Welche Utopie kann die Gesellschaft verändern – und wie?

Fridays for Future im Januar 2018 in Berlin. Bild: Jörg Farys, CC BY 2.0

Luisa Neubauer und Alexander Repenning haben aufgeschrieben, wie man zum "Ende der Klimakrise" kommen könnte. Wissen sie es wirklich?

Nach Aussage ihres Verlags haben die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und der Politökonom Alexander Repenning in ihrem schon vor längerer Zeit erschienenen Buch Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft Theorie und Praxis zusammengebracht und "einen Weg in die Zukunft" aufgezeigt. Denn es gebe eine Chance auf ein Ende der Klimakrise, "wenn wir sie jetzt ergreifen".

Das Buch, mitunter schon als "Manifest" von Fridays for Future bezeichnet, setzt die Fakten über die Klimabedrohung als bekannt voraus und befasst sich mit den politischen Aspekten. Dabei weisen die Autoren den Glauben an die Wirksamkeit individueller Konsumentscheidungen entschieden zurück, denn:

Wenn am Ende jeder Diskussion über das Klima die Frage "Was kann jeder Einzelne tun?" gestellt wird, zeigt sich, dass sich unsere Gesellschaft nicht mehr als Gesellschaft versteht, sondern als Ansammlung Einzelner.

Auch in marktbasierte Lösungen, etwa die CO₂-Bepreisung, setzen sie keine Hoffnungen: "Wir handeln auch mit einem Recht, das wir selbst erst erfunden haben: dem Recht, unseren Planeten, die Atmosphäre und unsere Mitmenschen zu verpesten."

Das Autorenduo kritisiert ganz allgemein marktgläubige Positionen, denn "diese malen das Bild eines Marktes, der einerseits als Superheld porträtiert wird, der einzig unser Klima retten kann, aber andererseits ein fragiles und reizbares Männlein zu sein scheint, das man nicht ärgern oder gar ins Wanken bringen darf". All dem kann man zustimmen.

Engagement fördert merklich die kritische Einstellung

Neubauer hat, wie sie schildert, die Illusionen verloren. Hatte sie zunächst noch ein "gewisses Vertrauen" in die Politik, fühle sie sich heute "betrogen". Wenn Politiker "von Sachzwängen und der Alternativlosigkeit des Status quo" sprechen, erscheint ihr dies nun als "absurde Ausrede", denn in Wirklichkeit handelten sie so, "weil es opportun oder bequem" sei.

Man sieht: Ihr Engagement bringt die jungen Aktivisten zu kritischen Einstellungen, und das Buch zeigt auch, dass da noch manches im Fluss ist, indem Fragen sichtbar werden, entlang welcher meines Erachtens weitergedacht werden müsste.

So auch in obigem Statement: Wenn Neubauer die Motive der Politiker auf Opportunismus oder Bequemlichkeit zurückführt – fasst sie da die Gesellschaft nicht doch wieder als bloße Ansammlung von Einzelnen?

Anderenfalls müsste sie der Frage nachgehen, ob nicht die Sachzwänge, von denen die Politiker reden, ihre Grundlage in den gesellschaftlichen Zusammenhängen haben.

Dann würde auch klar, was es mit den "absurden Ausreden" auf sich hat: denn der Logik des Systems zu folgen, ist zwar so absurd, wie diese Logik eben ist, aber es ist mehr – und schlimmer – als eine bloße Ausrede.

Neubauer und Repenning weisen die politische Fixierung auf das Wirtschaftswachstum zurück, da dieses unbegrenzten Ressourcenverbrauch bedingt, und zudem keineswegs mit wachsendem Wohlergehen aller gleichgesetzt werden kann.

Es ist schön, dass das so deutlich gesagt wird, doch wenn es weiter heißt, dass es statt einer "Versessenheit" auf das Bruttoinlandsprodukt "neue Parameter, mit denen das tatsächliche Wohlergehen gemessen werden kann" brauche, so stellt sich die Frage: Liegt es denn nur daran, dass sich bisher niemand bessere Parameter hat einfallen lassen?

Das Ende der Fantasie

Müssen hinter der "Versessenheit" nicht sehr handfeste – und wohl eher nicht am allgemeinen Wohlergehen orientierte – Interessen stecken, für welche das BIP eben genau das passende Maß ist?

Bleibt es nicht zu sehr im Allgemeinen, wenn die Autoren auf "Fantasie", "Vorstellungskraft", "Visionen" und "Ideen" setzen? In den Labors und Entwicklungsabteilungen der umweltzerstörenden Industrien herrscht gewiss kein Mangel an Fantasie; Ideen können eben ganz unterschiedlichen Zwecken dienen.

Die Frage ist also: Wer bestimmt, welche Ideen zum Zug kommen? Deshalb wirft auch das Plädoyer für "utopisch(es) Denken" Fragen auf: Genügen "konkrete Utopien", um einen gesellschaftsweiten Wandel herbeizuführen?

Eine auf Selbstversorgung bedachte Landkommune, die Repenning als Beispiel einer "gelebten Alternative" heranzieht, braucht industriell produzierte Güter wie Kleidung, Werkzeuge und Baumaterialien, bleibt also auf das angewiesen, wozu sie eine Alternative sein will.

Man sieht: Immer wieder tun sich Fragen auf. Die müssen beantwortet werden, um den Weg zu finden, wie die in die Klima-Katastrophe führenden gesellschaftlichen Verhältnisse überwunden werden können.

Kurzum: Man muss die gesellschaftlichen Verhältnisse wissenschaftlich begreifen. Deshalb bleibt das Buch am Ende auch die Antwort auf die Frage schuldig, was es denn ist, was beim "System Change" geändert werden muss, wie tiefgreifend also der Wandel sein muss.

"Unite behind the science", lautet eine Parole von Fridays for Future. Gemeint sind die naturwissenschaftlichen Aspekte des Klimawandels. Sollte man nicht auch an die wissenschaftliche Analyse der gesellschaftlichen, insbesondere ökonomischen Verhältnisse denken?

Das wäre das mindeste, was nötig wäre, damit der hoffnungsfrohe Satz am Ende des Buchs überzeugen kann: "Wir wissen, was gemacht werden muss. Wir wissen auch wie."