Energiecharta-Vertrag zum Schutz fossiler Konzerne ist tot

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Nach Polen, Spanien und den Niederlanden kündigt nun auch Frankreich den Austritt aus dem "Pakt gegen den Klimaschutz" an, der Gewinne der fossilen Industrie schützt. Macht Deutschland bei der "Revolte" mit?

Der umstrittene Energiecharta-Vertrag (ECT) ist nun praktisch tot. Offenbar hat Spanien, das besonders oft vor ebenfalls umstrittenen Schiedsgerichten von fossilen Konzernen wegen des ECT verklagt wird, eine Lawine ins Rollen gebracht. Das Land hatte kürzlich den Austritt aus dem Vertrag angekündigt.

Man habe den "sicheren" Rückzug eingeleitet, erklärte die spanische Ministerin für den ökologischen Übergang, Teresa Ribera, da es "keine Verbesserungen" gegeben habe, wie sie in Bezug auf die kürzlich verabschiedete Reform und den darin enthaltenen Schutz von fossilen Investitionen ausführte.

Spanien hatte in den vergangenen zwei Jahren, wie andere Länder, immer wieder erklärt, dass die Reform zu tiefgreifenden Veränderungen führen müsse, andernfalls würde das Land den Energiecharta-Vertrag verlassen.

Es sieht nun stark danach aus, dass die losgetretene Lawine den Vertrag mit sich in die Tiefe reißen wird, da der ECT weiter vor allem Investitionsrenditen der fossilen Industrie verteidigt. Investigate Europe hatte im vergangenen Jahr herausgearbeitet, dass in der EU, Großbritannien und der Schweiz fossile Infrastruktur im Umfang von 345 Milliarden Euro geschützt ist.

Unternehmen drohten Regierungen

Drei Viertel davon seien Gas- und Ölfelder sowie Pipelines. Da die Konzerne über den ECT nicht nur den Wert ihrer Infrastruktur einklagen können, sondern auch entgangene Gewinnerwartungen, dürfte die Summe möglicher Entschädigungsansprüche tatsächlich noch viel höher sein, stellte die Recherche heraus.

War der 1998 in Kraft getretene Vertrag einst dazu gedacht, Investitionen in Staaten mit unsicherer Rechtslage in Osteuropa und Zentralasien zu schützen, wie Telepolis gerade aufgezeigt hatte, wendeten sich nach der Recherche im vergangenen Jahr in 74 Prozent der Fälle EU-Investoren in Energiecharta-Fällen gegen EU-Mitgliedsstaaten.

Oft brauche es ohnehin gar keine Klage, um Gesetze zum Klimaschutz zu verwässern. Es reiche oft die bloße Tatsache aus, dass die fossile Industrie hohe Entschädigungen einklagen können, um Klimaschutzmaßnahmen zu beeinflussen. "Manchmal drohen die Unternehmen den Regierungen sogar ganz offen", wird festgestellt.

Dass die Pfeiler des ECT ins Wanken geraten sind, zeigte sich dann letzte Woche schon sehr deutlich. Rob Jetten, niederländischer Minister für Klima- und Energiepolitik kündigte im Parlament ebenfalls den Austritt aus dem Vertrag an, da der nicht im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehe. Die Bemühungen, ihn neu auszuhandeln, seien gescheitert.

Der Auftrag an die Europäische Kommission lautete, den ECT mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang zu bringen.

Rob Jetten

Doch trotz vieler Veränderungen, die im Verhandlungsergebnis enthalten seien, "sehen wir nicht, wie der ECT ausreichend an das Pariser Abkommen angepasst worden ist". Damit trat er auch der EU-Kommission vor das Schienbein, die einfach nicht einmal die klar geäußerten Interessen der Mitgliedsländer vertreten hat.

Jubel nach der Erklärung der Niederlande: "Vor einer ausgewachsenen Revolte"

Gegenüber Politico bestätigte ein Ministeriumssprecher schließlich, dass es sich um eine "endgültige" Entscheidung handele. Die Niederlande hoffen, "vorzugsweise zusammen mit der gesamten EU, den ECT kündigen" zu können", fügte der Sprecher im Wissen an, dass weitere Länder folgen würden.

