Industrie und DGB gegen moderne Technik

"Dorian" über den Bahamas. Bild NOAA

Die Energie- und Klimawochenschau: Quecksilber ließe sich viel besser aus den Kohlekraftwerksabgasen filtern, doch die Betreiber winden sich, Dorian schlägt zu

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Was wäre eigentlich, wenn Deutschland ernst mit der neuen Quecksilber-Richtlinie der EU-Kommission machen würde? Bei Kohlekraftwerken denkt man heutigen Tags vor allem an deren erhebliche Treibhausgasemissionen. Ein gutes Drittel der hiesigen Klimakiller kommen aus den Kraftwerken des öffentlichen Netzes und ein erklecklicher zusätzlicher Teil aus den Anlagen, mit denen sich die Industrie selbst versorgt.

Aber Treibhausgase sind nur ein Teil des Übels. Kohlekraftwerke verteilen auch noch allerlei weitere Schadstoffe, und zwar ziemlich giftige. Zum Beispiel Blei, Schwefeldioxid, Cadmium, Arsen, Stickoxide und eben besagtes Quecksilber. Eine halbe Tonne davon kann ein Großkraftwerk bei sehr guter Auslastung schon mal im Jahr in die Luft blasen.

Doch nun werden die Grenzwerte verschärft und die Kraftwerksbranche befindet sich in heller Aufregung. Das will zumindest das Handelsblatt beobachtet haben.

Das Umweltministerium sei dabei, die neuen EU-Grenzwerte in nationales Recht zu überführen. Die Bundesimmissionsschutzverordnung (BimSchV) soll entsprechend angepasst werden. Nach Ansicht der Branche ist das "überzogen". Die Zeitung zitiert aus einem ihr vorliegenden "Brandbrief" der Energiekonzerne, wonach "keine einsetzbare Technik großtechnisch zur Verfügung, mit der die geforderten Grenzwerte gesichert eingehalten werden können". Die Stein- und Braunkohlekraftwerke würden "vor große Umsetzungsprobleme gestellt". Es könne zur "abrupten Stilllegungen aufgrund von überzogenen neuen Anforderungen" kommen.

Vor drei Jahren hieß es nach einem seinerzeitigen Beitrag der Wirtschaftswoche seitens der Bundesregierung, dass der Quecksilbergehalt in den großen deutschen Flüssen bedenklich sei. Ursache seien vor allem die im Sediment enthaltenen Sünden der Vergangenheit, aber allein in Nordrhein-Westfalen kämen Jahr für Jahr drei Tonnen Quecksilber aus der Industrie und 2,2 Tonnen aus den Kohlekraftwerken hinzu.

Die Unterzeichner des Briefes befürchten nun eine Stilllegung der Kraftwerke durch die Hintertür und werfen dem Umweltministerium vor, die Beschlüsse der Kohlekommission zu missachten. Unterschrieben haben den Brief laut Handelsblatt Vertreter des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU), des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).

Das Umweltministerium habe diese Vorwürfe zurückgewiesen und mache darauf aufmerksam, dass in Einzelfällen auch Ausnahmen beantragt werden können. Interessant ist, dass Industrie und Gewerkschaften offensichtlich in trauter Einigkeit veraltete Technologie verteidigen. Veraltet nicht nur, weil längst erneuerbare Energieträger entwickelt sind, die die Kraftwerke zügig ablösen könnten. Veraltet auch, weil wesentlich mehr Schadstoffe in die Luft geblasen werden, als es nach dem neuesten Stand der Technik notwendig wäre.

Ein 2017 im Rahmen der Quecksilber-Minderungsstrategie für die Bundestagsfraktion der Grünen erstelltes Gutachten spricht davon, dass in Deutschland 2015 zum Beispiel die Stickoxidemissionen pro Kubikmeter Kraftwerksabgasen mehr als dreimal so hoch wie in China und Japan und noch immer mehr als doppelt so hoch wie in vergleichbaren Kraftwerken in den Niederlanden oder in Dänemark waren.

Fans veralteter Technik

Mit der besten verfügbaren Technik könnten in Deutschland jährlich Quecksilberemissionen von über vier Tonnen und damit externalisierte Kosten für die Gesellschaft in Höhe von 72 bis 164 Millionen Euro vermieden werden. Bei den Stickoxidemissionen, die mit der neuesten Technik in den Kraftwerken vermieden werden könnten, ließen sich, so die Studie bereits vor zwei Jahren, in einigen Städten vermutlich Fahrverbote verhindert und Gesundheitskosten von über zwei Milliarden Euro eingespart werden.

Aus Braunkohlekraftwerken seien 2015 3,747 Tonnen Quecksilberemissionen in die Luft gelangt, das sind 75 Prozent des Beitrags aller Kohlekraftwerke. Die durchschnittliche Emissionskonzentration habe bei 8,27 Mikrogramm pro Kubikmeter Abgase gelegen und könnte mit der besten verfügbaren Technik auf ein Mikrogramm pro Kubikmeter, also um über 84 Prozent, gesenkt werden.

Doch den Kraftwerksbetreibern sind die Umrüstungen offensichtlich zu teuer, weshalb sie bereits im Vorfeld der Beschlussfassung auf EU-Ebene versucht haben zu intervenieren. Letztlich wurden die neuen Grenzwerte mit knapper Mehrheit unter anderem gegen die Stimmen Deutschlands und Polens angenommen.

Die Autoren verweisen darauf, dass ähnliche Standards in den USA mit einem Kraftwerkspark von mehr als dem doppelten Deutschlands innerhalb von zwei Jahren technisch umgesetzt werden konnten. Es sei daher unakzeptabel, wenn das nicht auch hier geschehe.

Nach dem Gutachten sind die Ausnahmen, mit denen das Umweltministerium gewunken hat, nur in bestimmten Fällen und nur mit öffentlicher Beteiligung zulässig. Voraussetzung ist, dass das betreffende Kraftwerk bis 2024 stillgelegt wird. In diesem Falle dürfte es zwischen 2021 und 2024 maximal 17.500 Stunden laufen. Ein Jahr hat 8760 oder im Falle eines Schaltjahres 8785 Stunden.

Es fragt sich allerdings, ob sich die Umrüstung für die Kraftwerke angesichts steigender CO2-Preise und nachlassender Auslastung noch lohnt. In diesem Jahr waren die deutschen Braunkohlekraftwerke meist unrentabel. Es drängt sich daher fast der Verdacht auf, dass sie ohnehin nur noch weiter betrieben werden, um ihre Stilllegung vom Steuerzahler vergolden zu lassen.

Letztlich müssten die Kraftwerke aber 2021 oder spätestens 2024 entschädigungslos abgeschaltet werden, wenn sie nicht nachgerüstet werden. Es sei denn, Deutschland verstößt mal wieder, wie schon so oft in den letzten Jahren, gegen Gemeinschaftsrecht. Die Strafgebühren, die dies nach sich zöge, würden dann aber sicherlich nicht von RWE oder der LEAG übernommen.

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