Tsipras' Ziel: Schuldenschnitt

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Das Problem: Vier Reformen täglich. Der griechische Ministerpräsident stellt ein neues Kabinett vor

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Eine Kabinettsreform ist in der griechischen Politik normalerweise ein Instrument, welches die Premierminister zur Überraschung und für einen politischen Klimaumschwung nutzen. Alexis Tsipras‘ aktuelle Kabinettsreform hat ihren Überraschungseffekt von Anfang an verloren. Sie war bereits bei der Internationalen Messe in Thessaloniki angekündigt worden. Einen Klimaumschwung kann Tsipras dennoch sehr gut brauchen.

In der jüngsten Umfrage liegt Syriza satte 24 Prozent hinter der oppositionellen Nea Dimokratia. Wenngleich der Wahrheitsgehalt von Wahlumfragen in Griechenland immer wieder - und sehr oft zu Recht - angezweifelt wird, ist der sich darin niederspiegelnde Trend nicht mehr anzuzweifeln. Das Meinungsforschungsinstitut Public Issue fand zudem heraus, dass 89 Prozent der Griechen das Land auf falschem Kurs sehen. Syriza droht unter der Last der Sparpolitik zu zerbrechen.

Ziel: Schuldenschnitt. Problem: Vier Reformen täglich

Allerdings möchte Tsipras zur Erreichung seines Ziels, eines Schuldenschnitts, der dem Land von den Kreditgebern zugesichert wurde, nicht weniger, sondern mehr Reformen durchführen lassen. Die erste Inspektion der wieder Troika genannten Kreditgeber dauerte vom Herbst 2015 bis Ende Oktober 2016 knapp ein Jahr. Die zweite soll, wenn es nach Tsipras geht, bis zum 5. Dezember abgeschlossen sein.

„Die Verhandlungen können zeitig beendet werden, so dass die Eurogruppe am 5. Dezember für uns positive Entscheidungen für die Diskussion über konkrete Maßnahmen zur Verminderung der Schulden treffen kann. Es ist ein realistisches und gerechtes Ziel, dem wir nicht allein zustreben“, sagte Tsipras anlässlich der ersten, feierlichen Sitzung seines neuen Ministerrats am Sonntagnachmittag.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss seine Regierung jedoch pro Tag vier Reformen komplett unter Dach und Fach bringen.

Schafft Tsipras es nicht, dann entgeht ihm nicht nur die Klärung der Schuldenfrage, sondern auch die Gelddruckmaschine der EZB. Vom Programm von Mario Draghi initiierten Konjunkturförderung bleibt Griechenland nämlich so lange ausgeschlossen, bis auch die zweite Inspektion der Troika abgeschlossen ist.

Machtspiele bei der Besetzung der Posten

Mit der Kabinettsreform wollte der Premier daher vor allem die kritischen Posten für das Reformprogramm mit frischen, unverbrauchten Kräften besetzten. Vor mehr als einer Woche hatte er auf Antrag Präsidialerlasse zur Schaffung neuer Ministerien bekommen. Danach wurde die Verkündung immer wieder auf den nächsten Tag aufgeschoben.

Bis am Freitag schließlich eine neue Ministerriege für den frühen Nachmittag versprochen wurde. Erst nach 22 Uhr verkündete die frühere Regierungssprecherin Olga Gerovasili in ihrer letzten Amtshandlung vor der Übernahme des Ministeriums für Verwaltungsreform die neuen Minister.

Der meistgehasste Minister seines früheren Teams, Arbeits- und Sozialminister Giorgos Katrougalos, würde als Vizeminister ins Außenministerium abgeschoben. An seiner Statt tritt die 31-jährige Efi Achsioglou an, um die nächsten Kürzungen im Rentensystem durchzupauken. Die junge Politikerin war seit 2014 an der Seite von Katrougalos. Zunächst stand sie ihm als Beraterin im EU-Parlament in Brüssel, dann wiederum als Beraterin bei den Ministerposten unter Tsipras zur Verfügung.

