MuQua: Hammer oder Spiegel?

Kursorische Anmerkungen zum MuseumsQuartier Wien

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Das MuseumsQuartier Wien, kurz MuQua, wurde mit zahlreichen Events unter dem Motto "Barock meets Cyberspace" vom 28. bis zum 30. Juni erstmals offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt. Keinen Platz im vorliegenden Artikel findet eine Würdigung der Eröffnungsfestivitäten, die fraglos auch dazu beitrugen, dass die Menschen zu Tausenden in das Areal kamen. Mehr Aufschluss darüber, und was die Abteilung Marketing & Kommunikation der MuseumsQuartier Errichtungs- und BetriebsgesmbH sonst noch alles an Infos anzubieten hat, finden Sie unter www.mqw.at. Einzig Erwähnung soll hier der offizielle Festakt der Eröffnung finden, der jedoch mit einer geringeren Besucherbeteiligung, weil ausschließlich für geladene Gäste, zelebriert wurde. Die für den künstlerischen Beitrag verpflichteten Personen und ihre teils eigene Technikcrew klagten hernach darüber, dass sie von der Security schikaniert wurden. Die Nervosität der Veranstalter ist verständlich, saßen doch in den Reihen der versammelten Prominenz aus Kultur und Politik auch Mandatare der FPÖ. Jene Partei also, die sich im jahrzehntelangen Politstreit um das Für und Wider am entschiedensten gegen die Errichtung des MuseumsQuartiers ausgesprochen hat und sogar mittels Plakataktionen eine regelrechte Hetze gegen einzelne VertreterInnen der zeitgenössischen Kunst veranstaltete. In den Augen der neuen rechten Regierung, der FPÖVP-Koalition, die in ihrer Antrittserklärung eine Förderung der zeitgenössischen Kunst gleich gar nicht vorgesehen hat, gelten KünstlerInnen vermutlich schon an sich als potentielle Terroristen.

MuseumsQuartier Wien, "das weltweit bestgetarnte Kulturzentrum des 21.Jahrhunderts"

Das Quartier 21 ist eine noch nicht mit Inhalt gefüllte Worthülse.

Kunsthallendirektor Gerald Matt

Um den Ärger mit der Künstlerschaft in Zukunft vorzubeugen, haben der Direktor des MusemsQuartiers Wien, Wolfgang Waldner, und Kunststaatssekretär Franz Morak, beide ÖVP, das sogenannte Quartier 21 ausgeheckt. Das "zukunftsweisende Labor", so in einer MuQua-PR-Broschüre, stünde demnach unter der Oberaufsicht des Direktors und seines Beraterteams. Und die jetzt erstmals gekündigten Drittnutzer, die während der Bauzeit in dem selben Gebäudebereich aktiv waren, das für das Quartier 21 vorgesehen ist, haben nur geringe Chancen nach der Fertigstellung der adaptierten Räume zum Neustart im Sommer 2002 - mit den bisherigen Ansprüchen an ihre Arbeit -, dorthin zurückkehren zu können. (Link zu - Kampfplatz MUQUA, bzw. am Ende)

Allen voran Konrad Beckers Institut für neue Kulturtechnologien, Public Netbase t0 und das Depot, die beide bei allen Unterschieden ihrer Arbeitschwerpunkte gemeinsam die soziopolitische Funktionalität der Kunst und der Medien kritisch im Visier haben. Mit ihrer bisher parteiunabhängigen Positionierung machten sie auch nie einen Hehl aus ihrer Opposition gegenüber der regierenden FPÖVP-Koalition. Gerald Matt, Direktor der neuerbauten Kunsthalle im MuQua zum geplanten Quartier 21:

"Wichtig ist, dass Initiativen wie Public Netbase und Depot bestehen bleiben und die Energien bestimmter Szenen glaubwürdig hereintransportieren. Glaubwürdig! Ich vermisse das beim Quartier 21, wo ich nicht sehe, wie es sich mit der notwendigen Autonomie und Flexibilität der kleinen Nutzer vereinbaren lässt. Das Quartier 21 ist eine noch nicht mit Inhalt gefüllte Worthülse." (Falter 23/01)

