Kurdische Freiheitsfalken TAK: Das Terror-Gespenst

Aus einem Propaganda-Video der TAK

Auf den Terror reagiert die türkische Regierung mit Massenfestnahmen von Oppositionellen. Aber wer ist eigentlich TAK, die Gruppe, die sich zu dem Anschlag bekannt hat?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Samstag starben 44 Menschen bei einem Terroranschlag am Istanbuler Besiktas-Stadion. Mehr als 150 wurden verletzt. Die meisten der Opfer sind Polizisten. Die zwei Bomben explodierten nur eineinhalb Stunden nach einem Fußballspiel an einer vielbefahrenen, belebten Straße unweit des Taksim Platzes. Am Sonntag folgte ein Staatstrauertag.

Aufgrund der wie üblich umgehend verhängten Nachrichtensperre spielte der Anschlag in türkischen Sonntagszeitungen keine nennenswerte Rolle. Stattdessen fanden sich Loblieder auf Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der bereits zum rhetorischen Rundumschlag ausgeholt und den Westen als Terrorunterstützer bezichtigt hatte. Das wiederholt er immer wieder: Die EU und Deutschland würden Terroristen Unterschlupf bieten und sie unterstützen, um die Türkei zu destabilisieren. Innenminister Süleyman Solu ließ verlauten: "Unsere dringendste Aufgabe ist es jetzt, Rache zu nehmen." Die AKP versucht gar nicht mehr, einen demokratischen Diskurs zu führen. Sie spricht die Sprache der Despoten.

Die angekündigte Rache ließ nicht lange auf sich warten. Am Montagmorgen schwärmten landesweit tausende Polizisten aus, stürmten mit großer Aggression Büros und Privatwohnungen von Mitgliedern der oppositionellen HDP, verwüsteten deren Istanbuler Zentrale und nahmen mehr als 300 Menschen fest. Zugleich forderte sie ihre Anhänger auf, "verdächtige" Aktivitäten im Internet zu melden, woraufhin abermals Websites gesperrt und Betreiber festgenommen wurden - darunter auch Mücahit Avci, der die Social-Media-Accounts der größten Oppositionspartei CHP betreibt.

Es ist der nächste große Schlag gegen Opposition und Kritiker der Regierung, die dieser Tage die Verfassung ändern und das Präsidialsystem einführen will, das Erdogan mit nahezu uneingeschränkter Macht ausstatten soll. Der Terror und der Tod von Menschen werden instrumentalisiert, um zivilgesellschaftliche Strukturen zu zerschlagen.

Aber wer steckt wirklich hinter dem Terror? Fakt ist, dass 278 Menschen in der Türkei allein im Jahr 2016 bei Terroranschlägen ums Leben kamen, dazu weitere 300 in der Nacht des gescheiterten Militärputsches im Sommer. Anschläge werden vom IS verübt, von der PKK, von der linksradikalen DHKP-C. In diesen Pott wirft die AKP auch noch die FETÖ, wie sie die Anhänger von Fethullah Gülen nennt, und behauptet: Das ist alles das Gleiche, alle ziehen sie an einem Strang alle werden sie vom Ausland aus gesteuert. Und mit Ausland sind EU und USA gemeint.

Es ist eine haarsträubend alberne Verschwörungstheorie, die die Regierung mit Hilfe ihrer gleichgeschalteten Medien in die Köpfe der türkischen Bürger hämmert - übrigens über hiesige Ableger auch in Deutschland.

Dass all diese Gruppen völlig unterschiedliche Hintergründe, Strukturen und Motivationen haben, wird einfach ausgeblendet. Stattdessen schafft man das Narrativ eines feindlichen Blocks, der die Türkei vernichten will, angeführt von nebulösen Strippenziehern im Ausland. Dass die AKP trotz aller hochtrabenden Reden noch immer keine handfesten Beweise für ihre Behauptung geliefert hat, Gülen stecke hinter dem Putschversuch, scheint niemand mehr zu bemerken. Dass Zehntausende zivilgesellschaftliche Akteure, die im Zuge der Säuberungen aus dem Verkehr gezogen und in Foltergefängnisse gesteckt wurde, zu keiner dieser Gruppen einen Bezug haben - unwichtig. Wenn Erdogan jemanden als Terrorist bezeichnet, dann glauben ihm seine Anhänger das. Dass sein Versprechen, mit ihm im höchsten Staatsamt werde die Türkei sicher und stabiler, sich ins Gegenteil verkehrt hat - es scheint sie nicht zu bekümmern.

TAK soll eine Splittergruppe der PKK sein

Zu dem Anschlag am Samstag hat sich TAK bekannt - die Freiheitsfalken Kurdistans. Im Bekennerschreiben heißt es, man habe fast 100 Polizisten getötet. Tatsächlich waren es 34 Polizisten und zehn Zivilisten, aber TAK sagt, "die türkischen Bürger sind nicht unser direktes Ziel". Wie schon so oft nehmen sie aber offensichtlich billigend zivile Opfer in Kauf, das zeigt schon der Ort des Angriffs. Weiter prangern sie die Politik der AKP und die Inhaftierung von PKK-Führer Abdullah Öcalan an und machen den "AKP-Faschismus" für die Opfer verantwortlich.

TAK tauchten zum ersten Mal vor rund zehn Jahren auf. Eine PKK-Splittergruppe, heißt es. Die AKP macht da wie üblich keinen Unterschied. Die PKK greift vor allem Polizisten und Soldaten an, der Großteil ihrer Anschläge konzentriert sich auf den Südosten der Türkei, wo nach massiven Eingriffen der türkischen Armee Städte in Schutt und Asche liegen und teils bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen.

