Demokratie-Dilemma: Die "Letzte Generation" und das (un-)gesunde Volksempfinden

Niemand tut sich das zum Spaß an. Foto: Letzte Generation

Ihre Methoden mögen für die Masse schlecht vermittelbar sein. Das Problem ist nur: Niemand hat bisher ein Patentrezept, um Regierende zum Schutz unserer Lebensgrundlagen zu bewegen. Und die Zeit wird knapp.

Schon lange stellt sich die Umwelt- und Klimabewegung die von Bertrand Russell auf den Punkt gebrachte Frage, wie die Menschheit überredet werden kann, "in ihr eigenes Überleben einzuwilligen".

Ein weiteres Problem ist, dass die Menschheit als solche darüber nicht demokratisch abstimmen darf – was in reichen Industrieländern demokratisch entschieden wird, bleibt nicht in den reichen Industrieländern, wenn es um Wirtschafts- und Energiepolitik geht. Andere spüren die Folgen sogar zuerst. Und auch hier haben Lobbyisten faktisch mehr Einfluss als einfache Wahlberechtigte – während diejenigen, die es am längsten ausbaden müssen, noch gar nicht mit abstimmen dürfen.

Die Weigerung, in den "kollektiven Suizid" hineingezogen zu werden

Andere gehen in unseren Breiten davon aus, dass es sie in ihrer verbleibenden Lebensspanne schon nicht so hart treffen wird. Sie müssten ja auch gar nicht ihr eigenes Überleben einwilligen, sondern nur in das kommender Generationen, die sie nicht mehr kennenlernen – oder die hoffentlich ihre unterlassene Einwilligung mit Humor nehmen und sie trotzdem im Alter pflegen, wenn sie nicht gerade zu einer Katastrophenschutzübung müssen. Letzteres stellt sich die "Nach uns die Sintflut"-Fraktion natürlich nicht vor.

Dass Menschen, die weniger Talent zur Verdrängung haben, an solchen Leuten verzweifeln können, ist nachvollziehbar: Sie wollen einfach nicht in das hineingezogen werden, das UN-Generalsekretär António Guterres "kollektiven Suizid" genannt hat. Deshalb nehmen die Aktiven der Gruppe "Letzte Generation" bewusst keine Rücksicht auf die Erfordernisse des Alltags von Menschen, die beim "Business as usual" noch mitmachen.

Dennoch ist ihnen nicht egal, was die Mehrheit denkt – sonst würden sie nicht friedlich und sachlich bleiben, wenn sie bei Blockadeaktionen von aufgebrachten Autofahrern beschimpft, bedroht und teilweise weggezerrt werden. Tätliche Angriffe auf die gern als "Chaoten" geschmähten "Klima-Kleber" werden von Boulevardzeitungen wie dem Berliner Kurier auffallend verständnisvoll kommentiert.

Stimmungsmache durch selektive Berichterstattung

Ob solche cholerischen Autofahrer immer bereitwillig Rettungsgassen bilden, darf bezweifelt werden, aber wenn sie es nicht tun und der Stau durch eine Protestaktion verursacht wurde, sind für breite Teile der Öffentlichkeit die "Klima-Chaoten" schuld, auch wenn sie selbst Rettungsfahrzeuge durchlassen.

Obwohl gerade in der Hauptstadt Autofahrer keine Mehrheit sind – nur etwa jeder zweite Haushalt in Berlin hat ein Auto, weniger als jeder fünfte nutzt es täglich – funktioniert die mediale Stimmungsmache. Schwerverletzte und Tote, die in der bundesdeutschen Verkehrspolitik unter anderem durch den Verzicht auf ein allgemeines Tempolimit stillschweigend eingepreist sind, kommen individuell nur selten tagelang in die Schlagzeilen – es sei denn, es besteht der Verdacht, dass eine Aktion der Klimabewegung ihre Rettung verzögert hat.

Im Fall der im Krankenhaus gestorbenen Berliner Radfahrerin, die Anfang November politisch und medial instrumentalisiert wurde, konnte die Notärztin diesen Verdacht nicht einmal bestätigen. Das Statistische Bundesamt geht insgesamt von mehr als 2.700 Verkehrstoten in diesem Jahr aus.

Sowohl die selektive Berichterstattung als auch das menschliche Bedürfnis, die schockierenden Zukunftsprognosen des Weltklimarats zu verdrängen, tragen dazu bei, dass die "Letzte Generation" bei der großen Mehrheit zur Zeit keinen Blumentopf gewinnen kann: Je nach Altersgruppe lehnen 71 bis 86 Prozent laut einer aktuellen Umfrage die Straßenblockaden ab.