"Jetzt beginnen der Vollbetrieb und die Herausforderungen", wird Direktor Waldner in der schon erwähnten PR-Broschüre zitiert. "Das wird aber nur gehen", so im Wortlaut weiter, "wenn alle zusammenhalten und nach außen kommuniziert wird, dass das MQ mehr ist als die Summe aller Einzelteile." Trotz des längst in zahllosen Festreden zur Phrase verkommenen Nachsatzes, der den Strukturwissenschaften bzw. der Chaostheorie entnommen ist, verrät das Statement des Direktors mehr über die Absicht einer Zentralverwaltung als über eine Vernetzung der verschiedenen Institutionen im MuQua als autonome Teile, wie gegenüber den Medien immer versichert wird.

Trotz aller Beschwichtigungen gegenüber den Medien geht der Kulturkampf weiter

Einen Vorgeschmack darauf lieferten die Auseinandersetzungen zwischen dem Kunsthallendirektor Gerald Matt und Waldner, als Matt vierzehn Tage vor der offiziellen Eröffnung des MuQua die Eröffnung seines Hauses mit einem sehr ähnlichen Freiluftspektakel begehen wollte. Waldner pfiff Kraft seiner Position Matt zurück, der seine Eröffnung am 11. Juni lediglich indoor ablaufen lassen musste. Die Kunsthalle Wien ist zu 100 % im Besitz der Stadt Wien und damit fest in der Hand der SPÖ-Mehrheit im Rathaus. Nach der Übersiedlung vom Kunsthallen-Container (Architekt: Adolf Krischanitz) am Wiener Karlsplatz in die neuerrichtete Kunsthalle im MuQua-Areal wird Gerald Matt entweder seinen einstigen Freiräumen und dem regen Zuspruch vor allem des jungen Kunstpublikums nachweinen oder hier einfach darum kämpfen müssen. Schon spricht Matt von Kooperationen etwa mit der Secession oder dem Künstlerhaus. Kunstinstitutionen also, die keiner Verfügungsgewalt eines BetriebsgesmbH- Direktors unterstellt sind, der sich als Exekutant der schwarz-blauen Regierung versteht.

Eine weitere Bestätigung dafür, dass die autoritäre Wende, die die FPÖVP-Regierung seit ihrem Amtsantritt in Österreich mit Nachdruck verfolgt, auch durch den ÖVP-Mann Waldner im MuQua zur Norm werden soll, ist ein am 28. Juni bei Public Netbase eingegangener Brief von der MuseumsQuartier GesmbH., der mit 12. Februar 2001 datiert ist. Letzteres ist nur ein weiteres Indiz für die Klagen der Drittnutzer, Waldner wolle sie durch eine gezielte Hinhaltetaktik in Zugzwang bringen. Laut einer Aussendung der Netbase vom 1. Juli, entpuppte sich der Brief "nach eingehender Überprüfung...als völlig untauglicher Vorvertrag für einen Mietvertragsabschluss." Das überrascht nicht, haben doch laut Aussendungstext "keinerlei Gespräche im Hinblick auf mehrfach vorgebrachte institutionelle Bedürfnisse und funktionelle Erfordernisse" stattgefunden. Dahingehende Wünsche seitens Becker wurden von Waldner einfach ignoriert. Vorerst letzter Stand der Dinge ist, dass MuQua-Geschäftsführer Waldner auf die Politik der Härte setzt und für kommenden Freitag mit einer Räumungsklage droht. Grund für Panik muss es in der Netbase dennoch nicht geben. Schon Anfang März dieses Jahres kündigte Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) an, dass im nächsten Stadtsenat eine Förderung in der Höhe von 6,2 Millionen ATS (ca. DM 900.000) beschlossen werden soll. Nach dem Ausgang der letzten Gemeinderatswahlen in Wien braucht die SPÖ dafür nicht einmal die Stimmen anderer Parteimandatare.