In der EU gilt die PKK ebenso wie in der Türkei als Terrororganisation. Dem widersprach im November allerdings ein belgisches Gericht, vor dem kurdische Politiker und Aktivisten wegen PKK-Unterstützung angeklagt waren. Da in der Türkei Krieg herrsche sei die PKK keine Terrororganisation, sondern eine Bürgerkriegspartei, sagten die Richter. In der Türkei sorgte das für Empörung, der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım warf Belgien daraufhin vor, Terrorismus zu unterstützen.

TAK hingegen verübt Anschläge immer wieder auch im Westen der Türkei, und immer wieder kommen Zivilisten ums Leben. Allein im Jahr 2016 bekannte sich TAK zu bislang sieben Anschlägen:

  • Am 17. Februar starben bei einem Bombenattentat auf einen Militärkonvoi in Ankara 28 Menschen, sechzig weitere wurden verletzt. TAK bezeichnete dies als Racheakt für mutmaßlich vom türkischen Militär in Cizre begangene Massaker mit 150 Toten.
  • Am 13. März explodierte am Busbahnhof der türkischen Hauptstadt Ankara eine Autobombe. 35 Zivilisten starben (). Der 35fache Mord sollte laut TAK eine weitere Vergeltungsaktion für Cizre sein.
  • Bei einem Bombenanschlag in Bursa am 28. April wurden 13 Zivilisten verletzt.
  • Am 7. Juni explodierte eine Autobombe neben einem Polizeibus auf einer vielbefahrenen Straße in Istanbul. Elf Menschen starben, 36 weitere wurden verletzt. Die Todesopfer waren sechs Polizisten und fünf Zivilisten. TAK erklärte die Aktion als Racheakt für von der Armee getötete PKK-Kämpfer und warnte zugleich Touristen davor, in die Türkei zu kommen, die nicht mehr sicher sei.
  • Im Oktober gab es Angriffe in Istanbul und Antalya, zu denen TAK sich bekannte, bei denen es allerdings nicht zu Todesopfern oder Schwerverletzten kam.
  • Der bislang verheerendste Anschlag war der auf die Istanbuler Vodafone-Arena am vergangenen Samstag mit 44 Toten und über 150 Verletzten.

Jeden dieser Anschläge nutzte die AKP als Anlass für umfangreiche Vergeltungsmaßnahmen nicht nur gegen die PKK, sondern auch gegen kurdische Politiker, Medien und zivilgesellschaftliche Einrichtungen. Direkte Maßnahmen gegen TAK wurden bislang nicht bekannt - wie auch sonst die Hintergründe der Gruppe nebulös bleiben. Man weiß so gut wie nichts über sie. Das einzig Greifbare ist ihre Website, auf der Bekennerschreiben veröffentlicht werden. Die 2015 angemeldete Website war gestern noch erreichbar, heute wurde sie offenbar gesperrt.

Viele Theorien über TAK, aber die Gruppe bleibt im Dunkel

Die TAK, so heißt es, rekrutieren sich aus ehemaligen PKK-Mitgliedern, denen das Vorgehen der PKK nicht entschieden genug ist. PKK und TAK distanzieren sich voneinander. Dennoch begründet TAK einen Teil seiner Aktionen mit dem Krieg der türkischen Armee gegen die PKK, sowie die Inhaftierung von Abdullah Öcalan. Zivilisten seien nicht das Ziel, trotzdem werden immer wieder Anschläge direkt auf Zivilisten verübt. Das sind nur ein paar der zahllosen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit TAK.

Man könnte dahinter ein verworrenes, in Widersprüche verstricktes Weltbild vermuten, wie es oft bei Radikalen zu finden ist. In der Türkei ranken sich Verschwörungstheorien um die Gruppe, deren Akteure und Strukturen gänzlich unbekannt sind. Eigentlich, so hört man in Istanbul des öfteren, müssten sie sich MITAK nennen. Das ist ein Wortspiel aus MIT und TAK. MIT ist der türkische Geheimdienst. Nicht wenige sehen ihn als Drahtzieher hinter TAK, nicht zuletzt aufgrund der Instrumentalisierung der Anschläge durch die AKP.

Hinzu kommt, dass die Aktionen der TAK sich in der Regel nicht gegen ihre erklärten Gegner richten, sondern eben oft gegen weiche Ziele. Und wer eine Bombe am Besiktas-Stadion zündet, der weiß, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschen töten wird, die selbst Gegner Erdogans sind. Die Gegend um Taksim und Besiktas in Istanbul ist oppositionell geprägt. Zwischen 2005 und 2011 bekannte sich TAK immer wieder zu Anschlägen in türkischen Touristengebieten.

Aber sobald man versucht, tiefer zu recherchieren, wer TAK eigentlich ist, tappt man im Dunkeln. Beobachter haben einen Haufen unterschiedlichster Theorien, belastbares Material gibt es hingegen nicht. Dass auf diesem Grund Verschwörungstheorien blühen ist kein Wunder. Wenn es also medial heißt, TAK sei eine Splittergruppe der PKK, dann ist das ein Zitat der Selbstdarstellung von TAK. Aber ob das stimmt? Nicht einmal das weiß man mit Sicherheit.

Eins aber ist sicher: Sollte TAK tatsächlich eine kurdische Terrorgruppe sein, dann erweist sie mit ihren Morden der kurdischen Sache einen noch schlimmeren Bärendienst als die PKK.