Covid: Schwere Vorwürfe wegen massenhafter künstlicher Beatmung

Bild: Pixabay

Chefarzt spricht von 20.000 vermeidbaren Todesfällen während der Corona-Pandemie. Andere Ärzte widersprechen. Worum es bei dem Streit geht.

Der Vorwurf, viele Covid-19-Patienten seien vor allem in Deutschland fälschlicherweise künstlich beatmet worden und gerade deshalb gestorben (oder schwer geschädigt worden) ist seit dem zweiten Pandemiejahr schon gelegentlich in den Medien erhoben worden.

Die hohen Sterberaten von Beatmeten hatten schon zu Beginn der Pandemie aufgeschreckt, etwa mit der Meldung, in New York würden 80 Prozent dieser Intensiv-Patienten versterben.

In einem Interview mit der Welt hat kürzlich einer der prominenten Kritiker sogar eine Zahl benannt: Thomas Voshaar, Chefarzt der Klinik für Lungen- und Bronchialheilkunde der Stiftung Krankenhaus Bethanien für die Grafschaft Moers, geht von mindestens 20.000 unnötigen Todesfällen in Deutschland aus, die eine zu frühe invasive Beatmung verursacht haben soll.

Im Interview mit der Welt sieht Voshaar als Ursache auch finanzielle Fehlanreize.

Es gibt für invasive Beatmung richtig viel Geld. Die stationären Behandlungskosten liegen durchschnittlich bei 5.000 Euro, maschinelle Intensivbeatmung kann dagegen mit 38.500 Euro abgerechnet werden, im Einzelfall sogar mit 70.000 Euro. Das ist etwa sieben- bis zehnmal mehr, als die schonende Behandlung mit Sauerstoff über die Maske.

Thomas Voshaar, Welt, 5. Mai 2023

Allerdings sei auch Routine eine mutmaßliche Ursache für falsche Behandlungen.

Auf Intensivstationen ist um 17 Uhr Visite. Da weiß niemand, ob der Patient die Nacht übersteht. "Tu den Tubus rein, dann kann nichts passieren", heißt es dann. Ein Trugschluss, wie wir jetzt wissen. Viele Studien zeigen sehr klar, dass die Intubation die Todesrate um das 5- bis 6-fache erhöht, bei gleichem Schweregrad. Die Pandemie hat das noch einmal bestätigt.

Thomas Voshaar

Vorwurf: Blickverengung Sauerstoffsättigung

In einem Beitrag in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW, 8/2023) kritisiert Voshaar zusammen mit Dieter Köhler und weiteren Kollegen unter anderem einen zu starren Blickwinkel auf die Sauerstoffsättigung des Bluts.

Denn die reelle Sauerstoffversorgung des Gewebes hänge von verschiedenen Größen ab, unter anderem der Pumpleistung des Herzens (Herzzeitvolumen) und der Menge an Hämoglobin (in den roten Blutkörperchen), das den Sauerstoff bindet.

Da intubierte Beatmung mit erheblichen Eingriffen in den Organismus verbunden ist, gehen mit diesen intensivmedizinischen Behandlungen auch große Risiken einher. Unter anderem müssen Patienten für eine künstliche Beatmung in Narkose gelegt werden, was zahlreiche Folgebehandlungen notwendig macht, u.a. eine medikamentöse Korrektur des Blutdrucks.

Außerdem gibt es ein hohes Risiko für neue Infektionen. Und der Körper kann störende Stoffe nicht mehr durch Husten aus der Lunge befördern.

Im Interview mit Elke Bodderas in der Welt beschreibt Thomas Voshaar mögliche Komplikationen anekdotisch so:

Ich werde nie die Videos von Kollegen aus den USA vergessen, die wir hier in Deutschland nachts auf YouTube sahen. Zum Beispiel den Arzt in New York, der eine 72-Jährige filmt, die er intubieren soll. Die Frau ruft ihren Mann an und sagt, die Ärzte wollen mich intubieren, ich kann gleich nicht mehr mit dir reden, weil ich in Narkose gelegt werde. Soll ich das machen? Und der Mann sagt, ja, mach das, was die Ärzte raten. Dann wirst du wieder gesund. Und am nächsten Morgen war die Frau tot.

Thomas Voshaar, Welt

In einer Art Triage seien in deutschen Krankenhäusern bei knappen Beatmungsplätzen zum Teil jüngere Menschen für diese Behandlung ausgewählt worden, weil sie die vermeintlich besseren Überlebenschancen hätten. Die Realität habe dann aber oft ein anderes Bild gezeigt: Die jungen, invasiv beatmeten Patienten seien verstorben, während Alte auf Normalstation überlebt hätten.

Tatsächlich wurde zumindest zu Beginn der Pandemie in verschiedenen Fachartikeln eine pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung von weniger als 90 Prozent als mögliche Indikation zum Intubieren angesehen (vgl. WHO).

Voshaar und Kollegen hingegen meinen, bei Gesunden mit normalem Hämoglobin-Wert stelle sich eine Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff erst bei einem Sättigungswert von 50 Prozent und weniger ein. Sie schreiben:

Da insbesondere jüngere Patienten mit Covid-19-Pneumonien sonst gesund waren, passt auch die klinische Erfahrung dazu, dass sie bei teilweise stark erniedrigter sO2 [Sauerstoffsättigung] im Bett keine Luftnot hatten.

Dieter Köhler/ Thomas Voshaar u.a.

In einem Hintergrundgespräch berichtet ein Professor für Pneumologie, bei Flugbegleitern habe man auf Langstreckenflügen aufgrund des geringen Kabinendrucks regelmäßig Sauerstoffsättigungen unter 90 Prozent gemessen - aber niemand wäre auf die Idee gekommen, sie deshalb zu intubieren und maschinell zu beatmen.

Schwierige Vergleiche

Empirisch valide Vergleiche invasiver und nicht-invasiver Maßnahmen bei Covid-19-Patienten werden immer schwierig sein, da die Patienten nicht "randomisiert" sind, also per Zufall der einen oder anderen Behandlung unterzogen werden, sondern nach medizinischer Einschätzung der jeweiligen Klinik und natürlich dem Patientenwillen, soweit dieser artikuliert werden kann.

Voshaar und Kollegen haben bei ihren Patienten eine 50-Prozent Sterberate nach Intubation beobachtet (vier von acht Patienten), während in der Gruppe nicht-invasiv Beatmeter keiner der 17 Patienten verstarb.

In der Gruppe mit der geringsten Unterstützung (Sauerstoffzugabe in die Nase) verstarben von 53 Patienten zwei (Alter 86 und 96 Jahre). Diese hatten allerdings verfügt, keine darüber hinausgehende Atemunterstützung zu erhalten.

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