Cultural Player, Broker und nützliche Idioten

Politk ist auch gleich das Stichwort, das in die stattfindende Debatte über die Architektur des MuQua führt. Eine Debatte, deren Anfänge mindestens zehn Jahre zurückreicht. Neu daran ist jetzt nur, dass über das Resultat gestritten wird. Bei einem Großprojekt dieser Art, Nutzfläche gesamt 60.000 m2, Errichtungskosten gesamt netto 2,0 Mrd. ATS, sind Auseinandersetzungen zwischen diversen gesellschaftlichen Macht- und Interessensblöcken nicht weiter verwunderlich. Nach den Plänen des städtischen Managements war die Zielvorgabe mit entsprechendem Grundkonsens zwischen SPÖ und ÖVP, der damaligen Regierungskoalition, spätestens seit der Erteilung der Baubewilligung 1997 klar. Das MuseumsQuartier soll ein Einsatz im Kampf um Kunden- und Kapitalströme sein, ein kulturtouristischer Hit im Wettbewerb der Städtekonkurrenz. Uneinig war man sich noch darüber, wie das Ziel optimal zu erreichen sei.

Tragikomisch über all die Jahre die Rolle weiter Teile der Wiener Kunstfangemeinde, die die Forderung nach "ihrem Museumsquartier" zum Kreuzzug für die zeitgenössische Kunst machten. Einen ersten Teilerfolg konnten nur jene Gruppen aus der Wiener Kunstszene verbuchen, die sich mit der Coolness instrumentalistischer Orientierung einen Platz im Baugelände sicherten. Zwar nicht ohne Anstrengungen, aber dafür auch mit Hilfe des Effekts, am symbolischen Kapital des MuQua zu partizipieren, konnten sie über die Jahre ihre Vereine zu Institutionen ausbauen. Die vom ehemaligen Kunstminister Rudolf Scholten (SPÖ) eingesetzten BundeskuratorenInnen und ihre Subventionsgeldmittel, und mithin ihre Gefolgschaft aus der Wiener Kunstszene, spielten dabei eine gewichtige Rolle.

Jeder Neubau ist auch schon wieder ein Umbau.

Architekt Laurids Ortner zitiert Architekt Hermann Czech.

Das Architekturbüro Ortner & Ortner, des Brüderpaars Manfred und Laurids Ortner, ging als Sieger des zweistufigen Wettbewerbs für das MusemsQuartier hervor und wurde 1990 mit dem Bau beauftragt. Die Kritiken aus den Reihen der ursprünglichen Befürworter des Projekts wären in gewisser Weise verständlich, sagte Laurids Ortner sinngemäß bei einem Streitgespräch am runden Tisch in der Fernsehsendung Kunst-Stücke auf ORF 1 am ersten Eröffnungstag. Und ergänzte, dass das Ergebnis jetzt für diese Menschen als geradezu persönliche Beleidigung empfunden wird, weil es nicht in der ursprünglichen Form realisiert wurde.

Tatsächlich wurde schon in der zweiten Runde des Wettbewerbs von Ortner & Ortner ein im Unterschied zum ersten Entwurf völlig anderes Projekt eingereicht. Laut dem Architekturkritiker Jan Tabor behauptet Hans Hollein, dass dieser Entwurf von seinem eingereichten Projekt abgeschaut war. Der neue Entwurf beinhaltete, wie bei Hollein, den Ansatz einer städtebaulichen Collage, die größtmögliche Flexibilität zulässt. Ein, meiner Meinung nach, tatsächlich zeitgenössischer Ansatz. Der Plan beinhaltete demnach, dass das MusemsQuartier nicht ein völlig durchkonzipiertes modernistisches Gesamtkunstwerk werden soll, sondern ein dekonstruktiv-moderner Zusammenhang, der von der Konzeption her noch genug Spielraum für Entscheidungen während der Bauphase bereithält.

Dieser grundsätzlich optimale Ansatz hat sich aber, vorerst zumindest, als eher nachteilig ausgewirkt. Denn der Politzankapfel MuseumsQuartier hat eine lange Reihe von Protagonisten aus Politik und Kunstkultur auf den Plan gerufen, die sich dem Architektenduo Ortner & Ortner als quasi Co-Architekten aufdrängten. Keiner von diesen Leuten hat als Architekturvisionär Geltung, vielmehr ging es ihnen um Macht und Geld. Der Vorwurf seitens der KritikerInnen, Ortner & Ortner hätten ihre Vorstellungen gegenüber den Einmischungen zu wenig verteidigt, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Urteile der Fachkritik reichen von "steingewordenem Duckmäusertum" über "Reservation des österreichischen Provinzialismus" bis zu "Grab der Kunst".

