Krankenhaus im Ausverkauf: Ärzte-Manager

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Renditestreben und die Privatisierung im Gesundheitswesen

Krankenhäuser in Deutschland und Europa sind längst zum Spekulationsobjekt international agierender, privater Klinikkonzerne geworden. Konzerne erzielen Renditen aus dem solidarischen System unseres Gesundheitswesens, Thomas Strohschneider, selbst jahrelang als Chefarzt in einer privatwirtschaftlich geführten Klinik tätig, hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben, das ab heute im Westend Verlag erscheint: Krankenhaus im Ausverkauf. Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit. Telepolis veröffentlicht daraus folgenden Auszug:

Ärzte-Manager

"Gesundheit ist ein primäres Gemeingut." Diesen Satz hat Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Welttag der Kranken 2021 gesagt. Schon zu Anfang seines Pontifikats warnte er immer wieder vor der Gefahr, dass Gesundheit zur Ware wird.

"Wer Medizin und Ökonomie zu Gegensätzen erklärt, stiehlt sich aus der Verantwortung." Dieses Statement kommt von Professor Heinz Lohmann, Gesundheitsunternehmer und Vorsitzender der Initiative Gesundheitswirtschaft, gleichzeitig Berater zahlreicher gesundheitspolitischer Gremien.

Die meisten Menschen in unserem Land würden vermutlich – jeweils einzeln betrachtet – beiden Aussagen zustimmen. Kliniken gehören zur Daseinsvorsorge in einer Gesellschaft. Sie sind verpflichtet, eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zu gewährleisten. Gleichzeitig sollen sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen verantwortlich umgehen. Dabei die richtige Balance zu finden, ist ein zentraler Punkt und vielfach Thema bei gesundheitspolitischen Diskussionen.

Diese Ausgewogenheit scheint aber nach Meinung einer Mehrheit der Ärzteschaft, insbesondere der Krankenhausärzte, in den letzten Jahren in eine Schieflage geraten zu sein. Das Gesundheitswesen ist ohne Zweifel zuallererst ein wichtiger Teilbereich des Sozialsystems unserer Gesellschaft. Es entwickelt sich aber in den letzten Jahren vom Gesundheitswesen zunehmend zu einer Gesundheitswirtschaft.

Das Dilemma

In keinem Wirtschaftszweig sind derzeit höhere Renditen zu erzielen. Und damit ist das Dilemma offensichtlich, denn ein Sozialsystem muss als Priorität die Bedürfnisse der Bevölkerung im Fokus haben. Ein Wirtschaftsunternehmen hingegen wird immer zuerst die Rendite im Blick haben. Es gehört zu den Automatismen eines Wirtschaftssystems, dass sämtliche Bereiche, die Umsätze und Gewinne versprechen, für Unternehmen interessant sind.

Im Bereich des Gesundheitswesens lotet man mit subtilen Methoden aus, wie weit man gehen kann. So sind bereits Ende des letzten Jahrhunderts Krankenhäuser ins Visier von Investoren geraten und mächtige private Klinikkonzerne entstanden. Diese schleichende Privatisierung der Kliniken in Deutschland hat zwischenzeitlich dazu geführt, dass es in keinem Land der Welt mehr Krankenhausbetten in der Hand privatwirtschaftlich geführter, teilweise börsennotierter Unternehmen gibt.

Private Klinikkonzerne sind die Protagonisten, die das Krankenhauswesen – einem Zuckerguss gleich – mit betriebswirtschaftlichen Management-Paradigmen überziehen und die Durchdringung des Gesundheitswesens mit gewinnorientierten Denkmustern anstreben. Gegen diese Entwicklung baut sich ein wachsender Widerstand der Ärzteschaft, von Ärzteverbänden sowie in Teilen der Bevölkerung auf. Sie warnen vor den Gefahren einer Kommerzialisierung im Krankenhauswesen.

Seitens der privaten Klinikbetreiber werden dann die immer gleichen stereotypen Vorwürfe gegenüber der Ärzteschaft erhoben: Ärzten fehle ökonomisches, unternehmerisches und managementbezogenes Verständnis oder sie würden sich solchen Themen gar verweigern. Das ist nicht richtig. Denn kaum ein vernünftiger Arzt verweigert sich dem Argument, dass eine gute Medizin grundlegend auch auf ökonomisches Handeln achten muss. Die aus Steuergeldern und Sozialabgaben kommenden finanziellen Ressourcen müssen verantwortungsvoll verwendet, dürfen jedoch nicht verschwendet werden.

