Rettet die Ukraine – auch um den Preis des Weltuntergangs!

Bild: Rubén Bagüés/Unsplash

Verrücktheiten rechts und links: Zwei sehr unterschiedliche Ukraine-Veranstaltungen in Berlin. Kommentar

In welche Verrücktheiten die augenblickliche Kriegslage manche – schwache oder starke? – Gemüter versetzt, davon berichtet die FAZ.

Wahnsinn, Verzweiflung, Hybris

In einem Bericht, dessen Inhalt einen je nach Temperament erschüttern oder belustigen konnte, dokumentierte dort der ehemalige FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners den Wahnsinn, zu dem die Verzweiflung über den Kriegsverlauf, aber auch die Hybris über die Bedeutung der Ukraine, offenbar manche Bürger des um seine staatliche Existenz kämpfenden osteuropäischen Landes verführt.

Bahners erzählte von einer Veranstaltung am Montagabend im Kanzleramt, zu der die Kulturstaatsministerin Claudia Roth geladen hatte; offenbar war auch Bundeskanzler Olaf Scholz anwesend, um einen Tag nach seinem Anne-Will-Auftritt und der für ihn prächtig verlaufenen saarländischen Landtagswahl ein bisschen, wie man so sagt, "die Seele baumeln" zu lassen.

Nun würde man gern erleben, wie das bei Scholz dann aussieht, aber die Zeiten sind nicht so, und da es bei solchen Gelegenheiten momentan geboten scheint, auch den einen oder anderen der zahlreich in Deutschland lebenden ukrainischen Künstler auftreten zu lassen, war vorprogrammiert, dass auch diesmal wieder irgendein Vertreter des postsowjetischen Landes mahnend oder flehend den Deutschen die Laune verderben würde.

"Dann soll es halt so sein!"

Was dann aber im Kanzleramt geschah, stellte noch jeden bisherigen Auftritt des trotz seiner geschniegelten Anzüge von einigen als ungehobelt und unverschämt empfundenen Botschafters Andreij Melnyk in den Schatten. Die in Köln lebende ukrainische Sängerin Mariana Sadovska, deren Ethno-Folk-Musik man sich blendend bei der nächsten Multi-Kulti-Party von Claudia Roth vorstellen kann, tat nicht, was sie dem Programm nach tun sollte, sondern trug anstelle eines Gedichts dem Kanzler ihre Ansichten zur Weltlage vor.

"Der Nato warf sie vor, sich allein von der Furcht vor atomarer Vergeltung davon abhalten zu lassen, eine Flugverbotszone einzurichten", so Bahners. Diese Befürchtungen "beschrieb sie nicht etwa als unbegründet; im Gegenteil, sie teilt sie: 'Natürlich haben wir große Angst, dass dadurch alles eskaliert und es zu einem Atomkrieg kommt und die ganze Welt untergeht'". Weiter zitiert der Berichterstatter: "Aber wir können doch nicht so einen Verbrecher wie Putin davonkommen lassen, nur weil er mit der Atombombe droht." Aber:

"Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein!"

Dann soll es halt so sein! Wenn die Ukraine schon sterben muss, dann soll sie doch wenigstens damit noch ein bisschen Bedeutung gewinnen, dass sie die ganze Welt mit in den Abgrund reißt. Hauptsache, der böse Putin geht auch drauf. Denn wenn es die Ukraine nicht mehr gibt, hat der ganze Planet keinen Sinn mehr. So ungefähr musste man die Ukrainerin verstehen.

Ist das nun die Hybris einer Künstlerin, die vielleicht hofft, einst werde vielleicht eine andere Sängerin diesen Untergang in Verse kleiden?

Oder ist das ein mit Ressentiment gegen glücklichere Nationen gepaarte Hypernationalismus der Angehörigen eines Landes, für das sich bislang nur Spezialisten interessierten, und das nach Ende des Kriegs womöglich wieder vergessen wird?

Putins und Selenskys Freunde

Freundlich, wie es seine Art ist, adelte Bahners die durchgeknallte Aussage, indem er sie mit der absolutistischen Moraphilosophie des Barock, nicht zufällig dem Zeitalter der konfessionellen Bürgerkriege, verknüpfte. Das war eine Epoche, die nicht nur noch ans Jenseits und den Zorn Gottes bei moralischem Versagen glaubte, sondern die auch überzeugt war, "dass das Gerechte unbedingt getan werden müsse, ohne Furcht vor den Handlungsfolgen".