Andererseits gehört es selbstredend zum Beruf des Architekten, vom eigenen Künstlersubjekt-Phantasma abzurücken und sich mit Professionalität neuen Situationen und Erfordernissen zu stellen. Das Argument, dass ein einziges Architektenteam in einem Projekt dieser Dimension, auch in kulturpolitischer Hinsicht, einfach überfordert sein musste, erklärt zwar vieles, damit allein können die Schwachstellen aber nicht wegdiskutiert werden. Laurids Ortner sieht das alles gelassener: "Hermann Czech hat einmal ganz richtig gesagt: Jeder Neubau ist auch schon wieder ein Umbau. Auf den Mängellisten gibt es über hundert angeführte Punkte, die im Laufe der nächsten Monate behoben werden müssen." (Falter 25/01)

Das vielleicht weltweit bestgetarnte Kulturzentrum des 21. Jahrhunderts

Geht man auf das MuQua über den Museumsplatz Richtung Haupteingang zu, mit dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum im Rücken, dann sieht man lediglich die renovierte Barockfassade des 300 Meter langen Vordertrakts der ursprünglichen Hofstallungen. 1713 erhielt Fischer von Erlach von Kaiser Karl VI. den Auftrag für deren Planung. Architektonisch gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich dahinter neuerrichtete Museen für moderne Kunst und eine Kunsthalle zur Präsentation zeitgenössischer Kunst befinden. In einem anderen Kontext würde ich dieses Understatement als ironische Geste zu schätzen wissen. In Verbindung mit der Kulturgeschichte Österreichs nach dem 2. Weltkrieg, ist es nur bezeichnend, dass sogar noch an der Wende zum 21. Jahrhundert es hier möglich ist, moderne Architektur hinter historischen Fassaden zu verstecken.

Tatsächlich wurden noch 1996 die Firsthöhen der geplanten Gebäude mittels Baukränen und Stangen für den Vorprüfungsbeirat des Denkmalamtes visualisiert und im auflagenstärksten Boulevardblatt Österreichs, der Kronen-Zeitung, kommentiert. Und das mit Nachdruck auf die Entscheidungen, wie sich in der Folge herausstellen sollte. Das wiederum können nur Kenner der österreichischen Medienlandschaft verstehen. Einer Kampagne der Kronen-Zeitung, bzw. des Eigentümers Hans Dichand, ist nicht nur der von Ortner & Ortner in ihrer Planung als Wahrzeichen vorgesehene Leseturm, später Medienturm, zum Opfer gefallen. Weitaus tiefgreifender wirkte sich die Einmischung Dichands auf die öffentliche Meinung und die Entscheidungträger aus, indem schließlich die gesamte Anordnung der Solitärbauten am Areal verändert wurde.

Jener Teil der heimischen Kunstfangemeinde, die sich mit missionarischem Eifer für das MuQua engagiert hatte, beklagte den Wegfall des Turmes als Sieg der restaurativ-reaktionären Kräfte im Land. Das ist im Prinzip richtig. Aber einmal ganz abgesehen davon, dass die Vorstellungen über die Nutzung desselben eher sehr vage waren, habe ich das Aus für den Turm als Verlust nicht nachvollziehen können. Ein architektonisches Gebilde, das mit Phallus konnotiert ist und sich über den Fischer von Erlach-Trakt erhebt, ist nicht gerade die originellste Lösung für ein Wahrzeichen und auch kein taugliches Signal gegen das konservierte Stadtbild der imperialen Ringstraße.