Ärztliche Führungskräfte sind in hohem Maße bereit, die Verantwortung für eine effiziente und wirtschaftlich vernünftige Steuerung von Krankenhäusern und ihren Abteilungen mitzutragen. Schließlich ist ihnen sehr wohl bewusst, dass auch ihre Vergütungen aus Sozialkassen kommen und von den berufstätigen Menschen im Lande finanziert werden müssen.

Sie wissen um ihre besondere Verpflichtung und "schleichen sich nicht aus der Verantwortung", wie es ihnen oft unterstellt wird. Sie wehren sich aber zunehmend gegen negative Auswirkungen. Denn Fakt ist, dass sich das Gesundheitswesen, getrieben von profitorientierten Konzernen und mit der Unterstützung von Lobbyisten und Teilen der Politik, immer mehr von einer sozialen Humanmedizin entfernt.

Oberste Prämissen im Handeln der Ärzte sind das Wohl und die Gesundheit ihrer Patienten. Sie wollen verhindern, dass Radikalität und Brutalität des Privatisierungsdenkens den Kern ärztlichen Wirkens infizieren. In der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärzte ist am Anfang folgende Aussage verankert:

Ärztinnen und Ärzte dienen der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.

Das Rütteln an Grundfesten

Schon längst haben es Krankenhausmanager mit Unterstützung von Teilen der Politik geschafft, an den Grundfesten dieser ethischen Berufsdefinition zu rütteln. Mit subtilen Managementmethoden, Anwendung von Steuerungsinstrumenten aus der Wirtschaft und einer Ausrichtung auf ökonomische Zielvorgaben wird der soziale Charakter ärztlichen Handelns, ja der ganze Arztberuf in seiner eigentlichen Profession ins Wanken gebracht.

Giovanni Maio, Medizinethiker und Inhaber des Lehrstuhls für Medizinethik an der Universität Freiburg sowie Berater der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in ethischen Fragen, sagt dazu: "Der Arztberuf ist etwas Besonderes, weil der Arzt mit dem wichtigsten Gut zu tun hat, das ein Mensch überhaupt besitzt, nämlich Leib und Leben."

Das Paradigma, das heute von den privaten Klinikkonzernen mantraartig wie ein Naturgesetz gepredigt wird, dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen, muss in Frage gestellt werden. Insbesondere dann, wenn Aktionäre aus den Gewinnen Dividenden erhalten oder das reale Vermögen und damit die Macht der Klinikbetreiber durch den Besitz von immer mehr Kliniken steigt; sogar große Investitionen in ausländischen Gesundheitsmärkten werden mit diesen Gewinnen bereits getätigt. Es ist eine gesellschaftliche Entscheidung.

Wie Maio richtig konstatiert, ist vor dem Hintergrund eines zunehmenden Effizienz-, Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitsdrucks die Freiheit des Arztes als eigene, unabhängige Profession eher hinderlich. Deshalb wird von Klinikmanagern bewusst an einer Strategie zur De-Professionalisierung und Entwertung des Arztberufes gearbeitet.

Der Arzt ist in diesem System lediglich als reiner Leistungserbringer und Dienstleister erwünscht. Nicht als kritischer Mahner oder als der an "verstaubten" ärztlich-ethischen Grundwerten Festhaltende.

Behandlungen von Patienten sind wirtschaftlich betrachtet für Klinikindustriebetriebe nur dann interessant, wenn Aufwand und Ertrag in einem möglichst guten Gewinnverhältnis stehen. Ärztliche Führungskräfte müssen sich deshalb zunehmend mit ökonomischen, unternehmerischen und managementbezogenen Themen auseinandersetzen.

Ihre eigentlichen Kernkompetenzen und ihre ureigenen Aufgaben, nämlich eine qualitativ gute medizinische Versorgung ihrer Patienten zu gewährleisten, werden dabei zunehmend verdrängt. Neben der medizinischen Kernkompetenz wird vom ärztlichen Führungspersonal in wachsendem Ausmaß breites ökonomisches Wissen eingefordert mit der Verpflichtung, dieses auch von ihren Mitarbeitern zu verlangen.

Diese Themen waren bisher nicht oder nur wenig Gegenstand medizinischer Ausbildungscurricula und traditionell auch nicht im Verantwortungsbereich der Ärzte. Dass die Führungsstruktur einer Klinik mit dem klassischen Triumvirat Krankenhausdirektor, ärztlicher Direktor und Oberschwester heute nur noch ein Relikt vergangener Zeiten ist, ist wohl allen Beteiligten klar.