Efi Achsioglou ist als Alter Ego des sich selbst als Kommunisten bezeichnenden Katrougalos bekannt. Mit Achtsioglou baut Tsipras im nordgriechischen Wahlkreis Pella zudem eine innerparteiliche Rivalin für die dort gewählte, aus der Pasok stammende Theodora Tzakri auf. Tzakri, die ihren Posten im Wirtschaftsministerium verlor, fällt in Athen vor allem durch ihren Hang zu luxuriöser Kleidung auf.

Außer Tzakris entledigte sich Tsipras auch weiterer aus der Pasok stammenden Minister. Lediglich der blinde neue Marineminister Panagiotis Kouroublis blieb als prominenter Ex-Pasok Politiker im Kabinett.

Im Energie- und Umweltministerium stießen die Pläne der Troika zum Verkauf der staatlichen Elektrizitätswerke und der Wasserversorgung auf den Widerstand des Ministers Panos Skourletis und seines Vizeministers, des Grünen Giannis Tsironis. Der Vertreter der Tsipras in Fraktionsgemeinschaft unterstützenden grünen Partei Griechenlands wurde ins Agrarministerium versetzt.

Er hatte sich bislang vehement gegen die Privatisierung der Wasserversorgung gestemmt. Skourletis, der sowohl den Verkauf des staatlichen Energiekonzerns als auch den Goldabbau auf der Halbinsel Chalkidiki stoppte, sollte zunächst komplett aus der Regierung fliegen. Skourletis berief sich bei seinen Einwänden immer wieder auf das Regierungsprogramm und auf die Statuten und Ziele von Syriza.

Skourletis ging selbstbewusst auf Konfrontationskurs. Den Goldabbau stoppte er noch in den Tagen vor der Kabinettsreform per Ministererlass, nachdem die kanadische Abbaufirma erhebliche Umweltverschmutzungen eingestehen musste.

Hinter Skourletis stellten sich jedoch die 53+, der linke Flügel von Syriza. Sie machten dem Premier auch hinsichtlich der Frage der Besetzung des Rundfunkrats klar, dass er nicht wie ein Alleinherrscher auftreten kann.

Folgerichtig wurde der aus seinem Amt zu entfernende Skourletis hochgelobt. Statt für Energie und Umwelt ist er nun Chef im protokollarisch an zweiter Stelle stehenden Ministerium für Inneres.

Anders als Skourletis verlor der ehemalige Bildungsminister Nikos Filis, der seitens der Partei höchstes Ansehen genießt, seinen Platz in der Regierung. Filis hatte die seit 1979, damals vom konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis zum EG Beitritt 1981 versprochene Trennung von Staat und Kirche zumindest im Bildungsbereich durchsetzen wollen.

Teppich unter dem Boden weggezogen

Tsipras zog Filis während dessen Ringens mit der Kirche buchstäblich den Teppich unter dem Boden weg, als er sich dem Druck seines nationalpopulistischen Koalitionspartners Panos Kammenos beugte. Dennoch gab Filis nicht auf. Tsipras bot ihm insgesamt drei andere Ministerposten an.

Filis wollte jedoch entweder seine Arbeit, die auch im Programm von Syriza verankert ist, vollenden oder gar keinen Posten haben. Mit Filis zog sich auch seine Vizeministerin Sia Anagnostopoulou aus der Regierung zurück. Sie wollte keinem anderen Minister mit einer von den Parteizielen abweichenden Agenda dienen.

Bildungsminister wurde nun Konstantinos Gavroglou. Ihm zur Seite steht als Staatssekretär Professor Kostas Zouraris, ein Vertreter der Unabhängigen Griechen. Zouraris ist ein Unikum in der griechischen Politik. Er selbst bezeichnet sich als herrenlosen Kommunisten und hielt es bei einem Versuch der Kommunistischen Partei beizutreten nicht lange aus. Neben der kommunistischen Ideologie steht Zouraris zu seinem Patriotismus.

Der Sohn eines wissenschaftlichen Mitarbeiters des Berliner Professors Magnus Hirschfeld macht sich als einziger aus der Riege der Unabhängigen Griechen für die Rechte von Homosexuellen stark. Er liebt es, in einem Gemisch aus Altgriechisch und Neugriechisch zu reden.