Ein Schrotthaufen wird zur Schatzgrube

Es geht um Zukunft und wie mit Material und Materie umgegangen wird. Mehr Horizont durch Schrott-Fiction (Teil 2 und Schluss).

Die Überschreitung von Kipppunkten gehört durch die Häufung von Krisen bereits zum Alltag. Der überdrehte Ton von Kunst – für die Selbstvergewisserung, Weltverbesserung, Heilung, Vernichtung (eher Fantasien davon) – führt zu einer Position, die bereits 1996 von Enno Stahl in einem Sammelband zu Trashliteratur ausgeführt wurde.

Stahl versucht, den gängigen Begriff "Trash" umzudeuten: Das scheinbar Überflüssige wird zum Wesentlichen.

Teil 1: Schrott-Fiction: Wiederverwertungszyklen zwischen Müll und Second-Hand

Schrott bedeutet auch, aus den Zusammenhängen zu brechen und unrunde Formulierungen, verpixelte Bilder, White Noise im Nummer-1-Hit und abgebrochene Sätze zu akzeptieren. Die beobachtete Realität soll realistisch wiedergegeben werden. Aber dieser Schrott heißt nicht, alles unterschiedslos gutzuheißen. Denn wenn nichts alles ist und alles nichts, schwindet der Sinn.

Hinter den Müllbergen verschwinden

Diese Überlegungen haben auch, wenn es um Texte geht, Konsequenzen. Nur, indem über Müll und Schrott geschrieben wird, verschwindet dieser nicht. Aber vielleicht können wir hinter den Müllbergen verschwinden. Der Autor Nuss bringt es auf den Punkt:

Mich interessieren Verstecke. Wahrscheinlich, weil mich gegenwärtige Diskurse zur Visability total stressen und ich nur unsichtbar sein möchte. Auf dem Schrottplatz lässt es sich gut verstecken, also hinter dem, was wir gerade nicht sind. Im Müll sind wir geboren und in den Müll werden wir gehen, sage ich mal so ganz prophetisch.

Nuss eröffnet den Schrottplatz als einen positiv besetzten Rückzugsort. Dazu passt eine Beobachtung von Michael Thompson, der Ende der Sechzigerjahre eine "Müll-Theorie" entwickelte:

Wir machen Dinge wichtig, indem wir andere Dinge unwichtig machen. Das, was wir wegwerfen, meiden, verabscheuen, von dem wir unsere Hände säubern oder was wir mit Wasser wegspülen, überantworten wir der Müllkategorie. Doch das ist nicht ganz richtig. Wir bemerken Müll nur dann, wenn er sich am falschen Ort befindet. Etwas, das ausgeschieden worden ist, aber niemals zu stören droht, beunruhigt uns nicht im Geringsten.

Michael Thompson

Erst, wenn der Hundekot auf dem Wohnzimmerteppich liegt, wird Müll zum Problem oder wenn die Mülltonnen überquellen und nicht weggeräumt wird, dann liegt der Müll auf einmal in der Küche und kommt nicht weg. Thompson sagt, dann beunruhigt uns der Müll.

Dann liest es sich wie eine Horrorgeschichte: Etwas Ekliges, das wir bereits abgestoßen haben, kehrt zurück. Etwas, wie ein Geist oder Zombie. Oder etwas Undefiniertes, ohne konkrete Gestalt.

Der nigerianische Autor sieht auch eine Verbindung zum Horror, weil angesichts der Umweltkatastrophen, auch in seinem Heimatland (starke Überschwemmungen im Jahr 2022) sich eine teils dystopische Sicht der Dinge fast automatisch einstellt. Aber er fügt auch hinzu, dass besonders die Science-Fiction-Literatur andere Perspektiven entwickeln könnte:

Ich denke, dass das Genre ein kraftvolles Werkzeug sein kann, uns an verschiedene Methoden des Überlebens zu erinnern. Deshalb ist es wichtig, dass uns viele Geschichten Klimazukünfte aufzeigen, die uns Hoffnung machen.

Wir vom Toxic Temple

Die hier angeführten Autoren und die Autorin beschäftigen sich mit Schrott, mit Müll, wenn sie eben konstant da sind. Plastik besitzt beinahe religiösen Charakter, weil es als Menschengemachtes sehr lange Zeit überdauert und nicht kompostiert.

Schrott verschwindet auch nicht einfach so – er muss geschreddert, zerkleinert werden, um an Wert zu gewinnen. Schrott-Fiction ist zugleich vergänglich und überdauernd – ist sie auch nachhaltig? Texte zu Umweltthemen versuchen, einen sachlichen Ton zu treffen und ein Engagement zu motivieren. Sie drängen über sich hinaus, wollen in den Verstand und die Herzen der Leser treffen.

Aber come on: Ist ein Text am Ende nicht immer abstrakt, zumindest irreal? Er fordert zwar, dass etwas so und so sein sollte, aber eine Garantie, dass es wirklich so kommt, gibt es nicht. Dafür müssten wir vielleicht die gesamte Produktion anhalten und abwarten, bis wieder Schrott anfällt. Diese Prozesse könnten wir beschreiben – und dann?

Der österreichische Philosoph und Performer Kilian Jörg fasst es so zusammen:

Die moderne Kultur baut darauf auf, ökologische Schäden outzusourcen und zu verdrängen. Wir vom Toxic Temple wollen dieses Verdrängte wieder reinholen und fühlbar machen: Wir glauben, dass man zuerst mal richtig fühlen muss, wie beschissen die Lage ist, bevor man wirklich zum Handeln animiert wird.