"Eine Reihe von Ländern hat jetzt konkrete Schritte unternommen, um ihre Mitgliedschaft zu beenden, und ich werde prüfen, wie die Niederlande sich dem am besten anschließen können", hatte Jetten schon zuvor im Unterhaus unter anderem mit Blick auf Spanien und Polen erklärt.

Aktivisten, die seit langem Front gegen den Energiecharta-Vertrag machen, brachte die Ankündigung der Niederlande zum Jubilieren. "Der ECT steht endlich vor einer ausgewachsenen Revolte", erklärte Anna Cavazzini, grüne Europaabgeordnete und Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für den Energiecharta-Vertrag. Der laufende Reformprozess reiche nicht aus. Die Entscheidung der Niederlande, aus dem Energiecharta-Vertrag auszusteigen, sei folgerichtig.

"Andere Mitgliedstaaten müssen diesem Beispiel folgen, auch die Bundesrepublik", fordert die Aktivistin "Dieser Vertrag gefährdet Energiewende und kostet die öffentliche Hand jetzt schon Milliarden", fügte sie in einer Presseerklärung an. Die Ankündigung der Niederlande sei von besonders großer Bedeutung: "Denn das Land war früher einer der entschiedensten Verfechter der Investitionsschiedsgerichte."

Sie hatte dem Vertrag stets als einen "Pakt gegen den Klimaschutz" angegriffen von einem "mächtigen Instrument in den Händen großer Öl-, Gas- und Kohleunternehmen gesprochen, um Regierungen vom Übergang zu sauberer Energie abzubringen.

In einem Kommentar für die Frankfurter Rundschau schrieb sie 2020 mit Hoffnungen auf die Reform weiter:

Der Vertrag gesteht Energieunternehmen große Befugnisse zu, nämlich Staaten vor privaten Schiedsgerichten über Milliarden von Dollar zu verklagen. Kein anderes internationales Handels- oder Investitionsabkommen der Welt hat mehr Investorenklagen ausgelöst als der Energiecharta-Vertrag.

Anna Cavazzini, FR

Inzwischen ist aber längst klar, dass der Vertrag völlig zerbröselt, aus dem im vergangenen Dezember schon Australien ausgetreten war. Die Austrittsbestrebungen in Europa hatten vor gut einem Jahr über den Europäischer Gerichtshof (EuGH) neuen Aufwind bekommen.

Das Urteil

Denn der hatte am 2. September 2021 geurteilt, dass die Energiecharta für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der Europäischen Union unwirksam ist. Damit entzog er formal vielen der 55 anhängigen ECT-Verfahren die Grundlage. Diese Verfahren werden aber weitergeführt, da die Mehrzahl der Schiedsgerichte sich der EuGH-Rechtsprechung nicht beugen wollen.

In Polen ist der Austrittsvorgang sogar schon ziemlich weit fortgeschritten und das zeigt, wie heterogen die Bewegung längst ist. Ein Gesetzentwurf über die "Kündigung des Energiecharta‑Vertrags" und seiner Protokolle wurde von der Regierung schon im August verabschiedet und von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki an das polnische Parlament weitergeleitet.

Die in dem Abkommen enthaltene Klausel zur Beilegung von Investor‑Staat‑Streitigkeiten (ISDS) stelle "eine Bedrohung für die Autonomie des EU‑Rechts und den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten" dar und sollte "zur Gewährleistung der Rechtssicherheit in der EU‑Rechtsordnung" abgeschafft werden, heißt es darin.

"Die polnische Regierung hat aus dem gescheiterten Versuch, den klimaschädlichen Energiecharta‑Vertrag zu reformieren, die richtige Konsequenz gezogen", hatte Cornelia Maarfield, eine Aktivistin des Climate Action Network (CAN) Europe, zu der Entscheidung Polens erklärt.

CAN hatte andere Länder aufgefordert, sich dem Vorstoß anzuschließen und das tun nun immer mehr Länder. Vergessen werden sollte aber nicht, dass der Erosionsprozess in der EU schon vor sechs Jahren begonnen hat, als Italien als erstes EU-Land und zudem als erstes große EU-Mitgliedsland den ECT aufgekündigt hatte.