Memento mori in der Ära der Creativ Industries

Innenhof des MuQua. Foto Pascal Petignat

Kommt man durch den Haupteingang bzw. den Mittelrisalit des Fischer von Erlach-Trakts, gelangt man auf einen großen mit hellen Steinplatten ausgelegten Platz und sieht, nach den Worten des Architekten Laurids Ortner, das Gelände wie auf einer Bühne aufgebaut. In der Tat setzt sich die Theatralik der imperialen Ringstraße auch innerhalb des MuQua-Geländes weiter fort, wenn auch mit minimalistisch-neomoderner Zurückhaltung. Zur Theatralik tragen auch die kritisierten Monumentalstiegen bei, die zu den Eingängen der Museen führen. Soziologisch gesehen, machen sie aber Sinn. "Selbstdarstellung, Selbstinszenierung wird eine zentrale Bedeutung erlangen, die Menschen werden ihr Leben wie ein Kunstwerk gestalten müssen", sagte Ulrich Beck einmal mitte der 90-er Jahre in einem Interview, als er über die Rolle des Individuums im 21. Jahrhundert befragt wurde. Und Laurids Ortner bestätigt: "Man geht da runter wie auf einer Showtreppe. Alle sehen alle." (Falter 25/01) Vieles was einmal Privileg der Kunst war, ist in die gesellschaftliche Alltagspraxis eingegangen.

Ein gut überschaubares Gelände ist aber auch eine Erfordernis der heutigen Kontrollgesellschaft, selbst wenn ausreichend für Überwachungskameras gesorgt ist, die jeden Winkel des Geländes auf den Monitor in die Kontrollräume holen. Mit Vollbetrieb ab Herbst 2001 werden hier 950 Menschen inklusive Gastronomie- und Securitypersonal beschäftigt sein. Dazu werden jährlich zirka 1,1 Mio. Besucher erwartet.

Sarkophag oder Tschernobyl? Das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Foto: Rupert Steiner

Rechts im Haupthof steht ein Kubus aus Stahlbeton, der mit grauem Basaltstein ummantelt zur Großskulptur gemacht wurde. Der Bau ist fraglos der Eyecatcher am Gelände, wirft aber auch als künftige Heimstätte der staatlichen Sammlung moderner Kunst alle Themen vergangener Kunstdiskurse wieder auf. Der Kubus ist außen zwar grau, dennoch werden engagierte Kunstfreunde sogleich an Brian OŽDohertys Klassiker "Inside the white cube" denken. Erstmals erschienen 1973, kritisiert der Autor den vermeintlich idealtypischen Raum für Kunstpräsentation. Als ich das MUMOK SLW (offizielle Abkürzung für: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien) zum ersten Male sah, assoziierte ich damit Sarkophag und Tschernobyl. Als eine Intention des Architektenduos vorgestellt, wäre diese Gedankenverbindung allerdings nicht so abwegig. Wenn man etwa bedenkt, dass in diesem Bau Werke von Künstlergenerationen präsentiert werden, die größtenteils noch an die gesellschaftliche Sprengkraft der Kunst wider rigider Strukturen geglaubt haben, dann war mein erster Eindruck, hier wird Kunst unter Verschluss gehalten bzw. hier steht ein Grabmal der Kunst (dieser Kunstauffassung), ja durchaus schlüssig. Wenn Kunst mit ihren soziopolitischen Implikationen auch in der Vergangenheit kein Reich des Schönen und Wahren dargestellt hat, sie damals wie heute aus dem Wechselspiel zwischen der Intention künstlerischer Selbstbestimmung (Autonomie) und der Normativität gesellschaftlicher Fremdbestimmung (Heteronomie) ihre wesentliche Inspiration bezogen hat, so ist ihre aktuelle Situation doch eine völlig andere. Wie am internationalen Trend seit Jahren zu bemerken ist, hat für die Kunst am Weg in die Creativ Industries eine gewaltige Verschiebung in Richtung Heteronomie stattgefunden.