Im 20. Jahrhundert ist man weiter. Gott ist tot, außer in den Hirnen religiöser Fanatiker, und für das Ende der Welt nicht mehr nötig: Das können Senioren per Knopfdruck vom heimischen Wohnzimmersessel herbeiführen, falls ihnen niemand in den Arm greift.

Dafür leben wir länger und hygienischer als vor 400 Jahren, man hat Rasierapparate und die Sozialversicherung, Duelle und Schlachtgetümmel sind dagegen abgeschafft. Wenn dann das 17. Jahrhundert mal für ein paar Wochen wiederaufersteht, dann ist dies doch mit Marx gesprochen eher Farce als Tragödie.

Dass wir es nicht über Gebühr ernst nehmen, ist keineswegs demokratische Dekadenz, wie uns Putins und Selenskys Freunde gleichermaßen weismachen möchten, sondern der Fortschritt im Zivilisationsprozess. Von dem profitieren sogar Andreij Melnyk und Mariana Sadovska. Denen hätte im Barock ein Duell, ein Hexenprozess oder Schlimmeres gedroht.

Was ist Putins Absicht?

"Unsere Begriffe funktionieren nicht" - dies immerhin war treffend auf den Punkt gebracht zu Beginn einer Veranstaltung der Berliner Volksbühne, die auf der komplett anderen Seite des politischen Spektrums angesiedelt war, aber ähnlich erregt und fehlgeleitet verlief.

In einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Jungle World veranstalteten Reihe "Freiheit & Würde: Solidarität mit der Ukraine!" (nachzuhören hier), ging es diesmal um das an sich interessante Thema: "Russland dekolonialisieren?"

"Unsere Begriffe funktionieren nicht" - von allen drei Podiumsteilnehmern, drei aus der Ukraine und eine Deutsche, wurde mit großen, aber niemals geklärten Begriffen herumgefuchtelt, etwa "die Linke" und "Faschismus" oder "Imperialismus".

Der eigentlich im Mittelpunkt stehende Begriff aber kam nicht vor: Kolonialismus. Man hätte der Ankündigung folgend eine Debatte darüber erwartet, welche Pläne denn Putin mit einer Besetzung der Ukraine verfolgt? Was ist die Absicht? Will er sie überhaupt besetzen? Will er zu einer bestimmten Linie vordringen? Oder geht es um Bodenschätze? Will er die Ukraine ausbeuten? Will er die Bevölkerung versklaven?

Derartige Konzepte hätte man dann sehr wohl in bestimmte Traditionen, auch die des Faschismus oder des Imperialismus, stellen können. Dafür wären dann aber genaue Begriffe nötig gewesen. An solchen genauen Begriffen war in der Volksbühne niemanden interessiert.

Es fehlte die Lust am Widerspruch

Schon ziemlich zu Beginn wurde gesagt, dass die Linke sich am liebsten mit sich selbst beschäftigt. Genau das tat man dann auch.

Die ganze Veranstaltung zeigt eigentlich das Desaster der deutschen Linken. Genauer gesagt eines gewissen Teils dieser Linken. Des Teils, der alle anderen Linken für "nicht links" hält, für den die Partei "Die Linke", die "Rote Hilfe", die Antideutschen, SPD und Grüne sowieso allesamt nicht links ist, sondern nur das Dutzend eigener Freunde.

Das Problem begann allerdings damit, dass hier drei Gleichgesinnte miteinander sprachen, und die Moderatorin auch nicht anderer Meinung war und auch noch nicht mal Fragen stellte, die wenigstens die Positionen der Diskutierenden entfalteten. Es fehlte die Neugier. Es fehlte die Lust am Widerspruch. Es fehlte das Selbstdenken. Es fehlte alles, was links ist. Was da war, war nicht links, sondern harmlos einfältig.

"Medienbeobachtung" - unter diesem Reihentitel erscheinen hier in loser Folge Notizen aus der Welt der Medien, aktuelle Beobachtungen, Analysen und Kritiken von Rüdiger Suchsland. Eine Art "Die letzten Tage von Pompeji - Seelenruhe in der Informationsgesellschaft"