstporträt und Großstadtapokalypse, El Lissitzkys und Man Rays konstruktiven Experimenten mit dem Medium Fotografie, das malerische Psychogramm der Angst von Felix Nussbaum (1941/43), den poetischen Figurationen eines Marc Chagall oder Amedeo Modigliani.

Spannung zwischen Modernität und Orthodoxie

Einblicke in jüdisches Leben und praktizierten jüdischen Glauben, die sich weder den zivilen Imperativen einer säkularen Moderne angepasst haben noch der Vernichtung anheim gefallen sind, bieten weniger bekannte oder bisher unbeachtete Werke der genannten Autoren, Genrebilder von Moritz Daniel Oppenheim, Isidor Kaufmann, sowie biblische "Illustrationen" von Lesser Ury, Jacob Kramer oder die Jugendstil-Vignetten von Morris Rosenfeld etwa zu den Ghetto-Liedern.

Die Intensität der Darstellung überträgt sich auf den Betrachter besonders heftig in den melancholischen Porträts von Hermann Struck und Moshe Elazar Castel, wobei der Kontrast zwischen der Modernität der Formensprache und der "ikonischen Orthodoxie" mancher Motive einen unerhört ergreifenden Tonfall annimmt. Biblische Situationen, wie die mörderische Rivalität zwischen Kain und Abel, teuflische Verführungen und prophetische Verzückungen in der Wüste werden in packende Motive umgesetzt, so von Jakob Steinhardt und Reuven Rubin.

Politisierung der bildenden Kunst

Mit Ludwig Meidner, David Bomberg, Arthur Segal, Erich Comeriner und John Heartfield politisieren sich die Malerei oder Fotomontage schon im Vorfeld des ersten Weltkrieges, und zunehmend in den 20er und 30er Jahren. Der gesellschaftliche Druck des Kollektivs auf den einzelnen wird Thema, Lea Grundig, Felix Nussbaum und Marc Chagall bringen den eskalierenden Antisemitismus und den Holocaust als Fratze des gesellschaftlichen Wahns oder als Formel des individuellen und religiösen Leidens ins Bild. Ecce Homo, der Gekreuzigte erfährt eine Umwertung. Ein Diskurs, der in der Nachkriegszeit von international bekannten Künstlern wie Daniel Spoerri und dem Moskauer Duo Komar & Melamid zwischen kriminalistischer Spurensicherung und postmoderner Parodie selbstgefälliger Pilatus-Ikonen der Weltmächte: Truman, Churchill, Stalin fortgesetzt wird.

Fragile Identität, virtuelle Opfer und blutige Realität

Unter den heutigen, meist jüngeren Künstlerinnen und Künstlern bildet die Vergewisserung einer fragilen minoritären Identität und hohen Mobilität ein zentrales Thema. Es wird in verschiedenartigen medialen Modellen und interkulturellen Lebensformen ausformuliert: Die in Tel Aviv geborene, in Österreich lebende Künstlerin Rivka Rinn zieht Foto- und Videomotive zu stroboskopartigen Wahrnehmungspartikeln zusammen, um ihr Leben als nomadische Bewegung des Reisens zu "verflüchtigen". Die New Yorkerin Nacy Spero versucht in ihren reduzierten, friesartigen Figuren-Reigen, eine unterdrückte weibliche Schrift aus den Abdrücken offizieller geschichtlicher Körperornamente zu rekonstruieren.

Zwischen den beiden Polen der medialen Gegenwart und der kunsthistorischen Archaik operiert die in Köln lebende deutsch-britische Künstlerin Tanya Ury. Sie verbindet biblische Situation, Kunstprache der Moderne und aktuelle politisch-gesellschaftliche Brisanz von Anschlägen zwischen London und Jerusalem: In "Jack the Ladder" (2000) werden 21 Fotografien in einer siebenstufigen "Himmelsleiter" zusammenmontiert. Sie erinnert an Jakobs große alttestamentarische Vision:

Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.

Doch die Botschaft der visuellen Fragmente ist alles andere als himmlisch: Die Leiter zerfällt zu einem Labyrinth des globalen Leidens: Das Modell und Alter Ego des Werkes, die junge chinesische Echo Ho, ist ein gefallener Engel, unbekleidet, ungeschützt, zwischen Intimität und Terror, Leben und Tod, ein Subjekt, das in und für die Kunst zur Figur eines virtuellen Opfers wird, das jederzeit in blutige Realität umschlagen kann.