Diese Verschiebung wird im MuQua sogleich durch die Situierung des Kunsthallen-Neubaus bestätigt. Frontal dem Haupteingang gegenüber liegend, stehen die Besucher einem langgestreckten Bau mit barocker Fassade gegenüber, auf der unter der rechten Oberkante der Schriftzug KUNSTHALLE WIEN zu lesen ist. Dieses Gebäude ist ein 1850 von Leopold Mayr geplanter Erweiterungsbau der Hofstallungen und diente als Winterreithalle. Hinter der Fassade liegen die sogenannten Hallen E und G, die u.a. den Wiener Festwochen, dem TanzQuartier und der Film-Viennale als Spielstätte zur Verfügung stehen werden. Obwohl also auf der Fassade KUNSTHALLE draufsteht, wird das Kunsthallen-Programm im Bau der ehemaligen Winterreithalle nicht ablaufen. Die eigentliche Kunsthalle im MuQua hat nämlich gar keine Fassade. Sie ist der Winterreithalle wie ein Rucksack von hinten aufgeschnallt und nur von der Seite betretbar. Ersetzt man den Begriff Fassade exakt durch Stirnseite, dann wird der Symbolgehalt gleich noch deutlicher: Das Gebäude für zeitgenössische bildende Kunst im MuQua hat keine Stirnseite.

Kunsthalle, Museum ohne Stirnseite

Es wäre nun gut möglich, dass das Architektenduo Ortner dabei das Programm der Kunsthalle in jüngster Zeit mitbedacht hat. Denn die ehemalige Winterreithalle mit dem funktionslosen Portikus und der neobarocken Fassade, die in der ursprünglichen Planung abgerissen hätte werden sollen, verträgt sich recht gut mit einem Kunsthallen-Programm, das zweifelsohne in Richtung Eventkultur geht. Weiters liesse sich für diese Lösung das Argument ins Treffen führen, dass für eine Kunst in der placeless society des 21. Jahrhunderts die herkömmlichen Raumsemantiken ohnehin längst obsolet geworden sind. In einem anderen Kontext würde ich dieses architektonische Statement als ironische Geste zu schätzen wissen. In Verbindung mit... (siehe oben).

Aller Rätsel Lösung ist das Leopold Museum

Des Rätsels Lösung, warum die Kunsthalle am MuQua-Areal versteckt ist, findet sich - vom Haupteingang kommend - im Gebäude links im Haupthof. Während das schon angesprochene MUMOK SWL ein gewisses Kontaminationsrisiko ausstrahlt, lacht einem geradezu das gegenüberliegende Leopold Museum entgegen. Im Kern zwar auch bloß aus Stahlbeton, ist dieser Kubus mit weißem bulgarischen Donaumuschelkalk überzogen. Ab dem 22. September wird in diesem Museumsbau die von der Republik Österreich 1994 um 2,0 Mrd. ATS (bezahlt in Raten von 15 Jahren) angekaufte Sammlung von Elisabeth und Rudolf Leopold zugänglich sein. Die Sammlung umfasst vor allem Werke der Wiener Moderne, von Künstlern wie Klimt, Schiele, Gerstl, Kokoschka u.a.. Leicht möglich, dass Ihnen die Bezeichnung Sammlung Leopold im Zusammenhang von Restitutionsansprüchen von in den USA lebenden jüdischen Familien in der medialen Berichterstattung schon begegnet ist. Es ist mehr als nur eine Ironie der Geschichte des MuQua, dass der Kaufwert dieser Sammlung exakt den Gesamtbaukosten netto entspricht. Das MuseumsQuartier in seinem heutigen Zustand steht aber noch viel mehr in einem quasi kausalen Zusammenhang zum Leopold Museum.

Nach den ursprünglichen Plänen sollte das MusemsQuartier ein Kulturzentrum werden, das vorrangig dem zeitgenössischen Kunstschaffen vorbehalten ist. Und wie für die meisten Projekte dieser Art im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wird auch hier das Centre Pompidou in Paris als Ideenanstoß eine Patenrolle eingenommen haben. Unter diesem Aspekt wurde auch der Entwurf von Ortner & Ortner prämiert. Bald darauf erfolgte schon der Ansturm diverser Oligopole im Land auf das MuQua-Projekt. Aber erst mit der politischen Willensbildung der Regierung, der damaligen großen Koalition von SPÖ und ÖVP, die Sammlung Leopold für die Republik Österreich zu erwerben, zeichnete sich die Kursänderung in aller Deutlichkeit ab. Der Wunsch Leopolds nach einem eigenen Museum für die Präsentation seiner Sammlung kam der Zielvorgabe des Stadtmanagements, das MuQua zum Kulturtourismushit zu machen, sehr gut entgegen.

Leopold Museum

Schützenhilfe für Leopolds Begehrlichkeit kam von seinem Freund Hans Dichand, der unter dem Pseudonym Aurelius schon im Herbst 1992 via eigenem Medium, die Kronen-Zeitung, folgendes zur Verlautbarung brachte: "Verkleinert man das Museum moderner Kunst und die Ausstellungshalle um etwa ein Drittel, fände die letztgenannte leicht Platz anstelle der unwichtigen Veranstaltungshalle und das Leopold Museum auf dem früheren Platz der Ausstellungshalle." Wer die Verhältnisse in Österreich bezüglich Politik, Medien und Öffentlichkeit kennt weiß, dass die Politiker hier nichts mehr fürchten als Angriffe via Österreichs auflagenstärkstem Boulevardblatt. Der Verlautbarung von Aurelius wurde demnach Folge geleistet. Die Stadt Wien, SPÖ mit Rathausmehrheit und damals noch Regierungspartner der ÖVP, hat dem Leopold Museum Platz gemacht und zugelassen, dass ihr Prestigeobjekt Kunsthalle jetzt im hintersten Hof versteckt ist.

"Quantum Daemon". Peter Weibel

Anlässlich der sogenannten "Langen Nacht der Museen", ein stadtweites Event, das viele Menschen für einen ersten Besuch im MuQua nutzten, hat das Leopold Museum einen Minipocket-Katalog aufgelegt, auf dessen letzter Seite sich ein anderer Matchmaker des Leopold-Coups in Erinnerung ruft. Peter Weibel, Direktor der Neuen Galerie in Graz und scheidender Direktor des ZKM in Karlsruhe, erzählt eine Seite lang die Heldengeschichte seines Beitrags zur Realisierung des Leopold Museums. Er erinnert an seine Initiative im Mai 1994 zur Unterzeichnung einer Petition durch "Österreichs bedeutendste KünstlerInnen" an die Adresse der Regierung mit der Empfehlung für den Ankauf der Sammlung Leopold. Und macht im Laufe seiner Ausführungen auch keinen Hehl daraus, was ihm dazu so angetrieben hat. Weibel setzt auf "das große Auge des Sammlers Leopold", das "wachsam ist und bleiben wird, und die Sammlung Leopold ja nicht abgeschlossen ist, sondern sich im Rahmen der Qualitätsstandards wie sie seine Sammlung vorgibt, auch um die Kunst der Gegenwart kümmern wird, sofern die Republik Österreich endlich ihre Zusage eines Ankaufbudgets erfüllen wird und nicht wie in allen vergangenen sieben Jahren verweigert!"

Christian Meyer war wahrscheinlich der letzte Galerist, der versuchte, den Künstler Peter Weibel in den Kunsmarkt zu pushen - allerdings erfolglos. Und das ist auch schon lange her, so Ende der 80-er Anfang der 90-er Jahre. Was Weibel dazu wirklich fehlt, ist ein international anerkannter Sammler. Wenn er im Herbst dieses Jahres also wieder in die Klasse für visuelle Mediengestaltung als Professor nach Wien zurückkehrt, wird er mit Sicherheit versuchen, über seine Topconnection zu Rudolf Leopold, vermehrt Einfluss auf das MuQua zu nehmen. Um an das geforderte Ankaufsbudget für das Museum Leopold zu kommen, hat sich Weibel den Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP) bereits zum Du-Freund gemacht. Das muss man Weibel schon lassen: Der einstige Bürgerschreck, aus dem Dunstkreis des Wiener Aktionismus kommend, ist der einzige seiner Generation in Österreich, der den Neoavantgardismus alter Schule unter dem Slogan "Vergiss die Kunst" zur Perfektion gebracht hat.

In seinem Essay "Quantum Daemon. Institutionen der Kunstgemeinschaft" schreibt Weibel: "Wenn Kunst eine Instanz der Selbstbeobachtung der Gesellschaft ist, dann geht es im Grunde beim Museumsdiskurs um die Funktionsweise und Struktur der Gesellschaft selbst." Dem kann ich nur voll zustimmen. Ist das MuQua nun ein Hammer oder ein Spiegel?